Intangible cultural heritage bezeichnet im angelsächsischen Raum.mündliche Traditionen und Ausdrucksformen, darstellende Künste, gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste, Wissen und Praktiken in Bezug auf den Umgang mit der Natur und dem Universum sowie Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken, die lebendige kulturelle Ausdrucksformen darstellen, und die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen werden und die Identität einer Gemeinschaft/Gruppe im Zeitalter einer beschleunigten Globalisierungsbewegung definieren.
Die Entstehung des „Immateriellen Kulturerbes“ hängt mit dem UNESCO- Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes zusammen, das im Jahre 2003 verabschiedet wurde. Mehr als 150 Staaten sind inzwischen der völkerrechtlich verbindlichen Konvention beigetreten, die 2006 im Kraft trat. Nachdem Frankreich der Konvention bereits 2006 beigetreten ist, hat die Bundesrepublik Deutschland dies erst 2013 vollzogen. Dieses „Erbe neuen Typs“ spiegelt zwei Entwicklungspfade wider: Einerseits die stetige Erweiterung der Kategorie „Erbe“ seit der Französischen Revolution und anderseits eine tiefgreifende Umwandlung unseres Verhältnisses zur Zeit und Zeitlichkeit mit der Entstehung und dem Triumph der „Hypermnesie“ als „Regime von Historizität“ (François Hartog) seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts.
Der unaufhaltsame Aufstieg des Kulturerbes verbindet imperative und leidenschaftliche Dimensionen und hängt selbstverständlich mit dem Triumph der Ideologie des „All Memory“ zusammen. Dieser Erfolg lässt sich auch durch die Digitale Revolution erklären.
Dieses immaterielle Erbe symbolisiert eine wichtige Zäsur in der Wahrnehmung des Begriffes „Erbe“, das bisher mit materiellen Spuren aus der Vergangenheit verbunden war. Es besteht aus einer Vielfalt kultureller Ausdruckformen, die nicht nur die Staaten, sondern die verschiedenen „communities“ auf lokaler Ebene über Generationen tradieren und erneuern. Es befindet sich im Zentrum der Identität jedes Einzelnen und bewahrt weltweit die kulturelle Vielfalt. Diese Entwicklung führt gleichzeitig zu einem neuen Kräfteverhältnis zwischen den kulturellen und politischen Institutionen sowie unter den Sozialwissenschaften wie der Ethnologie oder der Geschichtswissenschaft.
Aus dieser neuen Konstellation entstehen neue methodologischen und wissenschaftlichen Fragestellungen nicht nur für die Sozialwissenschaften (Ethnologie, Geschichtswissenschaften, Kunstgeschichte), sondern auch für die „Experten und Unternehmer des Kulturerbes“ (wie politische und kulturelle Institutionen auf lokaler und nationaler Ebene):
Welche Transformationen in Praxis und Repräsentation des Erbes sind mit diesem Erbe neuen Typs sowohl in Frankreich als in Deutschland verbunden?
Inwieweit führt das immaterielle Kulturerbe zu einer Neugestaltung des Kräfteverhältnisses zwischen den verschiedenen „communities“, politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen?
Bedeutet das immaterielle Kulturerbe den Übergang von einem staatlichen und nationalen Erbe zu einem sozialen Erbe, das die Identität einer „community“ definiert?
Ist das immaterielle Kulturerbe der Ausdruck eines beanspruchten und nicht mehr tradierten Erbes?
Ziel dieses ersten deutsch-französischen Workshops, an dem (Nachwuchs-)Wissenschaftler, Studenten und Experten des Kulturerbes beiderseits des Rheins teilnehmen, ist es anhand konkreter Fallbeispiele, die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen des immateriellen Kulturerbes in Frankreich und Deutschland unter die Lupe zu nehmen. Es geht darum, vergleichend zu betrachten, wie dieses internationale Übereinkommen in zwei verschiedenen Ländern in die Praxis umgesetzt wird.