„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? – Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er Jahren

„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? – Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er Jahren

Veranstalter
DFG-Forschergruppe: Transformation der Religion nach 1945/Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Traugott Jähnichen Evangelisch-Theologische Fakultät Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre D-44780 Bochum
Veranstaltungsort
Priesterseminar Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.05.2008 - 31.05.2008
Von
Katharina Kunter

„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? –
Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er Jahren

Die Kirchen haben in der Bundesrepublik die ohnehin starke Stellung ihrer sozialdiakonischen Institutionen weiter ausgebaut und verstärkt, insbesondere seit der Verabschiedung des BSHG im Jahr 1961, das die „Vorrangigkeit“ der freien Wohlfahrtsverbände vor kommunalen Einrichtungen sicherte. Auf der Basis dieser neuen Verrechtlichung der sozialen Arbeit kam es zu einer quantitativ wie qualitativ bedeutsamen Expansion des Sozialstaates, die mit Hilfe der Stichworte „Bürokratisierung“, „Professionalisierung“ und „Verwissenschaftlichung“ sozialer Arbeit näher zu beschreiben ist.
Der workshop thematisiert diese institutionellen Veränderungen, indem in einem ersten Schritt die Konsequenzen für die Organisationsstrukturen von Caritas und Diakonie sowie die sich entwickelnden finanziellen und sozialpolitischen Arrangements zwischen den Kostenträgern und den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden untersucht werden. Ferner sind die Auswirkungen dieser Prozesse auf die theologischen Selbstdeutungen von Caritas und Diakonie näher zu untersuchen, wobei im Protestantismus unterschiedliche Konzeptionen „diakonischer Theologie“ rivalisierten und im Katholizismus die Verhältnisbestimmungen von missionarisch-seelsorgerlichen und sozialen Aspekten des Hilfehandelns umstritten waren.
Die in den 1960er Jahren herausgebildete starke Stellung der konfessionellen Sozialverbände ist eine deutsche Besonderheit. Daher ist ein Blick auf die Entwicklung in einzelnen Nachbarländern hilfreich, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie die Gründe der jeweiligen Verbindungen von sozialstaatlichem Arrangement und konfessioneller Wohlfahrtspflege zu analysieren.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen schließlich die Verwissenschaftlichungs- und Professionalisierungsschübe in den 1960er und frühen 1970er Jahren. Die Ausbildung für soziale Berufe wurde – etwa durch die Gründung der Fachhochschulen – verwissenschaftlicht und in hohem Maße hat man psychologische und sozialwissenschaftliche Kenntnisse in die soziale Arbeit integriert, was zum herkömmlichen, dominant theologisch geprägten Verständnis sozialen Hilfehandelns z.T. in Spannung stand. Nicht zuletzt ist die Mitarbeitendenstruktur in jener Zeit von tiefen Umbrüchen geprägt. Die Zahl der traditionell stark vertretenen Ordensangehörigen bzw. Diakone und Diakonissen ging auf Grund von Rekrutierungsmangel stark zurück, viele neue, häufig professionell orientierte Mitarbeitende traten in den Dienst ein. Die Reibungspunkte, aber auch die damit verbundenen Neuorientierungen in der sozialen Arbeit sollen beispielhaft untersucht werden. Dabei spielt die Gender-Thematik eine besondere Rolle, da zu rund 70% der Mitarbeitenden in sozialen Berufen Frauen sind.
Die Hochphase der „dynamischen“ sechziger Jahre (1962-1973) markiert den Schwerpunkt dieser Tagung, nachdem die Übergangsphase der späten 1950er und frühen 1960er Jahre bereits im Rahmen einer Tagung im Jahr 2006 näher diskutiert worden ist. Während in dieser Übergangsphase mit der Verabschiedung des BSHG, der Einrichtung sozial- und diakoniewissenschaftlicher Institute sowie den ersten Bemühungen um neue Mitarbeitende und neue Handlungsformen sozialer Arbeit wichtige Weichenstellungen erfolgten, entfaltet der bundesdeutsche Sozialstaat in den 1960er Jahren eine neue Dynamik, welche nach und nach auch die Ziele sowie die Mitarbeitenden-, Organisations- und Finanzierungs-Strukturen der konfessionellen Wohlfahrtsarbeit veränderte.
Diese Überlegungen lassen sich mit Hilfe folgender Leitfragen zusammenfassen:
1. In welcher Weise reagierten Caritas und Diakonie hinsichtlich ihrer Organisations- und Finanzierungsstrukturen auf den sich entwickelnden Sozialstaat?
2. Wie veränderten sich die theologischen Selbstdeutungen von Diakonie und Caritas angesichts des Ausbaus des Sozialstaates?
3. Inwieweit handelt es sich hier um einen deutschen „Sonderweg“, welche Bedeutung haben konfessionelle Wohlfahrtsverbände in anderen europäischen Ländern?
4. Wie veränderte sich die Mitarbeitendenstruktur von Diakonie und Caritas, speziell im Blick auf die Krise der Ordens- und Diakonen/Diakonissengemeinschaften?
5. Auf welche Weise stellten sich Diakonie und Caritas auf den Professionalisierungs- und Verwissenschaftlichungsschub sozialer Arbeit ein?

Programm

„Dynamische Zeiten“ für Diakonie und Caritas? –
Auf- und Umbrüche in den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden in den 1960er Jahren
Teilprojekt IIb der DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion nach 1945“
Workshop am 30./31. Mai 2008 in Bochum

Fr., 30.5. 2008, 9.30
Prof. Dr. Traugott Jähnichen, Einleitung

Fr. 9.45-11.00
I. Expansion im Zeichen der Einbindung in den bundesdeutschen Sozialstaat – Struktur- und Organisationsentwicklung von Caritas und Diakonie nach 1961
Prof. Dr. Peter Hammerschmidt, Zur Organisation und Finanzierung der konfessionellen Wohlfahrtsverbände nach 1961
Prof. Dr. Ewald Frie, Die Integration von Diakonie und Caritas in den expandierenden Wohlfahrtsstaat
Moderation: Dr. Uwe Kaminsky

Fr. 11.20-13.00
II. Von der Barmherzigkeit zur gesellschaftlichen Mitverantwortung? –
Transformationen im Selbstverständnis von Diakonie bzw. Caritas in den 1960er Jahren
Zur Caritas: Prof. Dr. Karl Gabriel
Zur Diakonie: Prof. Dr. Gerhard K. Schäfer
Historisch-vergleichender Kommentar zu I. und II.: Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser
Moderation: Dr. Andreas Henkelmann

Fr. 15.00-16.45
III. Die europäische Vergleichsperspektive: Konfessionelle Wohlfahrtsverbände in Dänemark, Belgien und in den Niederlanden in den 1960er Jahren
Dr. Liselotte Malmgart, Die christliche Sozialarbeit in Dänemark
Prof. Dr. Jan de Maeyer, Die Caritas in Belgien
Prof. Dr. Georg Harinck, Reformierte Sozialarbeit in den Niederlanden
Moderation: PD Dr. Katharina Kunter

Fr. 17.15-18.15
IV. Professionalisierungsschübe sozialer Arbeit – Die Bedeutung der
Humanwissenschaften für diakonisch-caritative Handlungsfelder in Fallbeispielen
Dr. Dietmar Kehlbreier: EFH Bochum
Prof. Dr. Bernd Schmuhl: Bethel
Moderation: Dr. Uwe Kaminsky

18.30 Abendessen

19.30 Fortsetzung Sektion IV
Dr. Zippert: Hephata
Dr. Bernhard Frings: Stift Tilbeck

Sa., 31.5. 2008 9.15-10.45
V. Krise und Neuaufbrüche bei den Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas vor dem Hintergrund dramatischer Rückgänge in Ordensgemeinschaften und Diakonissenverbänden
Dr. Norbert Friedrich, Die Krise der Nachwuchsrekrutierung und Neuorientierungen in der Diakonissenanstalt Kaiserswerth
Dr. Joachim Schmiedl, Die Krise der Nachwuchsrekrutierung und Neuorientierungen in den sozialen „Orden“
Prof. Dr. Benad, Zum Umbruch und Mentalitätswandel der Mitarbeitendenstruktur in Bethel
Moderation: Dr. Andreas Henkelmann

11.15 Fortsetzung Sektion V.
Prof. Dr. Ute Gause, Mentalitätsveränderungen der Mitarbeitenden in Diakonie und Caritas
aus der Gender-Perspektive
Prof. Dr. Markus Lehner, Der Wandel im Selbstverständnis und in der Mitarbeitendenstruktur im Bereich der Caritas

12.15 Tagungs-Resümee
ca. 13.00 Ende der Tagung, Gelegenheit zum Mittagessen

Kontakt

PD Dr. Katharina Kunter
Ruhr-Universität Bochum
Evangelisch-Theologische Fakultät
Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre
D-44780 Bochum
Email: Katharina.Kunter@gmx.de

http://www.fg-religion.de/
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