Alles nach Recht und Ordnung

Alles nach Recht und Ordnung

Veranstalter
Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit
Veranstaltungsort
Reichskammergerichtsmuseum, Hofstatt 19, 35578 Wetzlar
Ort
Wetzlar
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.12.2011 - 03.12.2011
Deadline
11.11.2011
Von
Prof. Dr. Anette Baumann

Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit in der Frühen Neuzeit haben sich vor allem mit Themen befasst, die sich mit verfahrensrechtlichen Aspekten bzw. der Urteilsfindung der Richter auseinandersetzten, oder aber quantitativ nicht die Masse der dort verhandelten Rechtsstreitigkeiten darstellen, wie etwa Untertanen, Hexen, Medien oder Krieg. Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch, dass sich das Reichskammergericht und der Reichshofrat auch in vielfältiger Weise mit Regelungen des Alltags der frühneuzeitlichen Gesellschaft beschäftigten. Deshalb soll es Ziel der nächsten Tagung sein, Einblicke in diese Vielfalt der vor den Höchsten Gerichten verhandelten Rechtsstreitigkeiten zu gewähren, die im Spannungsverhältnis zwischen ordnungspolitischen Vorschriften bzw. Maßnahmen oder Privilegien und ihrer Durchsetzung stehen.

Im Einzelnen kann es darum gehen, zu überprüfen, wie die höchsten Reichsgerichte die Obrigkeit in ihrem Bemühen unterstützten, eine disziplinierende Oberaufsicht auf ihre Untertanen auszuüben. Zwar hielt das Reichskammergericht das Verbot des Fürstbischofs von Hildesheim, Kaffee zu konsumieren, für nicht justitiabel, und auch die Kriechinger Bauern wurden bei ihrem Streit um die Einhaltung der Policeystunde abgewiesen. Dennoch wurden solche und ähnliche Probleme regelmäßig vor den Höchsten Gerichten verhandelt. Hiervon ausgehend könnte gezeigt werden, welche unterschiedlichen Fallgestaltungen aus dem Bereich der Ordnungspolitik überhaupt und aus welchen Gründen an die Höchsten Gerichte gelangten. Welche ordnungspolitischen Maßnahmen wurden von der Obrigkeit in welchen Lebensbereichen ergriffen, und wie wurden sie von der Bevölkerung akzeptiert?

Sind bestimmte Materien mehr bzw. weniger häufig in den Prozessakten nachweisbar? Sind bezüglich der Prozessfreudigkeit an den Höchstgerichten in ordnungspolitischen Fällen Unterschiede zwischen Angehörigen verschiedener gesellschaftlicher oder Standesgruppen, zwischen Reichsstädten und Flächenterritorien, zwischen reichsnahen und reichsfernen Gebieten feststellbar? Wie wurden Rechtsstreitigkeiten zu ordnungspolitischen Themen beendet? Und schließlich: Welche Auswirkungen hatten Entscheidungen der Höchstgerichte auf das Spannungsfeld zwischen Ordnungspolitik und Durchsetzung vor Ort? Welche Veränderungen bei der Ordnungspolitik sind in der Zeit zwischen 1495 und 1806 durch die vor den Höchstgerichten des Reichs verhandelten Fälle erkennbar?

Zu den wichtigen ordnungspolitischen Bereichen in der Frühen Neuzeit zählten die Sozialdisziplinierung der Untertanen, aber auch Maßnahmen, um Stabilität, Sicherheit und Wohlfahrt sowie Gesundheit zu gewährleisten. Das Spektrum reicht hier von der Einhaltung des sog. Feuerrechts bis zur Durchsetzung des Verbots, Wein ausschenken zu dürfen. Vor diesem Hintergrund könnten folgende – nicht abschließend aufgezählte – Lebensbereiche angesprochen werden:

- Zahlreich sind die Auseinandersetzungen um herrschaftliche Anordnungen bzw. Privilegien mit Bezügen zu Handel und Beruf; so sind aus dem reichhaltigen Quellenmaterial etwa Rückschlüsse darauf möglich, welche Qualitätsstandards an Waren verschiedenster Art eingehalten werden mussten. Oder es wurde um die Zulassung einer weiteren Apotheke in der Nähe einer bereits bestehenden gestritten – und das 300 Jahre vor dem prominenten Apothekerurteil des Bundesverfassungsgerichts. Auch die Frage nach Zunftzugehörigkeit kann thematisiert werden.

- Obrigkeitliche Maßnahmen, die sich mit der Geld und Währung beschäftigen, zählen ebenfalls zu dem hier umrissenen Kontext. Verschiedenste Inhalte, wie zum Beispiel einzuhaltende Münzwertigkeiten und Kurse, führen dabei nur die Palette an, die häufig auch vor dem Hintergrund allgemeinerer wirtschaftlicher Problemlagen des Alten Reichs, wie etwa das kanonische Wucherverbot oder die sog. Kipper- und Wipperzeit, zu beleuchten sind.

