Globalisierung und Spaltungen in den Städten
Call for Paper: Prokla 4/07
Zuletzt hat sich die Prokla 1997/1998 in einer Doppelausgabe mit dem Thema 'Stadt' beschäftigt. Entwicklungen und Debatten in der Stadtforschung haben sich seither rasant verändert, so dass wir für Dezember 2007 erneut eine PROKLA mit Schwerpunkt 'Stadt' planen. Vor allem wollen wir darin neue Formen der sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Ausgrenzung im Kontext des globalen Neoliberalismus untersuchen, aber auch die Widerstände und Rebellionen dagegen. Dabei soll nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vorgeschichte aktueller Zustände thematisiert werden.
Weltweit sind Städte heute von den Krisen- und Restrukturierungsprozessen des globalen Kapitalismus betroffen. Internationale Waren-, Finanz- und Migrationsströme binden Städte und Metropolregionen auf allen Kontinenten in ein komplexes Beziehungsgeflecht ein. Städte in der sogenannten Ersten Welt lassen sich weniger denn je ohne Berücksichtigung der Beziehungen zur Dritten und Vierten Welt diskutieren. David Harvey meint diese Relation, wenn er die Metropolen Europas und Nordamerikas als 'affluent suburbia' bezeichnet - als wohlhabende Vororte der inzwischen nach Lateinamerika, Asien und Afrika ausgelagerten produktiven Zentren, wo Slums und Armutsviertel expandiert sind. Gleichzeitig haben sich die sozialen Polarisierungsprozesse auch in den Städten des Nordens intensiviert. Während in China komplette Mittelschichtsstädte und Hochtechnologie-Parks am Reißbrett entworfen werden, bilden sich in den nordamerikanischen und europäischen Metropolen neue Zonen der Ausgrenzung heraus. Die 'klassische Gegenüberstellung' von südlichen Armutsmetropolen einerseits und Zentren des Wohlstands andererseits gilt nicht mehr. Stattdessen haben wir die spezifischen Spaltungsprozesse aller Städte entlang der Widersprüche der neuen globalen Arbeitsteilung zu untersuchen -- genauso wie die widerständigen Kräfte, die durch eine Stadtpolitik ‚von unten’ oder als globalisierungskritische Bewegungen in die aktuellen Restrukturierungsprozesse intervenieren.
Die gegenwärtigen Inklusions- und Exklusionsprozesse und die neuen lokalen Akteurskonstellationen unterscheiden sich je nach ihrer historischen, kulturellen und institutionellen Einbettung erheblich voneinander. US-amerikanische Ghettos, brasilianische Favelas und marginalisierte Stadtviertel in europäischen Metropolen stellen jeweils spezifische Formen sozialräumlicher Ausgrenzung dar. Auch die politischen Widerstände gegen die zunehmende Entsicherung der städtischen Arbeits- und Lebensverhältnisse nehmen von Ort zu Ort sehr unterschiedliche Formen an. So entfachen sich viele urbane Konflikte in den explodierenden Metropolen Indiens und afrikanischer Länder derzeit an den militarisierten 'Säuberungsaktionen' gegen informelle Besiedlungen und prekäre Überlebensökonomien. In Europa und Nordamerika richten sich die lokalen Kämpfen vor allem gegen die Privatisierung öffentlicher Güter - von Infrastrukturleistungen, Kulturangeboten oder im sozialen Wohnungsbau - und gegen den Ab- und Umbau sozialer Sicherungssysteme, die Rücknahme arbeitsrechtlicher Standards und die Durchsetzung eines Niedriglohnsektors. In vielen Ländern Lateinamerikas wird nach den Wahlsiegen linker Bewegungen und Parteien mit neuen lokalen Modellen partizipativer Demokratie und solidarischer Ökonomie experimentiert. Zu untersuchen ist, unter welchen Bedingungen solche Strategien alternativer Stadtpolitik Ansatzpunkte für weitergehende, antikapitalistische Mobilisierungen und die Realisierung progressiver Gesellschaftsentwürfe darstellen können.
Die auf den ersten Blick disparat erscheinenden Akteurskonstellationen und Konfliktsituationen haben einen gemeinsamen Nenner: Unter den Bedingungen neoliberaler Globalisierung wird Stadtpolitik weltweit zunehmend an ökonomischen Kriterien ausgerichtet. Sie wird zum 'post-fordistischen Experimentierfeld' und zum Motor einer lokalen Restrukturierung des sozialen Raums nach Verwertungskriterien. Ähnlichkeiten und Unterschiede der neuen Polarisierungs- und Rebellionsmuster und alternativer Strategien wollen wir in diesem Schwerpunktheft entlang aktueller empirischer Fallstudien und theoretischer Arbeiten diskutieren.
Im einzelnen sind Beiträge insbesondere zu den folgenden thematischen Schwerpunkten erwünscht:
- den alten und neuen Spaltungslinien innerhalb von Städten des globalen Südens und globalen Nordens und den aus ihnen erwachsenden Konflikten; lassen sich Verbindungen zwischen ihnen zeigen?
- der These von der sozialen Polarisierung in den Städten des „Nordens“: was ist überhaupt gemeint, lässt sie sich belegen, unter welchen Bedingungen findet sie statt? Gab es Perioden mit gegenteiligen Entwicklungen?
- den Überlebensstrategien in den informellen ökonomischen Sektoren von Städten; ihren Verschränkungen mit der formellen Ökonomie; wer kontrolliert die informelle Ökonomie, welche Folgen hat sie, welche Auseinandersetzungen werden in ihr und um sie geführt?
- Sozialraum als Merkmal von Ausgrenzung, Identität und Widerstand; was ist das „städtische“ an Revolten in der Stadt (etwa den Revolten in den französischen „banlieues“)? Haben sie historische Vorläufer?
- lokale Politik von „oben“ und „unten“ in Zeiten zunehmender Ungleichheiten: Lassen sich neue Entwicklungen beobachten?
Exposés für Artikel können per Email bis zum 31. März 2007 an die Redaktion der PROKLA geschickt werden (mailto: redaktion@prokla.de). Wir wünschen uns kurze und pointierte Exposés von maximal drei Seiten Länge. Autoren und Autorinnen, die wir zum Schreiben einladen, müssten ihre ausgearbeiteten Manuskripte im August 2007 einreichen. Gastredakteurin für diese Ausgabe ist Margit Mayer (FU Berlin).