Wie wichtig sind uns Kulturthemen und -programme im Radio? Diese Frage stellt sich angesichts immer wieder aufkommender Diskussionen über die Legitimität ›teurer‹ öffentlich-rechtlicher Kulturwellen.
Seit Beginn des Hörfunks ist der ›Kulturauftrag‹ des Mediums ein prägender Bestandteil seiner Raison d’Etre gewesen. Seine große geografische und soziale Reichweite ließ ihn sowohl als geschickten Sammlungsort des nationalen Kanons der (Hoch)kultur als auch als Förderer und Träger neuer Produktionen auftreten. Waren die oft privilegierten Sendeplätze (und Budgets) solcher kulturellen Produktionen im Gesamtprogramm immer umstritten, flammte schon mit der technischen Ausbreitung der Kanäle durch die Entwicklung von UKW und die Liberalisierung der Medien der Streit erneut auf. Parallel differenzierte sich mit einem neuen Verständnis der Rolle sozialer Strukturen für kulturelles Handeln auch der Kulturbegriff selbst, so dass heute von einer Vielfalt von ›Kulturen‹ ausgegangen werden muss.
Gegenwärtig verändert sich der Hörfunk durch Vernetzung, digitale Technologien und neue Angebote und Gebrauchsweisen grundlegend. Gleichzeitig ist unsere Gesellschaft bestimmt von rigiden Kostensparmodellen, die nahezu all unsere Denk- und Gestaltungsprozesse lenken. Aufwendig produzierte wortzentrierte Kulturprogramme, die den öffentlich-rechtlichen Hörfunk seit seinem Entstehen Ende der 1940er Jahre prägten, geraten in neue Rechtfertigungszwänge und müssen um ihre Existenz bangen. Derzeit lassen sich insbesondere Diskussionen beobachten, wie mit den sogenannten ›Kulturwellen‹ umzugehen sei.
Die Entwicklungen stellen sowohl medien- und programmästhetische als auch gesellschaftspolitische Fragen. Wie können die oftmals traditionsgeprägten, lange bestehenden Programme in den Koordinaten digitaler Lebens- und Rezeptionsweisen gedacht werden? Sind die Netzmedien eine gute und solide Basis für qualitätsorientierte Angebote? Wie können Strukturen umgebaut oder angepasst werden, um weiterhin in einem öffentlich-rechtlichen Kontext ›Kultur‹ zu programmieren?
Aber auch jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etablieren sich Radio- und Audioanbieter, in deren Angeboten gut recherchierte Informationen und Kulturbeiträge im Zentrum stehen. Zahlreiche Applikationen (Apps) ermöglichen den schnellen Zugriff auf diese Informationen oder ein direktes Mitwirken an diesen Programmen. Wie können die ›kulturellen‹ Programmangebote des traditionell linearen Programms in die nonlinearen Strukturen des Internets überführt werden? Wie sind also ›Kulturwellen‹ als digitale ›Kulturströme‹ zu konzipieren?
Gesellschaftpolitisch tauchen neue Fragen auf. Welche Zukunft haben qualitätsorientierte Medienprodukte, haben Kunst und Kultur in Zeiten der Ökonomisierung? Ist es legitim, die Form oder sogar die Existenz bisheriger, klassischer ›Kulturwellen‹ unter ökonomischen Gesichtspunkten in Frage zu stellen? Eröffnet sich hier nicht vielmehr ein neues Medienmarktsegment, dessen Ausbau unterstützt werden muss? Wenn der öffentliche Kulturauftrag des Hörfunks bleibt, mit welchen Maßstäben können wir seinen gesellschaftlichen Wert messen? Welche Kultur brauchen wir im Radio?
Die Tagung »Kulturwellen, Kulturströme – Kultur, Radio und Internet« beleuchtet diese miteinander verwobenen Prozesse in einer historischen und gegenwartsbezogenen Perspektivierung.
Wir sind interessiert an Forschungsergebnissen, aber auch an Berichten von Mediepraktikern, die diese Medienentwicklungen im Blick und begleitet haben. Themen und Anknüpfungspunkte können u.a. sein:
- Historische und aktuelle Formen des ›Kulturradios‹
- Ergebnisse der Hörerforschung zu Kulturprogrammen und deren Hörertypen
- Veränderungen von Aufmerksamkeits- und Partizipationsformen
- Umbrüche in der Wertschöpfung und im Marketing von ›Kulturwellen‹
- Umbrüche durch die Einführung neuer Distributionswege
- Analoge und digitale soziale Netzwerke
- Prozesse der Konvergenz und der Diversifikation
- Kultur in mobilen digitalen Angeboten
- Lokale, nationale und transnationale Kompetenzen der Kulturproduktion im Hörfunk
Einreichungen müssen ein Abstract von ca. 2500 Zeichen bzw. 300 Wörtern, biografische Angaben (Ausbildung, Tätigkeiten) und die üblichen persönlichen Angaben (Name, Adresse, elektronische Kontakte) enthalten.
Einreichungen schicken Sie bitte bis zum 1. März 2013 an Dr. Veit Scheller: scheller.v@zdf.de
oder per Post: Dr. Veit Scheller, c/o ZDF Unternehmensarchiv, 55100 Mainz
Die Auswahl der Beiträge erfolgt durch ein Tagungskomitee des Studienkreises Rundfunk und Geschichte. Die Einladung zur Tagung beinhaltet die Möglichkeit der Teilnahme an allen Veranstaltungen des Medientreffpunkts Mitteldeutschland 2013.
Die Beiträge der Tagung werden anschließend im Jahrbuch des Studienkreis Rundfunk und Geschichte (Herbert von Halem Verlag) veröffentlicht.
Contributions in English are welcome. Conference language is German.