Verlängerung des Calls - Verschiebung der Tagung
Am 29. und 30. September 2011 findet am Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eine Tagung zum Thema „Feuerwehr und Rettungswesen“ statt. Ziel der Tagung ist es, einen breiten Blick auf die sozialen und kulturellen Dimensionen der Organisationen und Experten des Notfalls zu werfen.
Als Key-Speaker haben zugesagt:
Prof. Dr. Maja Apelt (Potsdam): Paradoxien der Organisation des Notfalls
Prof. Dr. Klaus Runggaldier (Hamburg): Beziehungen im Berufsfeld Rettungsdienst – Partner, Freunde oder Gegner?
Aus dem städtischen (Klang-)Bild sind Blaulicht und Martinshorn heute nicht mehr wegzudenken. Feuerwehr und Rettungswesens haben sich in der Moderne zu großen, technisch hochgerüsteten Organisationen mit beruflich ausdifferenziertem Expertenstand entwickelt, deren gesellschaftliche Funktion in der Bearbeitung des Notfalls liegt. Organisationen und Experten operieren dabei häufig im Modus der geregelten Ausnahme. Das charakteristische Merkmal des Notfalls besteht darin, dass er den Raum bestehender und sanktionierter Handlungsmöglichkeiten erweitert. Parallel zur historischen Genese von Feuerwehr und Rettungswesen haben sich juridische Ordnungen herausgebildet, die die Grenze erlaubter und sanktionierter Handlungen im Notfall verschieben. Exemplarisch hierfür stehen die Sonderrechte für Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdienst. Zugleich haben technische Artefakte und medizinisches Wissen die Handlungsoptionen in Notfällen massiv erweitert. Notfallmedizinisches Know-how und Techniken der „Ersten Hilfe“ haben Figuren wie die des Notarztes und des Rettungsassistenten erst ermöglicht.
Auch soziale Prozesse wirken in hohem Maße formgebend auf die Organisationen und Experten des Notfalls: so lassen sich die momentanen Herausforderungen im Bereich der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr aus langfristigen gesellschaftlichen Trends ableiten. Die Ursachen für diese Trends sind vielfältig, sie reichen von einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, über eine allgemein gestiegene Bereitschaft, professionelle Hilfe durch Feuerwehren und Rettungsdienste anzufordern bis hin zum gestiegenen Gefahrenbewusstsein jedes Einzelnen. Erwartungen hinsichtlich Erfolgsquoten und Effizienzkriterien verschärfen die Herausforderungen noch. Vorgaben zur Abdeckung und Rettungsfristen, zu medizinischen Notfallmaßnahmen vor Ort und zur Transportsicherung von Patienten spiegeln dies wider. In Folge dieser Trends nehmen die Anzahl der Notfalllagen, in denen Feuerwehreinheiten, Rettungswagen oder Notärzte zum Einsatz kommen, kontinuierlich zu. Zudem weitet sich das Spektrum der Einsätze deutlich aus, was sich in der zunehmenden Bandbreite von Ausrüstungen und Qualifikationen bei Feuerwehr und Rettungsdiensten widerspiegelt. Und schließlich nehmen die Dimension und die Komplexität der Einsätze zu. Großflächige Unwetterlagen und die zunehmende Vergegenwärtigung der Herausforderungen von Großschadenslagen nach Unfällen oder Anschlägen bringen die Organisationen an oder über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.
Auch in der gesellschaftlichen Wertschätzung scheinen sich Wandlungen abzuzeichnen. Einerseits gelten der Feuerwehrmann und der Notarzt nicht nur Kindern als Sinnbild des Retters in der Not und ihren Eltern als unproblematisches Vorbild, da sich mit den Berufsbildern Vorstellungen von Tapferkeit, Selbstlosigkeit und Souveränität verbinden. Andererseits werden den Experten und Organisationen exklusive Männlichkeit, strenge Hierarchien, hermetische Abgeschlossenheit und Korpsgeist vorgehalten: die Organisationskulturen, sofern ihre Beschreibung stimmt, scheinen in Widerspruch zu gesellschaftlichen Werten zu geraten.
Der großflächigen gesellschaftlichen Präsenz und tiefliegenden sozialen Einbettung von Feuerwehr und Rettungsdienst steht ihre überraschend dürftige sozial- und kulturwissenschaftliche Erforschung gegenüber. Auch die Anzahl historischer Studien zu den Organisationen und Experten des Notfalls ist in Deutschland überschaubar. Obschon gerade angesichts der unaufhörlich wachsenden Ansprüche an Feuerwehr und Rettungswesen eine Reflexion der sozialen und kulturellen Dimensionen der Organisationen dringend notwendig ist, ist systematische Forschung nach wie vor Desiderat. Die Tagung nimmt diese Feststellung zum Anlass, Forscherinnen und Forscher zusammenzubringen, um erstmals einen umfassenden Blick auf das Themenfeld zu werfen.
Der möglichen Themenbreite der Präsentationen sind daher keine engen Grenzen gesetzt. Denkbar sind vorrangig
- …Beiträge, die sich mit sozialen Dynamiken in und zwischen den verschiedenen Organisationen und Expertenrollen beschäftigen. Beleuchtet werden können die divergierenden Organisationskulturen von Feuerwehr und Rettungswesen, das Wechselspiel von Hierarchie und Netzwerkförmigkeit in Strukturen und Prozessen, die Genese, Institutionalisierung und Veränderung von Aufgaben und Rollen.
- …medizin- und techniksoziologische Beiträge, die die feste Integration materieller und medizinischer Techniken im beruflichen Alltag von Rettungsdienst und Feuerwehr thematisieren. Anders als der berufliche Alltag in der Klink ist der der Präklinik bisher nicht Gegenstand medizinsoziologischer Analysen gewesen.
- …makrohistorische und gegenwartsdiagnostische Arbeiten, die signifikante Verschiebungen, Umbrüche und aktuelle Herausforderungen der Organisationen aufzeigen und erklären. Entstehung und Entwicklung von Feuerwehr und Rettungswesen beruhen auf gesellschaftlichen Prozessen wie Urbanisierung, Technisierung, (Auto-)Mobilisierung und Alterung der Gesellschaft. Die virulenten Diskussionen um terroristische Gefahren oder zu den Risiken von Massenveranstaltungen gehen auch an den Notfallorganisationen nicht spurlos vorüber.
- …Forschungen, die die Beziehung von Bevölkerung und Notfallexperten analysieren. Auf welche Erwartungen stoßen Rettungswesen und Feuerwehr heute beim Bürger? Wie reagieren die Organisationen auf gestiegene Ansprüche, auf interkulturelle Hürden, auf den gut-informierten Laien? Verstehen sich die Notfallorganisationen als Dienstleister und den Bürger als Kunden?
Papers für ein Vortragsthema können bis zum 05.06.2011 eingereicht werden und sollten den Umfang von zwei Seiten nicht überschreiten. Die Vorträge sollen in eine intensive Diskussion münden. Vortragende stellen ihren Beitrag daher eine Woche vor Tagungsbeginn elektronisch zur Verfügung, damit ein Koreferent prägnante Punkte für einen Diskussionseinstieg vorbereiten kann. JedeR Vortragende übernimmt auch ein Koreferat. Angesichts des aktuellen Forschungsstandes können sich Vorträge auch auf laufende Forschungsarbeiten und vorläufige Ergebnisse beziehen.
Eine Publikation der Beiträge in einem Sammelband zur Tagung ist angestrebt.
Einsendung der Papers und Fragen bitte mailen an: nils.ellebrecht@soziologie.uni-freiburg.de