„Arisierung“: Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden in der NS-Zeit

„Arisierung“: Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden in der NS-Zeit

Veranstalter
Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V. NS-Dokumentationszentrum / EL-DE-Haus, Köln
Veranstaltungsort
NS-Dokumentationszentrum / EL-DE-Haus, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.06.2008 - 20.06.2008
Deadline
13.06.2008
Von
Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V.

Anlässlich der 70. Wiederkehr der so genannten Reichskristallnacht widmen sich die Historikerinnen und Historiker vor Ort (HvO) in ihrer diesjährigen Tagung dem Thema „Arisierung“, um erneut die Gesellschaft der NS-Zeit als „Profiteure" in den Blick zu nehmen.
Das Spektrum dessen, was die Forschung mittlerweile unter dem Begriff „Arisierung“ zusammenfasst, reicht von der älteren, engeren Definition, die darunter hauptsächlich die Übertragung von Vermögenswerten aus jüdischem in „arisches“ Eigentum versteht, bis hin zu der neueren, weiter gefassten Definition, welche die Verdrängung der Juden aus der deutschen Wirtschaft, aber auch den Prozess der radikalen kulturellen Säuberung aller Lebensbereiche der deutschen Gesellschaft mit einschließt.

Beide Aspekte sollen in der diesjährigen HvO-Tagung am Beispiel konkreter Städte und Kommunen zur Geltung kommen. Dabei wird die Tagung zunächst von DR. FRANK BAJOHR (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) mit einer Überblicksdarstellung zum Thema eingeleitet. Der Beitrag skizziert die Entwicklung der Forschung zu den Themen „Existenzvernichtung“ und „Arisierung“, die lange Zeit ein Schattendasein fristete, aber seit den 1990er Jahren national und international einen enormen Aufschwung erlebte. Zwei Forschungskontroversen werden näher in den Blick genommen werden, die um die Nutznießer der „Arisierung“ (Staat oder Gesellschaft) einerseits und um ihre historische Einordnung („Ideologie“ versus „Realpolitik“) andererseits kreisen. Schließlich sollen Desiderate künftiger Forschung benannt werden, darunter die Forderung, die Perspektive der betroffenen Juden stärker als bisher zu berücksichtigen, aber auch die nach einer integrativen Gesamtgeschichte von „Arisierung“ und Restitution nach 1945, die von der neueren Forschung zunehmend aufgegriffen wird.

Danach widmet sich Prof. Dr. STEFAN GOCH (Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen und außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum) der Frage, wie die von den Nationalsozialisten als Arisierung bezeichneten Wirtschaftsverbrechen an den Juden in technischer Hinsicht funktionierten.
Sofort nach der so genannten „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten begannen die „Aktionen“, welche die jüdische Bevölkerung aus dem deutschen Wirtschaftsleben verdrängen sollten. Was mit Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte begann, endete in der Überführung jüdischen Besitzes in „arische“ Hände, im zeitgenössischen Sprachgebrauch auch als „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Juden wurden materiell völlig ausgeplündert und diejenigen, die nicht fliehen konnten, ermordet. Von den Wirtschaftsverbrechen profitierten zahlreiche „Volksgenossen“, viele halfen bei der Ausraubung der jüdischen
Bevölkerung mit und bereicherten sich. An konkreten Beispielen sollen Strukturen und Prozesse der so genannten Arisierung wie auch der oft umstrittenen Rückerstattungen erläutert werden.

CHRISTIANE HOSS M.A. (Freie Mitarbeiterin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln) referiert aus ihren Recherchen zur Rückerstattung des Besitzes deportierter und emigrierter Kölnerinnen und Kölner.
Die Rückerstattungsakten aus dem Bereich der Oberfinanzdirektion Köln sind, wie auch die aus anderen Oberfinanzdirektionen, in den letzten Jahren zentral beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen in Berlin gesammelt worden und dort der Forschung zugänglich. Die Akten enthalten neben Restbeständen aus den Enteignungsakten des Oberfinanzpräsidenten aus der Zeit vor 1945 auch als Beweisstücke in den Verfahren eingereichte Originale. Geradezu unbeabsichtigt geben sie ein Bild der Jahre 1938 bis 1943: Schilderungen (z.B. durch Briefe ins Ausland), oft zeitnah, finden sich über die Zerstörung von Privat- und Geschäftsräumen am 9. November 1938, über Ablieferung von Gold und Silber, über Zwangsverkäufe von Grundbesitz, über Einzelheiten der Vorbereitung auf die Deportation oder auch darüber, was nachher in den versiegelten Wohnungen der Deportierten passierte. Neben dem für die Oberfinanzdirektion wesentlichen Moment, welche Vermögenswerte zum Zeitpunkt der Deportation noch vorhanden waren, finden sich in den Akten zahlreiche interessante Hinweise auf das Schicksal der Verfolgten wie auch die Verfahrensweisen der OFD. Christiane Hoss wird aus den Akten einige der Originale zeigen sowie charakteristische Passagen zitieren.
Neben den genannten Aspekten lassen die Akten auch einen Blick auf die Verfahrensweisen nach 1945 zu. Die Anspruchsteller, die Opfer, sahen sich nicht selten wieder denselben Akteuren gegenüber, die vor 1945 die Einziehung ihrer Vermögenswerte vorgenommen hatten. Hier ergeben sich nicht zuletzt Hinweise auf das (Unrechts-)Bewusstsein der deutschen Gesellschaft in der unmittelbaren Nachkriegzeit.