- Bei streitigen Gegenständen zu Messen und Märkten reicht das Spektrum von Fragen zur Handelsfreiheit auf der Trave in Lübeck bis zur Zugangsberechtigung zu den Schirnen rund um die St. Bartholomäuskirche in Frankfurt.

- Anhand der Aspekte des Bauens und Wohnens können Streitigkeiten etwa um Wohnrechte der Juden in Städten oder um den einzuhaltenden Abstand zum Nachbarn ebenso wie Fragen zum Brandschutz näher beleuchtet werden.

- Schließlich können die Quellen zur Höchsten Gerichtsbarkeit neue Impulse für die Geschichte der Umwelt geben; ein Hamburger Verfahren um die Qualität des Wassers wegen Schadstoffen, die durch eine Färberei eingebracht worden waren, oder der in Lübeck rechtshängig gemachte Streit um die Zulässigkeit des Baus eines Grabens als Zulauf einer Papiermühle und Fragen zur Waldnutzung sind nur drei von unzähligen Beispielen, die vor das Reichskammergericht gelangten.

- Eng verbunden mit dieser Problematik sind Aspekte, die im Zusammenhang mit den verschiedensten Innovationen der Vormoderne stehen; nur exemplarisch seien hier etwa der Streit um die Rechtmäßigkeit eines Patents über die Ausbeutung von Kohlegruben oder die Auseinandersetzung um die Herstellung des Farbstoffes Bleiweiß genannt.

Programm

Freitag, 2. Dezember 2011

12.30 – 13.00 Uhr: Kaffee / Imbiss

13.00 – 13.20 Uhr:
Begrüßung und Einführung durch das Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit
von Prof. Dr. Anette Baumann, Wetzlar

13.20 – 15.35 Uhr: 1. Sektion – Wirtschaft
Moderation: Prof. Dr. Anja Amend-Traut, Würzburg

Dr. Nils Jörn / Wismar – Wie die Werbung nach Wismar kam. Prozesse um Werbeaufsteller vor dem Wismarer Tribunal

Dipl.-Jur. Christian Schmitt / Würzburg – Konkursrechtliche Probleme in der Rechtsprechung des Reichskammergerichts

Mag. Ellen Franke / Wien – Waren Hopfen und Malz verloren? Konflikte des Brau- und Biergewerbes vor dem Reichshofrat

15.35 – 16.05 Uhr: Kaffeepause

16.05 – 16.50 Uhr: 2. Sektion – Territorialjustiz
Moderation: Dr. Steffen Wunderlich, Leipzig

Dr. Stefan A. Stodolkowitz / Celle – Das Oberappellationsgericht Celle und die Unterscheidung zwischen Justiz- und Kammersachen

16.50 – 18.00 Uhr: 3. Sektion – Vorstellung Arbeiten / Projekte
Moderation: Britta Schneider M.A., Bamberg

Florian Lehrmann M.A. / München – Der Konflikt um die Waldung „Gemain“ zwischen dem Fürstbischof von Freising und dem Grafen von Haag im 16. Jahrhundert
Alexander Denzler M.A. / Eichstätt – Vorstellung eines 4 m langen Rotulus zur Geschichte des Reichskammergerichts

19.30 Uhr: Gemeinsames Abendessen
im Restaurant des Hotels Wetzlarer Hof

Samstag, 3. Dezember 2011

9.00 – 10.30 Uhr: 4. Sektion – Wohnen und Zusammenleben
Moderation: Dr. Stephan Wendehorst, Gießen/Wien

Lukas Lang M.A. / Graz – Medizinische Policey im Spannungsverhältnis von „Norm und Praxis“. Anmerkungen zum (medizinal)policeylichen Ordnungsdiskurs unter Joseph II.

Ulrich Hausmann M.A. / Mainz – Für „gute ordnung und policey“ und „dem gemeinen nutzen zum besten“. Die Ghettoisierung der Mainzer Juden unter Kurfürst Johann Philipp von Schönborn (1649-1673) im Rahmen einer frühkameralistischen Landespolitik

10.30 – 11.00 Uhr: Kaffeepause

11.00 – 12.30 Uhr: 5. Sektion – Gericht und Stadt Wetzlar
Moderation: Prof. Dr. Anette Baumann, Wetzlar

Alexander Denzler M.A. / Eichstätt – „Jedermann soll sich sowohl bei Tag als Nacht auf den Gassen ehrbar und still halten“: Die Wetzlarer Policey- und Tax-Ordnung von 1767

Dr. Irene Jung / Wetzlar – Kurzer Einblick in die Auswirkungen des Reichskammergerichts auf den Alltag in der Stadt Wetzlar

12.30 – 13.00 Uhr: Abschließender Kommentar

Prof. Dr. Karl Härter / Frankfurt am Main
Reichsgerichte und „gute Policey“: kurzer Ausblick auf offene Forschungsfragen und Themenfelder

(Änderungen vorbehalten.)

Kontakt

Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit

c/o Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung
Rosengasse 16
35578 Wetzlar

http://www.reichskammergericht.de
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger