Liberalismus in der Zwischenkriegszeit. Krise, Reform, Neuansätze. Theodor-Heuss-Kolloquium 2015

Liberalismus in der Zwischenkriegszeit. Krise, Reform, Neuansätze. Theodor-Heuss-Kolloquium 2015

Veranstalter
Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus
Veranstaltungsort
Im Himmelsberg 16, 70192 Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.03.2015 - 20.03.2015
Deadline
13.06.2014
Von
Becker, Dr. Ernst Wolfgang / Geppert, Prof. Dr. Dominik / Hacke, Dr. Jens

Die Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, eine überparteiliche Stiftung des Bundes, veranstaltet seit 1998 im etwa zweijährigen Turnus das Theodor-Heuss-Kolloquium, das sich in konzentrierter Arbeitsatmosphäre mit Themen der Zeitgeschichte auseinandersetzt. 2013 fand das Kolloquium zu dem Rahmenthema „Liberalismus im 20. Jahrhundert“ statt (Tagungsbericht unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=4827>). Diese Veranstaltung hat zahlreiche weiterführende Forschungsfragen generiert, die in den nächsten Jahren von weiteren Kolloquien aufgegriffen werden.

Im Frühjahr 2015 plant die Stiftung unter der Leitung von Dr. Ernst Wolfgang Becker (Stuttgart), Prof. Dr. Dominik Geppert (Bonn) und Dr. Jens Hacke (Hamburg) ein Kolloquium zum Thema „Liberalismus in der Zwischenkriegszeit. Krise, Reform, Neuansätze“. Ausgehend von der Weimarer Republik, aber auch mit vergleichendem Blick auf die westeuropäischen Staaten soll die Krise der liberalen Demokratien und mit ihr die Krise des liberalen Denkens nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Anlass zu neuen Forschungen geben. Eine liberale Wertordnung der parlamentarischen Demokratie geriet in dieser Epoche in Legitimationsnöte und war dem Angriff der revolutionären Linken ebenso ausgesetzt wie den Attacken einer radikalen Rechten, die nicht mehr lediglich konservativ auf die vergangene Ordnung rekurrierte, sondern – wie der Faschismus in Italien als erstes unter Beweis stellte – bereit war, neue autoritäre Herrschaftsformen auf dem Wege der Gewalt zu etablieren.

Aus guten Gründen hat sich die ideengeschichtliche Forschung bislang in erster Linie mit der Verbreitung des „antidemokratischen Denkens“ (Sontheimer) beschäftigt, um zu erklären, wie es zum „Verrat der Intellektuellen“ (Benda) kommen konnte, ob zugunsten einer linksrevolutionär-sozialistischen oder einer konservativ-revolutionären Option. Gleichwohl läuft die Diagnose von der Schwäche der liberalen Demokratie und der sie tragenden Ideen Gefahr, die Verlierer von einst gleich ein zweites Mal zu bestrafen – nämlich diejenigen Politiker, Intellektuellen und Theoretiker zu übersehen, die sich in den 1920/30er Jahren mit Elan und Reformwillen einer Modernisierung des Liberalismus verschrieben hatten. Im Sinne Detlev Peukerts ist diese Epoche als Laboratorium der politischen Ideen zu verstehen, als die Möglichkeitsräume politischen Denkens und Gestaltens neu vermessen wurden. Erst langsam wird sichtbar, dass die politik- und gesellschaftstheoretische Reflexion der Zwischenkriegszeit – insbesondere im Lager der liberalen Demokraten – ein Reservoir von Ideen bereitstellte, die nach 1945 im Europa des Kalten Krieges handlungsleitend wurden. Dies gilt für das hohe Niveau der staatsrechtlichen Debatten ebenso wie für die nationalökonomischen Diskussionen um die Einhegung des Kapitalismus, für die Suche nach internationaler Verständigung und Friedenspolitik gleichermaßen wie für europäische Einigungsbestrebungen. Der sozialliberale Leitgedanke des Wohlfahrtsstaates, die Anfänge des Ordoliberalismus, das Ringen um die wehrhafte Demokratie oder die totalitarismustheoretische Wendung gegen Faschismus und Bolschewismus – diese prägenden Konzepte reichen in ihren Ursprüngen zurück in jene Epoche, die man als eine zweite „Sattelzeit des Liberalismus“ begreifen kann.

Bislang fehlt es an einer systematischen und theoretisch fundierten Aufarbeitung dieser Reformepoche des Liberalismus, die klassischerweise stets unter dem Aspekt der Krise und des Untergangs (vor allem des parteipolitischen Liberalismus) betrachtet worden ist. Weniger als je zuvor lässt sich in der Zwischenkriegszeit ein kohärentes Verständnis von Liberalismus voraussetzen. Der parteipolitische Liberalismus blieb weiterhin zwischen dem unternehmernahen Nationalliberalismus der DVP und der sich progressiv begreifenden DDP gespalten, aber auch die anderen Parteien der Weimarer Koalition, das Zentrum und die Sozialdemokratie partizipierten an einem liberalen Diskurs. Es fiel (nicht nur in Deutschland, sondern europaweit) schwerer denn je, den Liberalismus als politische Theorie oder Ideologie eigens zu beschreiben, auch weil viele seiner Inhalte und Forderungen in den demokratischen Verfassungen Gemeingut geworden waren. Bei jedem Bestimmungsversuch überkreuzen sich Selbst- und Fremdbenennungslogiken, milieu- und klassenspezifische Definitionen (Bürgertum/Mittelstand), parteipolitische Zuordnungen und nicht zuletzt kapitalismus- und markttheoretische Schwerpunktsetzungen. Diese diversen und oftmals gegenstrebigen Diskurse können nicht ohne weiteres auf einen Nenner gebracht werden. Gleichwohl empfiehlt es sich, am Liberalismusbegriff festzuhalten und ihn mit der Sache der parlamentarischen Demokratie, des Rechtsstaates, der bürgerlichen Freiheit und der Marktwirtschaft (auch in ihrer sozial eingehegten Form) zu identifizieren.