Mit Blick auf die westfälische Region wird Dr. MARLENE KLATT (freiberufliche Historikerin) die Arisierung jüdischer Firmen und Immobilien am Beispiel der Städte Hagen, Arnsberg und Niedermarsberg näher erläutern.
Um die Faktoren zu ermitteln, die die abweichende regionale und lokale Entwicklung des „Arisierungsprozesses“ bestimmten, werden drei westfälische Kommunen unterschiedlicher Größe, Struktur und Milieus vergleichend in den Blick genommen. Bei den drei untersuchten Kommunen handelt es sich um die Städte Hagen, Arnsberg und Niedermarsberg im Regierungsbezirk Arnsberg, dem der damalige Gau Westfalen-Süd zugeordnet war und mit dessen Grenzen er weitgehend übereinstimmte. Durch den komparativen Ansatz bietet sich die Möglichkeit herauszufinden, inwieweit, wie, mit welchen Motiven und unter welchen Rahmenbedingungen die offiziellen Vorgaben in der Judenpolitik des nationalsozialistischen Regimes bei der „Arisierung“ vor Ort umgesetzt wurden. Ferner wird gezeigt, wie die Reaktionen der Bevölkerung diesen Maßnahmen gegenüber waren, inwieweit diese umgesetzt wurden oder man ihnen sogar entgegen wirkte. Dabei geht Marlene Klatt der Frage nach, welche Faktoren den Verlauf des wirtschaftlichen Boykotts, der antisemitischen Verdrängung und der „Arisierung“ vor Ort bestimmten, wobei sich der Vortrag auf die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen und des Grundeigentums von Juden konzentriert.

Im Anschluss an die Tagung besteht die Möglichkeit, an einer Führung durch das EL-DE-Haus teilzunehmen.

Verbindliche Anmeldungen zur Tagung werden bis zum 13.06.2008 entgegen genommen unter info@historiker-vor-ort.de. Weitere Informationen unter www.historiker-vor-ort.de. Infos zur Anreise unter www.nsdok.de.

Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos.

Programm

10:00 Uhr Begrüßung

10:15 Uhr Dr. Frank Bajohr (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)
„Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden in der NS-Zeit.
Forschungsbilanz und offene Fragen“
anschließend Diskussion

11:15 Uhr Kaffeepause

11:30 Uhr Prof. Dr. Stefan Goch (Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen)
„Wie funktionierten eigentlich die von den Nationalsozialisten
Arisierung genannten Wirtschaftsverbrechen an den Juden?“
anschließend Diskussion

12:30 Uhr Mittagspause

13:30 Uhr Christiane Hoss M.A. (Freie Mitarbeiterin des
NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln)
„Rückerstattungs-Akten deportierter und emigrierter
Kölnerinnen und Kölner“
anschließend Diskussion

14:30 Uhr Dr. Marlene Klatt (freiberufliche Historikerin)
a„Arisierung jüdischer Firmen und Immobilien in Westfalen.
Das Beispiel der Städte Hagen, Arnsberg und Niedermarsberg“
anschließend Diskussion

15:30 Uhr Abschlusspodium

16:00 Uhr Ende der Tagung, Kaffeepause

16:15 Uhr Führung durch das NS-Dokumentationszentrum

17:00 Uhr Ende der Veranstaltung

Kontakt

Frank Ahland

Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V.

02302-2035905

info@historiker-vor-ort.de

www.historiker-vor-ort.de
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