Fürsorge - Vorsorge - staatliche Gewalt (Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung: Workshop)

Fürsorge - Vorsorge - staatliche Gewalt (Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung: Workshop)

Veranstalter
Arbeitskreis Historische Frauen- und Geschlechterforschung (Regionalgruppe NRW) in Kooperation mit dem LWL-Institut für Regionalgeschichte (Münster)
Veranstaltungsort
LWL-Institut für Regionalgeschichte, Karlstrasse 33, 48147 Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.11.2006 - 24.11.2006
Deadline
22.11.2006
Website
Von
Dr. Julia Paulus

WORKSHOP: "Fürsorge - Vorsorge - staatliche Gewalt"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Hiermit möchte ich Sie auf unseren diesjährigen Workshop des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung (Regionalgruppe NRW) in Kooperation mit dem LWL-Institut für Regionalgeschichte (Münster) hinweisen zum Thema: "Fürsorge - Vorsorge - staatliche Gewalt"

Datum: Freitag, 24. November 2006, 14.00 bis 18.30 Uhr
Ort: LWL-Institut für Regionalgeschichte, Karlstrasse 33, 48147 Münster

Anmeldungen bis zum 22. November 2006 unter:
Dr. Julia Paulus
Westfälisches Institut für Regionalgeschichte
Karlstrasse 33
48147 Münster
(0251 / 591-5880)
julia.paulus@lwl.org

Der Frage nach Fürsorge, Vorsorge und staatlicher Gewalt soll in diesem Workshop anhand der beiden unten vorgestellten Dissertationsprojekte nachgegangen werden:

In ihrem Dissertationsprojekt: „Wechselwirkungen zwischen staatlicher Armenfürsorge und weiblichem / männlichem Alltag im 19. Jahrhundert in Westfalen“ beschäftigt sich Eva Lerche mit heimatlosen Landarmen, die Gefahr liefen, in Bedürftigkeit abzusinken und damit „der öffentlichen Fürsorge anheim zu fallen“. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist das Landarmenhaus Benninghausen, das als Fürsorgeanstalt von 1844 bis 1891 bestand und für die gesamte Provinz zuständig war. Anhand von Einzelfallakten dieser Anstalt kann sie auf einer Mikroebene zeigen, wie – einerseits - der Staat, vertreten durch den westfälischen Landarmenverband, in das Leben der Hilfeempfänger/-innen eingriff und mit der ihm auferlegten Fürsorgepflicht einen Kontrollanspruch verband; andererseits sich die Landarmen jedoch nicht passiv ihrem Schicksal fügten, sondern Handlungsstrategien entwickelten, um eigene Interessen gegenüber dem Landarmenverband durchzusetzen.
Hierzu fragt Eva Maria Lerche zunächst, inwieweit der Staat versuchte, über die Fürsorge Einfluss auf familiäre Strukturen zu nehmen und wie Familien hierauf reagierten. Dabei zeigt sich, dass der Landarmenverband solche Lebensgemeinschaften unterstützte, in denen der Mann der Haupternährer war und die Frau in ökonomischer Abhängigkeit von ihm lebte und ihre Arbeit entweder gar nicht bezahlt wurde (Kinder und Haushalt) oder nur ein Zuverdienst war (Waschen, Spinnen, Stricken). Bei Krankheit oder Tod des Mannes übernahm die Fürsorge dessen Rolle und beließ die Ehefrau oder Witwe in der Abhängigkeit. Dagegen versuchte der Staat, solche Lebensgemeinschaften mit Hilfe der Fürsorge zu zerschlagen, die nicht den bürgerlichen Ordnungsvorstellungen entsprachen, in denen aber Mann und Frau in einer „Ökonomie des Notbehelfs“ das Auskommen sicherten, beim Nahrungserwerb zusammenwirkten und bei Krankheit oder Gefängnisaufenthalten füreinander einsprangen. Der familiäre Zusammenhalt überdauerte hier die staatlichen Eingriffsversuche, wobei eine führende Rolle der Frauen nachweisbar ist.
Zudem untersucht sie die Einweisungspraxis nach Benninghausen. Nur ein Fünftel der Landarmen kam nach Benninghausen, die übrigen wurden an ihrem Wohnort oder in einer Pflegefamilie unterstützt. Von den eingewiesenen Landarmen waren 71% Männer, 18% Frauen und 11% Kinder. Dass Frauen eher vor Ort unterstützt wurden, Männer eher in die Anstalt eingewiesen wurden, hing eng mit einem geschlechtsspezifischen Arbeitsmarkt zusammen. Aber auch moralische Bedenken sprachen gegen die Einweisung gerade von bedürftigen Witwen in eine geschlossene Anstalt.
In einem dritten Teil fragt sie nach den Alltagsbedingungen in Benninghausen und das Verhältnis zwischen Personal und Insassen. Obwohl Arbeitsunfähigkeit formal das Kriterium für Bedürftigkeit war, wirkten bei der moralischen Beurteilung durch das Personal die frühneuzeitlichen Kategorien selbstverschuldete/unverschuldete Not weiter. Dies betraf in erster Linie Frauen (einerseits Witwen, andererseits außerehelich schwangere Frauen), was Auswirkungen auf die Entlassungspraxis und die Zuweisung von Dienststellen bzw. Pflegefamilien hatte. Frauen unterlagen hier weit mehr als Männer einer Beaufsichtigung, erhielten zugleich aber eine weiter reichende Unterstützung. Während das Handeln der Anstaltsleitung deren bürgerliches Rollenverständnis widerspiegelt, finden sich diese Vorstellungen nicht bei den Insassinnen und Insassen wieder. Bei und nach der Flucht aus der Anstalt etwa entwickelten Männer und Frauen gleiche Handlungsstrategien, auch beim Umgang mit der Fürsorge und mit Pflegefamilien finden sich Parallelen.
Kernthese ihrer Studie ist, dass die Strukturen der Armenfürsorge dynamisch waren und zwischen Bedürftigen und Fürsorgeinstitutionen ständig neu ausgehandelt wurden. Dabei treten geschlechtsspezifische Differenzen im Handeln der Obrigkeit weit stärker hervor als im Handeln der Landarmen.