Das Kolloquium möchte das Thema in drei Blöcken näher untersuchen:

Sektion 1: Idee des sozialen Liberalismus
Mögliche Themenaspekte:
- Abschied vom Honoratiorenliberalismus
- Frage der Partizipation und der demokratischen Verwaltung in der Massendemokratie
- Umgang mit Minderheiten
- soziale Gerechtigkeit
- politische Bildung
- Chancengleichheit

Sektion 2: Staat und Wirtschaft. Steuerung und Einhegung des Kapitalismus
Mögliche Themenaspekte:
- Suche nach dritten Wegen
- Ordoliberalismus
- Zähmung des Kapitalismus
- Debatte um Monopole

Sektion 3: Liberale Narrative zwischen Niedergang und Erneuerung
Mögliche Themenaspekte:
- Vorbild Amerika
- Liberalismus nach dem Ende des bürgerlichen Zeitalters
- Zivilisation versus Barbarei
- Bolschewismus und Faschismus
- Zeiterfahrungen, Vorstellungen von Zukunft und Fortschritt in der Krise

Die Behandlung dieser Themen soll sich an einigen Leitfragen zur Krise und Erneuerung des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit orientieren:

- Welche Entwicklungen und Veränderungen sprechen für (oder gegen) die These von einer „Sattelzeit“ des modernen Liberalismus?
- Wie lassen sich die Krisenfaktoren der europäischen Demokratie mit der Krise des Liberalismus als Ideensystem verbinden?
- Wie lässt sich der rapide Umschwung vom demokratischen „Wilsonian“ Moment in die Legitimationskrise der liberalen Demokratien Anfang der 1920er Jahre erklären?
- Welche Veränderungen und Neujustierungen erfährt der Freiheitsbegriff in politischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht?
- Inwiefern entwickelt sich die im Ersten Weltkrieg geborene Gemeinschaft der „westlichen Demokratien“ zu einer liberalen Wertegemeinschaft bzw. was steht dieser Entwicklung im Weg?
- Das Problem des Liberalismus ist in der Aufgabe beschrieben, Spannungen und Widersprüche produktiv zu machen bzw. diese Spannungen auszuhalten (Freiheit – Gleichheit, Gemeinschaft – Individuum, Meritokratie – soziale Gerechtigkeit, Rechtstaat – Zivilgesellschaft etc.). Zum größten Glaubwürdigkeitsproblem des Liberalismus wurde allerdings die Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Dies galt für das Erbe und die Präsenz des imperialen Kolonialismus, für die Forderung nach der friedlichen Regelung internationaler Konflikte und die Völkerbundidee, für das Wohlstandsversprechen des freien Marktes und für die Glaubwürdigkeit/Legitimität demokratischer Repräsentation und die Effizienz des parlamentarischen Systems. Wie versuchten die Verteidiger der liberalen Ordnung, diese Antagonismen aufzulösen?
- Ist die Hypothese tragfähig, dass die Krisenreflexion des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit mit dem Keynesianismus, dem Ordoliberalismus, der Totalitarismustheorie und den Modellen einer wehrhaften Demokratie zumindest theoretisch eine Erfolgsbilanz vorzuweisen hat, die dem politischen Niedergang des Liberalismus in jener Epoche an die Seite gestellt werden kann?

Die Veranstalter wenden sich an Zeithistoriker, Rechtshistoriker und Politikwissenschaftler, die sich in geplanten, laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten mit diesen Themen und Fragenstellungen beschäftigen und bereit sind, einen ca. 20-minütigen Vortrag auf dem Kolloquium zu halten. Die Veranstalter legen Wert auf den innovativen Charakter der Beiträge.

Bitte senden Sie Ihre Themenvorschläge mit einem Abstract von ca. 7.000 Zeichen und einem kurzen Lebenslauf bis zum 13. 6. 2014 an:
wolfgang.becker@stiftung-heuss-haus.de.

Die Stiftung übernimmt die Reise- und Übernachtungskosten der Referenten nach Maßgabe des Reisekostenrechts des Bundes sowie die Verpflegung vor Ort.

Programm

Kontakt

Dr. Ernst Wolfgang Becker

Im Himmelsberg 16, 70192 Stuttgart

wolfgang.becker@stiftung-heuss-haus.de

http://stiftung-heuss-haus.de
Redaktion
Veröffentlicht am
11.04.2014
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung