Idealtypisch sind (Geschichts-)Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten kognitive Prozesse, die zu rationaler Erkenntnis führen. Theorien und wissenschaftliche Methoden sollen WissenschaftlerInnen ein Instrumentarium bereitstellen um ihre Forschungsgenstände möglichst objektiv zu erfassen und „Störfaktoren“ dieses Rekonstruktionsprozesses zu minimieren.
Die wissenschaftliche Praxis ist von diesem Ideal jedoch stellenweise weit entfernt, besonders da Kognition und Emotion im Arbeitsprozess nicht strikt getrennt werden können: Die Auswahl unserer Arbeitsthemen, ihre Bearbeitung und Darstellung sind – in ganz unterschiedlicher Bandbreite – oft viel stärker durch Emotionen geprägt als uns bewusst ist oder aber im Rahmen akademischer Wissenschaftlichkeit zugegeben werden kann. Dies gilt insbesondere für jene Themen, in denen Menschen Geschichte erleben und erleiden, aber auch für scheinbar neutrale, unemotionale Themen, die HistorikerInnen aus einem subjektiven Grund 'ans Herz gewachsen' sind und zu jahrelanger Beschäftigung verleitetet haben.
Emotionen beeinflussen unseren Forschungsprozess und die Darstellung unserer Ergebnisse. Sie tun dies nicht nur als didaktisches Mittel zur Vermittlung historischer Erkenntnisse, bei der Konstitution von Identitäten oder bei der Imagination von Vergangenheiten, sondern gerade auch bei der Auswahl von Quellen, bei der Konkretisierung und Vermenschlichung unpersönlicher struktureller Abläufe, bei der Beschreibung von Protagonisten. Daneben zeigt gerade die jüngere Emotionengeschichte und Wissenschaftsforschung, dass ein Denken ohne Gefühl gar nicht möglich ist, wieso also dem alten Traum vom kühlen distanzierten Wissenschaftler weiter nacheifern?
Während HistorikerInnen zunehmend Emotionen erforschen (etwa im Zuge der Ausrufung eines 'emotional turn' / Vgl. hierzu auch 'Geschichte der Gefühle' am MPI Berlin), ist der Umgang mit den eigenen Gefühlen kaum Gegenstand der methodologischen und theoretischen Reflexion. Das erstaunt vor dem Hintergrund ihrer Allgegenwärtigkeit, lässt sich aber nicht zuletzt durch die Tabuisierung und vermeintliche Unvereinbarkeit von Objektivität und Emotionalität im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess erklären. Besonders eklatant werden diese Aspekte spätestens wenn die Forschungsergebnisse dargestellt werden müssen und Geschichte zu Geschichte(n) wird. Wie und warum schreiben und repräsentieren wir Vergangenheit innerhalb bestimmter Konzepte? Welche Alternativen sind denkbar und/oder wünschenswert?
Im Rahmen des Workshops stehen Emotionen in eigenen Forschungs- und Schreibpraktiken im Fokus, denen wir uns über drei verschiedene Aspekte annähern:
- Die theoretische Reflexion über den Ort und Stellenwert von Emotionen in der wissenschaftlichen Praxis. Hierzu werden wir uns dem Thema über die gemeinsame Lektüre annähern, die bei Interesse auch die Literatur zur Geschichte der Emotionen streift. Neben 'klassischen' Texten möchten wir auch Blogs und Formen der digital history betrachten und alternative Darstellungsformen diskutieren.
- Als Abendvortrag am ersten Veranstaltungstag wird Dr. Maike Rotzoll (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Heidelberg, Forschungsschwerpunkte u.a. nationalsozialistische Psychiatrie, Künstlerische Tätigkeiten in der Psychiatrie) über ihre Erfahrungen mit Emotionen im wissenschaftlichen Arbeiten halten.
- In einem dritten Teil der Veranstaltung sollen jeweils eigene Forschungsprobleme diskutiert werden, die sich im Arbeitsprozess entwickelt haben und hinsichtlich der Bereiche Forschungspraxis und Schreibpraxis in der Runde bearbeitet werden.
Eingeladen sind alle InteressentInnen der Geistes- und Sozialwissenschaften, die über oder mit Emotionen arbeiten.
Bitte schickt uns bis zum 15. Juli eine kurze Mail, in der Interessen und/oder Forschungsprobleme kurz umrissen werden. Ferner ein kurze Projektskizze Eures aktuellen Forschungsvorhabens.
Textvorschläge für den Workshop können gerne an uns geschickt werden.
Literaturauswahl:
-White, Paul: Darwin's Emotions. The Scientific Self and the Sentiment of Objectivity, in: Isis, 100/4 (2009), S. 811-826.
- Rosenwein, Barbara H.: Worrying about Emotions in History, in: The American Historical Review, 107/3 (2002), S. 821-845.
- Michels, Stefanie: Persönliche Annäherungen – statt eines Vorwortes, in: Dies.: Schwarze Deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika, S. 7-26.
-Hurwitz, Brian / Spinozzi, Paola: Science, Discoursivity, and Narrativity, in: Dies.: Discourses and
-Narrations in the Biosciences, Göttingen 2011, S. 13-30.
-Domanska, Ewa: A conversation with Hayden White, in: Rethinking History 12/1 (2008), S. 3–21.