Im Mittelpunkt des Dissertationsprojektes von Bettina Blum mit dem Titel „Polizistinnen im geteilten Deutschland. Geschlechterdifferenz und polizeilicher Auftrag nach 1945“ steht die Frage, welche Bedeutung Konstruktionen von Weiblichkeit für die Gestaltung des staatlichen Gewaltmonopols in den beiden deutschen Staaten besaßen. Dabei lässt sich bereits in der Weimarer Republik – verstärkt dann in Ost- und Westdeutschland nach 1945 - eine Erosion der „Ordnung der Geschlechter“ (Honegger) innerhalb der deutschen Polizei konstatieren. Allerdings wurde die weibliche Einbindung durch geschlechtsspezifische Zuschreibungen legitimiert, zugleich eingeschränkt und in beiden Staaten unterschiedlich organisiert. Die Art und Weise, Frauen und weiblich konnotierte Verhaltensmuster bei der Polizei zu verorten, veränderte sich hierbei ständig, stabil blieb jedoch das Denken in der Dichotomie männlich-weiblich.
Während nach 1945 die westdeutsche Polizei eine eigene weibliche Organisationsform aufrecht hielt, deren Selbstverständnis auf der Tradition weiblicher (Kriminal-)Polizei bis 1945 gründete, wurden mit der Volkspolizei (VP) in der DDR – zumindest - formal keine ‚separate spheres’ eingerichtet. Am Bespiel der britischen Besatzungszone, die zunächst nach heimischem Vorbild, unter Anleitung britischer Polizistinnen und gegen den Widerstand übernommener Beamtinnen zusätzlich zur Weiblichen Kriminalpolizei (WKP) eine weibliche Schutzpolizei einrichtete, fragt Bettina Blum nach der Funktion und Rolle der ‚Polizistinnen für besondere Aufgaben’, die vor allem für Frauen, weibliche Jugendliche und Kinder zuständig waren und ihre Arbeit als überwiegend vorbeugend begriffen, die gleichzeitig aber als uniformierte Repräsentantinnen des Staates in einen männlich konnotierten Bereich eindrangen. Dies löste Ängste vor einer ‚Vermännlichung’ der Beamtinnen sowie vor einer ‚Verweiblichung’ des ganzen Berufsstandes aus. Anfang der 1950er Jahre wurde die uniformierte weibliche Polizei in Westdeutschland aufgelöst und in die Weibliche Kriminalpolizei (WKP) überführt. Mit den durch die gesellschaftlichen Veränderungen der 1960er und 1970er Jahre herbeigeführten Reformdiskussionen veränderte sich schließlich das Verständnis einer geschlechtlich definierten Polizei erneut. Modernisierungsbestrebungen innerhalb der Polizei führten einerseits zur Auflösung der WKP und Einbindung von Frauen in die allgemeine Kriminalpolizei sowie andererseits zu einer langsamen Abkehr von Männlichkeitsidealen. Letzteres ließ nun auch die Einbeziehung weiblich konnotierter sozialer Kompetenzen in der Schutzpolizei denkbar werden (ab 1978 wurden dort Frauen eingestellt).
Einen anderen Weg verzeichnete dagegen die Entwicklungen in der DDR: Hier wurden Frauen wurden gezielt angeworben und in verschiedenen Funktionen der einzelnen Dienstzweige eingesetzt, wo sie vereinzelt auch Führungspositionen einnehmen konnten. Wurden in der direkten Nachkriegszeit ‚sozial kompetente’ Volkspolizistinnen gern als Gegenbild zu brutalen (männlichen) NS-Polizisten dargestellt, ‚vermännlichte’ sich ihr Bild allerdings mit der zunehmenden militärischen Ausrichtung der VP ab Ende der 1940er Jahre auch in der Außenwirkung wieder. Die Folge war, dass der Frauenanteil sank und Polizistinnen häufig in den Innendienst versetzt wurden, wodurch sie letztendlich aus dem Blick der Öffentlichkeit verschwanden. Dies veränderte sich wieder Anfang der 1960er Jahre, als die Förderung und gezielte Qualifizierung von Frauen in den Zweigen der VP staatlicherseits gefordert wurde. Offiziell gleichgestellt, erlebten die Volkspolizistinnen häufig eine Beschränkung auf untergeordnete Ränge und bestimmte Funktionen. Dadurch bekamen diese Bereiche wiederum einen ‚weiblichen’ Charakter (z.B. die Verkehrspolizei, das Pass- und Meldewesen und die kriminalpolizeiliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen). Viele Frauen wurden bei der Verkehrspolizei eingesetzt und erfuhren als Verkehrsreglerinnen, wie bereits in den Nachkriegsjahren, eine herausgehobene Stellung in der polizeilichen Repräsentation. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde auch in der DDR mit der Einstellung von Frauen in die allgemeine Schutzpolizei begonnen.
Im Vergleich der beiden Polizeien in West- und Ostdeutschland untersucht Bettina Blum, welche Rolle Frauen in der „neuen Polizei“ Ost- und Westdeutschlands spielen sollten, wie die Verkörperung staatlicher Gewalt durch Frauen inszeniert wurde (Uniformierung, Bewaffnung, Auftreten) und wie der Einsatz von Frauen in der Praxis konkret aussah.

Programm

Programm

14.00 Uhr Begrüßung

14.30 Uhr Eva-Maria Lerche (Münster)
Vortrag: „Wechselwirkungen zwischen staatlicher Armenfürsorge und weiblichem/männlichem Alltag im 19. Jahrhundert in Westfalen“ mit anschließender Diskussion

15.30 Uhr Bettina Blum (Münster)
Vortrag: „Polizistinnen im geteilten Deutschland. Geschlechterdifferenz und polizeilicher Auftrag nach 1945“ mit anschließender Diskussion

16.30 Uhr Kaffeepause

17.00 Uhr Austausch über aktuelle Informationen, mögliche Kooperationen und Projekte des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechtergeschichte NRW

18.30 Uhr Ende

Kontakt

Dr. Julia Paulus
Westfälisches Institut für Regionalgeschichte
Karlstrasse 33
48147 Münster
(0251 / 591-5880)
julia.paulus@lwl.org


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