Athen, Rom, Jerusalem: Normentransfers in der Alten Welt

Athen, Rom, Jerusalem: Normentransfers in der Alten Welt

Veranstalter
Professuren und Lehrstühle für Klassische Archäologie, Alte Geschichte, Klassische Philologie, Alttestamentliche Wissenschaft und Neutestamentliche Wissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Veranstaltungsort
Jesuitenrefektorium im Bischöflichen Seminar, Collegium Willibaldinum, Leonrodplatz 3, 85072 Eichstätt
Ort
Eichstätt
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.01.2010 - 29.01.2010
Von
Hartmann, Andreas

Die Tagung ist Teil der Vorbereitung eines Forschungsprojektes mit dem Titel „Norm, Kommunikation, Lebenswelten“, das sich aus interdisziplinärer Perspektive dem Problem der Normbegründung und -vermittlung in der antiken Mittelmeerwelt widmet, mit einem besonderen Schwerpunkt im Bereich ethisch-philosophischer und religiöser Normen. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang einerseits die Erstbegründung von Normen und ihre Legitimierung, dann aber auch die argumentative Legitimation im Kontext kultureller Transferprozesse. Gerade hier nämlich werden Normen infolge der Lösung aus ihren ursprünglichen traditionellen und sozialen Zusammenhängen prekär und bedürfen der begründenden Rechtfertigung. Im Mittelpunkt des Interesses sollen demnach nicht die Normen selbst, sondern ihre Kommunizierung in die bzw. ihre Wirksamkeit in der Lebenswelt stehen. Besonderes Augenmerk ist hier auch auf die Veränderungen zu richten, welche Normen im Zusammenhang mit dem Transfer in einen neuen kulturellen Kontext erfahren.

Das Projekt kann an den seit einigen Semestern bestehenden Masterstudiengang Kulturtransformationen – Antike: Juden Griechen Römer Christen, insbesondere dessen Semesterkolloquien, anknüpfen, in denen die Disziplinen der historischen Theologie mit denen der klassischen Altertumswissenschaften zusammengeführt werden. Es ergibt sich daraus von Beginn an eine vergleichende Perspektive, die in den Einzeldisziplinen verankerte traditionelle Konzepte wie etwa „Rezeption“, „Mission“, „Offenbarung“ einer konzeptionellen Hinterfragung und interdisziplinären relecture unterwirft.

Im Einzelnen sind folgende Schwerpunkte für die vom 27. bis zum 29. Januar 2010 stattfindende Tagung vorgesehen:

1. Norm, Literatur, Sprache: Anhand zweier Felder antiker Literatur wird die Rolle von Sprache und Literatur innerhalb von Prozessen kultureller Transformation reflektiert. Das erste ist das der Übersetzung. Da kultureller Wandel die Notwendigkeit von Übersetzungen normativer Texte mit sich bringt, lässt sich an Art und Methode solcher Übersetzungen ablesen, wie mögliche Konflikte zwischen den Kulturen, die Ausgangs- bzw. Zielpunkt der Normübertragung sind, verhandelt werden. In Fallstudien werden die antiken Übersetzungen der hebräischen Bibel ins Griechische, Lateinische und Syrische und speziell das Buch Jesus Sirach, das an der Schnittstelle von jüdischer und hellenistischer Kultur steht, untersucht.
Ein zweites Feld wird durch das Neben-, In- und Gegeneinander der paganen und der christlichen Kultur der Spätantike eröffnet. In Ablehnung, Übernahme oder Transposition paganer Denkfiguren, Argumentationsstrukturen, literarischen Formen und Motiven entfaltet sich die spätantike Literatur und Philosophie. Die Beiträge thematisieren die literarischen Strategien, die der Selbstbehauptung der mythologisch-erotischen Dichtung in der Spätantike dienen sowie die Fortschreibung antiker Erzähldichtung in der Bibelepik.

2. Norm, Bild, Relikt: Neben der Sprache sind bild- bzw. objektzentrierte Kommunikationswege in ihrer Bedeutung für die Verbreitung von Normen nicht zu unterschätzen. Dies gilt in besonderer Weise für die Vermittlung von Körper- und Habitusidealen, die durch entsprechende Vor-Bilder propagiert wurden und werden. Das sich wandelnde Bild des jungen Mannes in der antiken Kunst stellt die Frage nach der Bedeutung klassizistischer Rückgriffe auf ältere Bildprägungen in der römischen Kaiserzeit, die durchaus in einer Spannung zu den gleichzeitigen porträthaften Wiedergaben stehen.
Im Zusammenhang mit der Durchsetzung neuer Normen nimmt gerade auch die Frage der Umdeutung bei Denkmälern, Reliefs und Bildern eine wichtige Stellung ein. Neben Umdeutungen aus Unwissenheit, wie z. B. bei Petron oder Pausanias, dürfen wir besondern in der Spätantike von bewussten Umdeutungen ausgehen, welche es dem Christentum ermöglichte, ursprünglich pagane Denkmäler in den Alltag einzubeziehen. Hier ist eine besonders enge interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig. Im Rahmen der Vorbereitungstagung soll in Anknüpfung an Sektion (1) zunächst die Neukontextualisierung des vorhandenen Denkmälerbestandes in der spätantiken Stadt in den Blick genommen werden, aber auch die Kontexte von frühchristlichen Werken. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang Konstantinopel, wo durch die Überführung klassischer Bildwerke im 4. Jh. eine monumentale Tradition bewusst geschaffen wurde, wobei ältere Denkmäler aus ihrem ursprünglichen Funktions- bzw. Interpretationszusammenhang gelöst wurden. Es ergeben sich daraus grundsätzliche Fragen nach der Bildung von Memoriallandschaften und dem Ablauf von Musealisierungsprozessen in der Antike.

3. Norm, Religion, Lebenswelt: Der Transfer von Normen bedingt vielfach ihre Transposition in einen neuen, potenziell widerständigen sozialen Zusammenhang. In Anschluss an den ersten Schwerpunkt könnte man auch von der Notwendigkeit einer „Übersetzung“ in eine andere Lebenswelt sprechen, die nun freilich nicht auf der Ebene der Sprache, sondern der individuellen und sozialen Praxis erfolgt. Drei derartige Akkulturationsprozesse sollen exemplarisch behandelt und miteinander verglichen werden: Analysiert wird zunächst das Eindringen des Epikureismus in die Führungsschicht der Späten Republik, obwohl er sich keineswegs unproblematisch mit dem überkommenen römischen Wertesystem verbindet. Im Mittelpunkt steht dabei die Vermittlungstätigkeit des Philodem von Gadara. Eine interessante Parallele zum Vordringen des Epikureismus könnte in den philosemitischen Tendenzen innerhalb der römischen Aristokratie der Späten Republik und Frühen Kaiserzeit liegen. Wichtig erscheint auch der angestrebte Vergleich juden- und heidenchristlicher Identitätsdefinitionen, wobei insbesondere auch nach der spezifisch christlichen Übernahme und Umwertung von im paganen Bereich bereits etablierter Begrifflichkeit Berücksichtigung finden soll.
Während die literarische Überlieferung zumeist eher die Exklusivität von Gruppenidentitäten hervorstreicht, lässt sich in den inschriftlichen und archäologischen Quellen ein höheres Maß an Interaktion und Inklusion erkennen. Vom epigraphischen Fundmaterial aus erscheint die Lebenswelt der jüdischen Diasporagemeinden in einem neuen Licht.

Programm

Mittwoch, 27. Januar 2010

18:00 Uhr Öffentlicher Abendvortrag
Prof. Dr. Franz A. Bauer (München/Berlin): Platz und Raum im spätantiken Rom

Donnerstag, 28. Januar 2010

8:30 Uhr — Begrüßung

Sektion Norm, Religion, Lebenswelt

9:00 Uhr
Prof. Dr. Michael Erler (Würzburg): Epikur in Rom. Provokation oder Orientierungshilfe?

10:15 Uhr
Prof. Dr. Jürgen Malitz (Eichstätt): Tranquillitas und ambitio. Römische Epikureer im 1. Jh. v. Chr.

11:15 Uhr
Dr. Julia Wilker (Berlin): „… und machten diese zu einem Teil der ihren“ – Zur Motivation und Akzeptanz römischer Proselyten

14:00 Uhr
Dr. Gian Franco Chiai (Berlin): Norm, Kommunikation, Identität: Die jüdische Lebenswelt in den Inschriften

Sektion Norm, Bild, Überrest

15:00 Uhr
Prof. Dr. Gerhard Zimmer (Eichstätt): Klassizistische Jünglingsbilder - Normative Menschenbilder in
Umbruchphasen

16:30 Uhr
Dr. Alexandra Bravi (Heidelberg): „Anspruchsvolle bronzene Statuen zur Schau gestellt“ (Eus., vita Const. 3.54): Zur konfliktuellen Wahrnehmung antiker Bilder in öffentlichen Räumen Konstantinopels

17:30 Uhr
PD Dr. Jutta Dresken-Weiland (Göttingen/Regensburg): Zum medialen Aspekt christlicher Themen im Alltag

Freitag, 29. Januar 2010

Sektion Norm, Literatur, Sprache

8:30 Uhr
Prof. Dr. Burkard M. Zapff (Eichstätt): Normenbegründung vor gewandeltem Hintergrund – Jesus Sirach als Vermittler zwischen traditionellem jüdischen Glauben und hellenistischem Geist

9:30 Uhr
Prof. Dr. Helmut Utzschneider (Neuendettelsau): Die LXX als „Erzählerin“ - Beobachtungen an der LXX-Fassung der Geburts- und Kindheitsgeschichte des Mose (2,1-10)

10:45 Uhr
Prof. Dr. Bardo M. Gauly (Eichstätt): Securus amor. Pagane Traditionen in spätantiker Liebesdichtung

11:45 Uhr
Dr. Johannes Schwind (Trier): Dienerin zweier Herren? Epische Dichtung im Spannungsfeld zwischen Heiliger Schrift und Vergil

14:15 Uhr
Prof. Dr. Thomas Pittrof (Eichstätt): Synkretismus: Ein Konzept für Geschichte? Erwägungen aufgrund der Geschichte des Begriffs

15:15 Uhr
Prof. Dr. Lothar Wehr (Eichstätt): Alte Normen und neuer Glaube - Christliche Identitätsfindung in Auseinandersetzung mit dem Frühjudentum

16:15 Uhr
Dr. Andreas Hartmann (Eichstätt): Vergessen, bewahren, erfinden. Vergleichende Perspektiven auf den Umgang mit Überresten der Vergangenheit in Griechenland und Rom

17:15 Uhr — Abschluss

Kontakt

Andreas Hartmann

KU Eichstätt-Ingolstadt, Lehrstuhl für Alte Geschichte
Universitätsallee 1, 85071 Eichstätt
08421 / 93-1465
08421 / 93-1798
andreas.hartmann@ku-eichstaett.de

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