Generationengeschichte und NS-Erinnerung. Emotionalisierungstechniken narrativer „Aufarbeitungen der Vergangenheit“

Generationengeschichte und NS-Erinnerung. Emotionalisierungstechniken narrativer „Aufarbeitungen der Vergangenheit“

Veranstalter
Workshop des DFG-Graduiertenkollegs „Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert"
Veranstaltungsort
Heyne-Haus, Papendiek 16, 37073 Göttingen
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.07.2012 - 21.07.2012
Von
Dr. phil. habil. Jan Süselbeck

Das Thema der „Generationen“ ist und bleibt im deutschsprachigen Literaturbetrieb in aller Munde. In den Feuilletons wurde bis zuletzt betont, wie wichtig doch der „Familienroman“ für die Gegenwartsliteratur nach wie vor geblieben sei. Besondere Bedeutung kommt im Rahmen der Generationenkonstrukte, welche die sogenannte „Väterliteratur“ bzw. diese „Familienromane“ seit etwa einem Jahrzehnt mit auffällig anhaltender Konjunktur entwerfen, der Rolle der NS-Verstrickung der ‚Kriegsgeneration‘ der Eltern oder Großeltern zu, mit der sich deren schreibende Kinder und Enkel literarisch auseinandersetzen. Bemerkenswert ist dabei auch die emotionale Ambivalenz der geschilderten Familienbeziehungen: Brüske Anklagen, eher neutral gehaltene Chroniken, kritische biografische Nachforschungen der Nachgeborenen sowie der gleichzeitige Impetus, erzählerisch eine wie auch immer geartete ‚Versöhnung‘ mit der schuldbeladenen älteren ‚Generation‘ zu gestalten, gehen hier oftmals ästhetisch Hand in Hand.

Die Göttinger Tagung bietet Raum zur kritischen Interpretation, wobei sie methodisch vor allem auf Ansätze des Emotional Turn setzt. Die narrativen Modelle markanter Prosawerke des Genres werden als Form einer speziellen „Emotionalisierungskunst“ (Thomas Anz) untersucht: Welche Gefühle könnten durch diese Geschichten bei den Rezipienten provoziert oder sollen durch sie bewusst erzeugt werden? Gibt es in diesen Texten spezifische Darstellungsmodi wie etwa solche der Fokalisierung, sind es besondere Figurenkonstellationen und -konfigurationen oder auch Plotstrukturen, die in dieser Literatur bestimmte Gefühlseffekte bzw. Affekte bei den Lesern auslösen könnten? Folgen die Texte typischen Formen bzw. ‚Skripts‘ familiärer Geschichtskonstruktion, die auf „Wechselrahmungen“ und „leerem Sprechen“ basieren, um die „kumulative Heroisierung“ (Harald Welzer) der NS-Generation nahezulegen – oder bilden sie solche sozialpsychologischen Mechanismen mit der Intention ab, diese für den Leser zu erhellen? Soll beim Rezipienten emotionale Anteilnahme im Sinne einer ‚Täter-Opfer‘-Umkehr erzeugt werden? Oder zielt das erzählerische Konzept darauf ab, beim Leser Wut und Empörung über die historische Verstrickung der ‚Tätergeneration‘ zu erzeugen?

Neben elf wissenschaftlichen Vorträgen, die Werke von Autorinnen und Autoren in den Blick nehmen werden, welche selbst wiederum verschiedenen ‚Generationen‘ der Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur zugeordnet werden und miteinander um Aufmerksamkeit im Literaturbetrieb bzw. um die erzählerische Überzeugungskraft ihrer jeweiligen Geschichtsbilder konkurrieren, nimmt der Schriftsteller Stephan Wackwitz an der Tagung teil und wird am Abend des 20. Juli 2012 im Literarischen Zentrum Göttingen aus seinem Familienroman „Ein unsichtbares Land“ lesen.

Programm

Freitag, 20. Juli 2012

13:00 Uhr
Heyne-Haus: Willkommens-Kaffee

13:30 Uhr: Tagungseröffnung

Jan Süselbeck (Marburg / Siegen / Göttingen):
Begrüßung und Einführung

Sektion I

14:00 Uhr
Markus Joch (Frankfurt am Main):
Albert und ich. Wie Alfred Andersch emotionalisierte und was davon zu halten ist

14:45 Uhr
Matthias N. Lorenz (Bern):
Flucht und Vertreibung bei Reinhard Jirgl und Günter Grass

15:30 Uhr
Kaffeepause

Sektion II

15:45 Uhr
Christine Künzel (Hamburg):
Monströse Kriegskinder. Gisela Elsners „Fliegeralarm“ (1989) – ein unerhörter Beitrag zur Bombenkriegsliteratur

16:30 Uhr
Hans-Joachim Hahn (Graz / Zürich):
Deutsche Geschichte als Fluch und Gespenst.
Literarische Inszenierung emotionaler Verstrickung bei Wackwitz und Schlink

Abendprogramm:

18:00 Uhr
Abendessen: Catering am Tagungsort

20:00 Uhr
Lesung und Diskussion:
Stephan Wackwitz, Ein unsichtbares Land. Familienroman
Literarisches Zentrum Göttingen, Düstere Straße 20, 37073 Göttingen
http://www.literarisches-zentrum-goettingen.de

Samstag, 21. Juli 2012

Sektion III

9:30 Uhr
Markus Neuschäfer (Berlin):
„Die Geschichte umlöten“: Strategien der Vergangenheitsbewältigung im zeitgenössischen Generationenroman

10:15 Uhr
Andrea Geier (Trier):
Dramatisierung, Distanzierung, Diskursivierung? Zur Funktion von Dokumenten in Timms „Am Beispiel meines Bruders“, Hahns „Unscharfe Bilder“ und Leupolds „Nach den Kriegen“

11:00 Uhr
Kaffeepause

11:15 Uhr
Urte Helduser (Marburg):
Vergangenheit als Sperrmüll. Generationengeschichte und NS-Erinnerung bei Arno Geiger

12 Uhr
Mittagspause

Sektion IV

14:00 Uhr
Sieglinde Geisel (Berlin):
Das Erbe antreten. Thomas Harlans Vatertext „Veit“ und sein ‚Oratorium‘ „Heldenfriedhof“ in ihrer Ambivalenz gegenüber der Tätergeneration

14:45 Uhr:
Sabrina Wagner (Göttingen):
Von der Moral mahnender Enkel. Autoren der Gegenwart erinnern das Nichterlebte

15:30 Uhr
Ole Frahm (Hamburg / Berlin):
Maske. Wiederholung. Fuge. Erinnerungspolitik im bundesdeutschen Comic

Kontakt

Jan Süselbeck

Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Straße 6 A, 35032 Marburg

06421/2824937

jan.sueselbeck@staff.uni-marburg.de

http://www.uni-marburg.de/fb09/ndl/personal/sueselbeck
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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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