Isabell Scheele u. Jawad Daheur
Im Mittelpunkt der Diskussionen sollen konkrete Beispiele stehen, die die gegenseitigen Einflüsse der „Kolonialerfahrungen“ in diesen verschiedenen räumlichen Kontexten illustrieren. Der Begriff der „Erfahrung“ ist hier in seinen verschiedenen Sinnmöglichkeiten zu verstehen: als persönliche Erfahrung einer Realität; als Aneignung von Wissen und Kompetenzen, oder, wenn man so will, als Herausbilden eines „Sachverstandes“; schließlich auch als Experimentieren mit neuen Ideen. Um diese Themen zu umreißen, sollen zwei Hauptansätze im Vordergrund stehen:
1. Die Frage nach den Akteuren, deren individuelle Lebensläufe und insbesondere professionelle Karrieren sich gleichzeitig oder sukzessive in verschiedenen dieser Räume abgespielt haben: so z.B. Abenteurer, Journalisten, Siedler, Soldaten, Beamte, verschiedene Experten (Wissenschaftler, Ärzte, Förster, Ingenieure, usw.) ;
2. Das Problem der kulturellen Formen, Wissensbereiche, Strategien der wirtschaftlichen Nutzbarmachung, Techniken der Völkerverwaltung bzw. –überwachung, sowie der rassischen Vorstellungen, der Erfahrungen mit Krieg, ja sogar mit Völkermord, usw.
Es sollen Wechselwirkungen zwischen mindestens zwei der folgenden Forschungsgebiete dargestellt werden:
- Die offiziellen deutschen Schutzgebiete außerhalb Europas (in Afrika, Asien und in der Südsee) ;
- Andere bedeutende Zielgebiete deutscher Migranten und Siedler (z.B. Mittel- und Osteuropa,Nord- und Lateinamerika) ;
- Regionen des deutschen Reiches, die einem Prozess der « inneren Kolonisierung » unterworfen waren (Posen/ Ostpreußen, Elsass-Lothringen, Schleswig-Holstein) ;
- Die europäischen Territorien, die Deutschland während der beiden Weltkriege besetzt hatte (Russland, Polen, Ukraine, Balkanstaaten, Staaten Osteuropas, usw.) ;
- Die anderen Kolonialreiche und imperialistischen Nationen, die einer informellen deutschen Präsenz auf ihren Territorien gegenüber standen oder selbst einen Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Imperialismus ausübten (z.B. das britische oder ottomanische Reich, die USA, usw.) ;
Da diese Fragestellung viele, teilweise sehr verschiedene zeitliche und räumliche Kontexte miteinbeziehen kann, entstehen praktische und theoretische Probleme, mit denen wahrscheinlich viele Forscher schon zu kämpfen hatten. Die Tagung wird eine gute Gelegenheit sein, um derartige Probleme anzusprechen, insbesondere in Bezug auf folgende Fragen:
- Welche Argumente rechtfertigen es, zwei Gebiete in Bezug zu setzen, die weit voneinander entfernt sind, die anderen historischen Kontexten und geschichtswissenschaftlichen Schulen entsprechen?
- Wie erarbeitet man die Gegenüberstellung von Dokumentarquellen, die in verschiedenen Sprachen verfasst, qualitativ unterschiedlich und auf verschiedene Standorte verteilt sind?
- Welchen theoretischen Rahmen und welche heuristischen Mittel kann man hier anwenden? (Vergleich, Transfer, semantische Analyse, usw.)
- Wie kann man mit verschiedenen national gebundenen Traditionen der Geschichtswissenschaft umgehen, die unterschiedlich oder sogar widersprüchlich sind und nicht in ähnlicher Weise auf die großen Schulen der Forschung Bezug nehmen (siehe z.B. die vergleichsweise geringe Rezeption der postcolonial studies in Frankreich)?
Da diese Tagung sich um Fragestellungen der globalen und transnationalen Geschichte drehen wird, würde es uns sehr freuen, dass viele Teilnehmer verschiedener Herkunft vortragen, so dass möglichst weit gefächerte Gesichts- und Standpunkte zum Ausdruck kommen.