'Diglossie' bezeichnet den Gebrauch zweier Sprachen/Sprachformen im selben gesellschaftlichen Umfeld, wobei den Varietäten unterschiedliche Funktionszusammenhänge und auch Wertigkeiten zugewiesen werden. Eine typische moderne europäische Situation der Diglossie ist Hochsprache/Dialekt. Für das westeuropäische Mittelalter typisch ist eine andere Situation: Latein/alle anderen Sprachen ('Volkssprachen'). Wie in wenigen anderen Kulturen gingen Schriftsprache und mündliche Kommunikationspraxis der 'politisch' Handelnden auseinander.
Das Atelier soll zum einen die häufig auf 'nationale' Einzelphilologien verteilten Kenntnisse des Zusammenspiels Latein/jeweilige Einzelsprache in einer europahistorischen Perspektive zusammenführen und für die Geschichtswissenschaft erschließen. Daneben geht es darum, die Frage nach dem Verhältnis der Sprachen unter dem Gesichtspunkt politischer Kommunikation neu zu stellen:
Welche Propria lateinischer bzw. volkssprachlicher ‚politischer Sprache‘ gibt es?
Was bedeutet die Existenz der sprachlichen Option für die politische Praxis, wie wird der Diskurs durch die besonderen sprachlichen Erweiterungs-, Ein-, Ausgrenzungsmöglichkeiten gestaltet, die das Spannungsverhältnis Latein/Volkssprache (und Rede/Schrift) mit sich bringt?
Welche unterschiedlichen Situationen und Strategien sind zu verschiedenen Zeitpunkten in den Regionen zu beobachten?
Und: Welche Konsequenzen hat dies für den Gebrauch von Methoden der historischen Semantik in der Mittelalterforschung?
Auf dem Atelier kommen historisch-soziolinguistisch interessierte Experten für die europäischen Volkssprachen mit historisch-semantisch arbeitenden Mediävisten ins Gespräch.