Das Ende der Zuversicht? Die Strukturkrise der 70er Jahre als zeithistorische Zäsur

Das Ende der Zuversicht? Die Strukturkrise der 70er Jahre als zeithistorische Zäsur

Veranstalter
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
Veranstaltungsort
Berlin und Potsdam (siehe Programm)
Ort
Berlin / Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.06.2007 - 16.06.2007
Deadline
11.06.2007
Von
Dr. Hans-Hermann Hertle

Zum Tagungsthema

1) Mehr und mehr neigen Historiker dazu, das Datum des Ölpreisschocks von 1973/74 als Zäsur für die Entwicklung der hochindustriellen Länder zu betrachten. Zu diesem Zeitpunkt setzte eine Strukturveränderung ein, die eine neue Problematik ankündigte und den Kalten Krieg überlagerte – die dritte Industrielle Revolution, an der der Ostblock zerbrach, die aber der Westen mit durchwachsenem Erfolg gemeistert hat. Daher begann die „neueste Zeitgeschichte“ nicht erst mit dem Kollaps des Kommunismus, sondern schon anderthalb Jahrzehnte vorher mit dem sozio-ökonomischen und populärkulturellen Strukturwandel.

2) Ein zentrales Problem der Annäherung an diese Frage ist allerdings die Unsicherheit der wissenschaftlichen Bezeichnung. So konkurrieren Etikette wie etwa Daniel Bells „postindustrielles Zeitalter“, Jean-Francois Lyotards „Postmoderne“ und Ronald Ingleharts „Wertewandel“ miteinander, von späteren Begriffsbildungen wie Ulrich Becks „Risikogesellschaft“ ganz zu schweigen. Diese Vielfalt der Begriffsbildungen deutet auf den widersprüchlichen Charakter einer Übergangsepoche hin, der zwischen einem verbreiteten Krisengefühl und neuen Aufbrüchen schwankte.

3) Um die weit verbreitete Wahrnehmung einer Strukturkrise auszuloten, ist ein mehrdimensionaler Vermessungsversuch notwendig. Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:
Erstens: Welche wirtschaftlichen Veränderungen fanden in den siebziger Jahren statt? (regionale Entindustrialisierung, Entstehung neuer IT-Industrien etc.)
Zweitens: Was waren die sozialen Konsequenzen dieser Entwicklungen, die letztlich zur Überdehnung des Sozialstaats führten? (Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft, Einsetzen von Sockelarbeitslosigkeit etc.)
Drittens: Welche Aufbrüche fanden im Alltagsleben statt, die zu einer Pluralisierung der Lebensentwürfe führten? (neue soziale Bewegungen, Medialisierung, Migration etc.)
Viertens: Wie versuchten Politiker diese nicht mehr planbaren Entwicklungen zu steuern, die ein sozialliberales Krisenmanagement, eine konservative Wende und Renaissance des Neoliberalismus in der Bundesrepublik sowie eine realsozialistische Problemverweigerung in der DDR hervorriefen?

4) Schließlich sind auch die langfristigen Auswirkungen der Strukturkrise bis in die Gegenwart zu diskutieren. In Bezug auf den Realsozialismus geht es dabei um die strukturellen Ursachen seines Niedergangs; bei der sozialen Marktwirtschaft um die sukzessiven Stabilisierungsversuche durch kleine Systemkorrekturen, die zwar bis 1990 noch Erfolg hatten, sich aber dann in der Doppelung von Vereinigungs- und Globalisierungskrise als unzureichend erwiesen. Dabei ist es wichtig, die deutschen Reformblockaden durch kontrastierende Beispiele anderer europäischer Länder zu hinterfragen und potentielle alternative Lösungswege aufzuzeigen. Welche Veränderungen sind für die Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung notwendig und welchen Aufrufen zum Sozialabbau ist zu widerstehen?

Programm

Donnerstag, 14. Juni 2007

Ort:
Berlin, Saal A 300 im Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin-Tiergarten

19.30
Begrüßung
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Kocka
Prof. Dr. Konrad H. Jarausch

20.00
Einführungsvortrag
Prof. Dr. Gert G. Wagner, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung und Technische Universität Berlin
Die 70er Jahre: Zeitenwende oder bloß die am besten beobachtete Strukturkrise?

