"Als wir zum 1. April 33 schwiegen, als wir schwiegen zu den Stürmerkästen, zu der satanischen Hetze der Presse, zur Vergiftung der Seele des Volkes und der Jugend, zur Zerstörung der Existenzen und Ehen durch sogenannte 'Gesetze', zu den Methoden von Buchenwald - da und tausendmal sind wir schuldig geworden am 10. November 1938. Und nun? Es scheint, daß die Kirche auch diesesmal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überläßt, ob er etwas sagen will oder nicht. (...) Es gehen Gerüchte um..., daß ein Zeichen an der Kleidung beabsichtigt sei. Unmöglich ist nichts in diesem Land, das wissen wir. (...) Wir haben die Vernichtung des Eigentums erlebt, zu diesem Zweck hatte man im Sommer die Geschäfte bezeichnet. Geht man dazu über, die Menschen zu bezeichnen, so liegt ein Schluß nah, den ich nicht weiter präzisieren möchte. Und niemand wird behaupten wollen, daß diese Befehle nicht ebenso prompt, ebenso gewissenlos und stur, ebenso böse und sadistisch ausgeführt würden wie die jetzigen. Darf die Kirche das zulassen? Ich bin überzeugt, daß - sollte es dahin kommen - mit dem letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet."
Mit diesen außerordentlich klaren, hellsichtigen Worten wandte sich die Berliner Historikerin und Studienrätin Dr. Elisabeth Schmitz am 24. November 1938 an den Dahlemer Bekenntnispfarrer Helmut Gollwitzer, nachdem sie eine Woche zuvor dessen mutige, auf die Ereignisse des Pogroms Bezug nehmende Bußtagspredigt gehört hatte.
Wer war diese im doppelten Wortsinn "unerhörte" Frau, die 1935 (anonym) eine Denkschrift zur Judenverfolgung verfasste und an zahlreiche kirchliche Stellen mit der dringenden Aufforderung versandte, nun endlich öffentlich gegen die Gewaltmaßnahmen zu protestieren und praktische Hilfe zu leisten? Wer war die Frau, die im ständigen Briefwechsel mit prominenten Theologen und Führern der Bekennenden Kirche klare theologische Stellungnahmen, angemessenes kirchenpolitisches Handeln und solidarische Hilfen mit den Verfolgten anmahnte? Wer war die Frau, die 1938 aus eigener Initiative den Schuldienst aufkündigte, um nicht weiter nationalsozialistische Ideologie im Unterricht (Deutsch, Geschichte, Religion) verbreiten zu müssen, und die sich fortan mit ihrer ganzen Kraft der Bekennenden Kirche zur Verfügung stellte, um "nichtarischen Christen" und anderen Verfolgten unmittelbar zu helfen?
Unsere Tagung soll dazu beitragen, biographische Konturen dieser in Berlin weithin vergessenen Frau, einer "unbesungenen Heldin" par excellence, nachzuzeichnen und ihre außerordentliche Lebensleistung zu würdigen. Wie nur wenige andere hätte gerade sie ein "Denkmal" verdient.
Prof. Dr. Manfred Gailus
Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, TU Berlin
Ludwig Mehlhorn
Evangelische Akademie zu Berlin