Während des 20. Jahrhunderts wurden in Europa zahlreiche historisch gewachsene Regionen infolge politischer Entscheidungen geteilt. Grenzen wurden neu gezogen und damit vielfach kompakte, über lange Zeiträume gewachsene territoriale Einheiten auseinander rissen. Beispielhaft sind das Teschener Land, Oberschlesien, Elsaß-Lothringen, die slowakisch-ungarische Grenzregion, das Banat und Siebenbürgen oder auch die Stadt Berlin zu nennen. Im Rahmen dieser transnational ausgerichteten Tagung soll anhand ausgewählter Beispiele der Frage nachgegangen werden, wie sich derartige Grenzziehungen kurz- und langfristig auf die Erinnerungskulturen und Mentalitäten beiderseits der neu entstandenen Grenzen ausgewirkt haben. Welche Bedeutung kam dabei geschichtspolitischen Initiativen in den betroffenen Regionen zu? Wie wurden bestimmte Formen von Geschichtskultur(en) durch politische Vorgaben beeinflusst? Lassen sich übergreifende Strategien zur Identitätsbildung erkennen?
In einem interdisziplinären Ansatz und unter Heranziehung vielfältiger textueller, medialer und visueller Quellengattungen sollen Geschichtskonstrukte und kulturelle Muster analysiert werden, die durch Institutionen und Medien in diesen Regionen beeinflusst und verbreitet wurden.
Auf der Tagung sollen insbesondere die realen, alltagsgeschichtlichen Wahrnehmungen und Auswirkungen der jeweiligen Geschichtskultur untersucht werden. Hierbei können Aktivitäten der öffentlichen (Selbst-)Verwaltung, des Schulwesens, kirchlicher Institutionen, von Heimat- und Geschichtsvereinen, Präsentationen in Museen und Heimatsammlungen, Darstellungen in literarischen Werken, Denkmäler und diverse Formen der Fest- bzw. Jubiläumskultur im Mittelpunkt der Referate stehen. Des Weiteren wären Analysen von Initiativen wünschenswert, die Wege zur symbolischen Überwindung von Grenzen aufgezeigt haben oder die aktuellen multiplen Austauschprozessen verpflichtet sind. Dabei werden auch aktuelle Diskussionen zur Anwendbarkeit postkolonialer Modelle auf Europa reflektiert.