Kommentar: Prof. Dr. Anselm Doering-Manteuffel, Universität Tübingen

Empfang

Freitag, 15. Juni 2007

Ort:
Potsdam, Konferenzsaal im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 8, D-14467 Potsdam

9.00
Sektion 1: Wirtschaftlicher Strukturwandel

Leitreferat
Prof. Dr. André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Die 1970er Jahre als Kristallisationspunkt des wirtschaftlichen Strukturwandels in West und Ost

Prof. Dr. Stephan Lindner, Universität der Bundeswehr München
Die Entwicklung der Textilindustrie in Westdeutschland

PD Dr. Reinhold Bauer, Universität der Bundeswehr Hamburg
Ölpreiskrisen und Industrieroboter: Die 1970er Jahre als Umbruchphase für die Automobilindustrie in beiden deutschen Staaten

10.45
Kaffeepause

11.15
Prof. Dr. Wolfgang König, Technische Universität Berlin
Die 1970er Jahre als konsumgeschichtliche Wende in der Bundesrepublik

Kommentar: Prof. Dr. Ulrich Jürgens, Wissenschaftszentrum Berlin

13.00
Mittagspause

14.00
Sektion 2: Arbeit und Soziales

Leitreferat
Prof. Dr. Christoph Boyer, Universität Salzburg
Zwischen Pfadabhängigkeit und Zäsur: Ost- und westeuropäische Sozialstaaten in den siebziger Jahren

PD Dr. Michael Schwartz, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Abtreibung und Wertewandel: Individualisierung und Strafrechtsreformen in beiden deutschen Staaten um 1970

PD Dr. Marcel Boldorf, Universität Mannheim
Die „Neue Armut“: Sozialhilfe und Sozialfürsorge im Europa der 70er Jahre

15.45
Kaffeepause

16.15 – 18.00
Dr. Winfried Süß, Ludwig-Maximilians-Universität München
Das Ende des keynesianischen Traums: Sozialpolitik und Beschäftigung in den langen 70er Jahren

Kommentar: Prof. Dr. Jens Alber, Wissenschaftszentrum Berlin

19.00
Abendessen

Samstag, 16. Juni 2007

Ort:
Potsdam, Konferenzsaal im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 8, D-14467 Potsdam

9.00
Sektion 3: Aufbrüche im Alltag

Leitreferat
Prof. Dr. Ralph Jessen, Universität zu Köln
Bewältigte Vergangenheit – blockierte Zukunft? Die bundesrepublikanische Gesellschaft am Ende der Nachkriegszeit

Nina Verheyen, M.A., Wissenschaftszentrum Berlin
Distinktion durch Diskussion: Gesprächsbereitschaft als symbolisches Kapital in der westdeutschen Gesellschaft der 70er Jahre

PD Dr. Annette Vowinckel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Anmerkungen zur Mediengeschichte des Terrorismus

10.45
Kaffeepause

11.15
Dr. Patrice Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
Migration: Globale Veränderung der Regime und nationale Illusionen der Steuerbarkeit

Kommentar: Prof. Dr. Martina Kessel, Universität Bielefeld

13.00
Mittagspause

14.00
Sektion 4: Politische Problemverarbeitung

Leitreferat
Prof. Dr. Gabriele Metzler, Universität Tübingen
Staatsversagen und Unregierbarkeit in den 70er Jahren?

Dr. Peter Hübner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
1970 und die Folgen: Sozialpolitisches Krisenmanagement im sowjetischen Block

Prof. Dr. Hartmut Soell, Universität Heidelberg
Helmut Schmidt: Zwischen reaktivem und konzeptionellem Handeln

15.45
Kaffeepause

16.15
Prof. Dr. Frank Bösch, Universität Gießen
Die Krise als Chance: Die Transformation des bürgerlichen Lagers in den 70er Jahren

Kommentar: Prof. Dr. Wolfgang Merkel, Wissenschaftszentrum Berlin

17.30
Schlusswort:
Prof. Dr. Konrad H. Jarausch

Kontakt

Albrecht Wiesener
wiesener@zzf-pdm.de

www.zzf-pdm.de
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung