Ein goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die Brežnev-Zeit 1964-1982

Ein goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die Brežnev-Zeit 1964-1982

Veranstalter
Boris Belge / Martin Deuerlein, Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Eberhard Karls Universität Tübingen
Veranstaltungsort
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2012 - 11.02.2012
Deadline
30.09.2011
Von
Boris Belge

Lange Zeit galt es als ausgemacht, dass die Brežnev-Zeit am besten mit den Schlagwörtern Stagnation, Gerontokratie und schleichender Niedergang zu beschreiben sei. Leonid I. Brežnev selbst soll jedoch die Ziele seiner Amtsführung wie folgt charakterisiert haben: „Unter Stalin hatten alle Angst vor dem Gulag, unter Chruščev vor ständigen Veränderungen und Neuerungen, unter mir sollen die Sowjetmenschen ein friedliches Leben führen können, so dass sie normal arbeiten können.“ Könnte dieses Zitat unser Verständnis dieser Epoche erweitern? War die Zeit zwischen 1964 bis 1982 vielleicht gekennzeichnet durch ein über knapp zwei Jahrzehnte stabiles und verstetigtes Gesellschaftssystem mit eigenen Funktionslogiken, das erst rückblickend die negative Beschreibung „Stagnation“ (zastoj) verliehen bekam? Diese Frage zu beantworten fällt schwer: Obwohl Brežnev der neben Stalin am längsten amtierende Generalsekretär der KPdSU war, ist die Zeit seiner Amtsführung auf der Karte der historischen Forschung nach wie vor in wesentlichen Aspekten ein weißer Fleck. Ein Workshop setzt sich deshalb zum Ziel, diese Zeit und ihr Gesellschaftssystem besser zu verstehen. Er wird vom 9. bis zum 11. Februar 2012 am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Eberhard Karls Universität Tübingen stattfinden.

Der Workshop will die Brežnev-Zeit als eigenständige Epoche der Sowjetgeschichte betrachten und weniger als eine Vorgeschichte von Perestroika und Katastroika (dem Zerfall der Sowjetunion) ansehen. Es gilt, durch konsequente Historisierung verfestigte Narrative und Deutungsmuster von „Langeweile“ und „Stagnation“ zu hinterfragen, sowie die durch die Erforschung des Dissenses genährte einseitige Fokussierung auf Krisen- und Zerfallserscheinungen zu ergänzen: Die Sowjetunion war in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren eine politische und ökonomische Macht, die ihren Einfluss nicht nur in den sozialistischen Brüderländern, sondern auch in der so genannten Dritten Welt deutlich machte. Literaten, Künstler, Komponisten und Musiker machten auf der globalen Bühne auf sich aufmerksam. Bisher wurde viel zu selten danach gefragt, in welchem Wechselverhältnis Krisenphänomene und Aufbruch (auch in die reale oder innere Emigration), die Schaffung neuer Legitimationsfaktoren und die künstlerische Deutung der Realität zueinander stehen.

Ziel des Workshops wird deshalb sein, Nachwuchswissenschaftler miteinander in Kontakt zu bringen, die sich mittels unterschiedlicher Zugänge mit verschiedensten Themen aus diesem Zeitraum beschäftigen. Ausdrücklich erbeten sind daher neben historischen Beiträgen solche politik- und sozialwissenschaftlicher Provenienz, ebenso wie kultur-, literatur- und musikwissenschaftliche Perspektiven. Besonders erwünscht sind Beiträge, die innergesellschaftliche und internationale Phänomene in einen gemeinsamen Kontext stellen und einen Beitrag zum neu erwachten Interesse an den 1970er Jahren als einer Transformationsperiode der Industriegesellschaften in West und Ost leisten.

Folgende Fragen sollen im Mittelpunkt des Workshops stehen:
- Wie kann eine Forschung zur Brežnev-Zeit aussehen, die nicht mehr von den Paradigmen des Kalten Krieges bestimmt ist?
- Wie ist das Verhältnis zwischen Stagnation und Stabilität, Krise und Wandel in der Brežnev-Ära einzuschätzen?
- Welche Periodisierungen der Brežnev-Zeit bieten sich an?
- Welche Perspektiven auf die Brežnev-Zeit entstehen durch den Beitrag unterschiedlicher Disziplinen?
- Wie ist das Zusammenspiel von internationalen und innergesellschaftlichen Faktoren zu konzeptionalisieren und methodisch fassbar zu machen?

Interessierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler sind herzlich aufgefordert, sich mit einem kurzen Abstract (ca. 2 Seiten) ihres Forschungsprojekts bis zum 30.09.2011 zu bewerben (Kontakt siehe unten). Die Bestätigungen werden bis zum 31.10.2011 verschickt. Nach Erhalt der Zusage sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops ein Paper (max. 5.000 Wörter) einreichen, das vor dem Workshop verteilt werden wird und als Diskussionsgrundlage dient. Der Workshop wird eröffnet durch eine keynote lecture von Prof. Dr. Susanne Schattenberg. Mit Prof. Dr. Klaus Gestwa, Prof. Dr. Dietrich Beyrau und Dr. Johannes Grützmacher werden profilierte und erfahrene Forscher die Diskussionen moderieren und kommentieren. Ein Reisekostenzuschuss kann gewährt werden, falls keine eigenen Mittel zur Teilnahme an der Veranstaltung bereitstehen. Die Veranstalter bitten darum, diese zuvorderst aufzuwenden.

Programm

Kontakt

Boris Belge

Wilhelmstr. 36

07071/2972388

boris.belge@uni-tuebingen.de

http://www.uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/abteilungeninstitute/osteuropaeische-geschichte/startseite.html