Lobbying – die Vorräume der Macht / les antichambres du pouvoir. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Lobbying – die Vorräume der Macht / les antichambres du pouvoir. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Veranstalter
Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Veranstaltungsort
Universität Bern: Unitobler, Lerchenweg 36, Hörsaal F-021
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
06.06.2014 -
Website
Von
Anja Rathmann-Lutz

Die Konzepte «Lobby/Lobbyismus» und «Interessengruppe» decken ein vielfältiges Spektrum historischer Realitäten ab. Gemäss einer weiten Definition weisen sie auf das Vorhandensein von Gruppen hin, die partielle gesellschaftliche Interessen gegenüber Obrigkeit und Behörden zu vertreten versuchen. Obwohl der Begriff des Lobbying erst in den 1830er Jahren in den USA aufkommt, existieren Vereinigungen, die beispielsweise Standes- oder Verbandsinteressen vertreten sollen, schon im Mittelalter. Im Zuge der Entwicklung des modernen Staates seit dem 18. Jahrhundert spielen solche Interessengruppen eine immer wichtigere Rolle. Auch die neuen sozialen Bewegungen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstehen, versuchen, in organisierter Form Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse zu nehmen.

Der schweizerische Kontext, der sich durch eine gewisse Tradition der privaten Selbstorganisation sowie durch einen schwachen Zentralstaat kennzeichnet, begünstigte Entwicklung mächtiger, finanz- und mitgliederstarker Interessengruppen, die in wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereichen zu zentralen Akteuren innerhalb der schweizerischen Gesellschaft wurden. Die Hauptinteressengruppen, insbesondere die Ende des 19. Jahrhunderts gegründeten Dachverbände der Wirtschaft, aber auch bereichsspezifischere Gruppen, gelten als einflussreiche «player», wenn es um die Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik geht.

Die Formen der Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse sind unterschiedlich. Manche Lobby-Gruppen haben institutionalisierte Verbindungen zu den Obrigkeiten entwickelt, indem sie dauerhaft mit der Verwaltung zusammenarbeiten oder in Expertenkommissionen mitwirken und sich so eine privilegierte Mitwirkung bei der Definition bestimmter Probleme und Politiken sichern.

Andere Einflussgruppen interagieren auf einer stärker konfliktuösen Ebene mit dem Staat, etwa indem sie ihre Mitglieder für Demonstrationen mobilisieren oder auf die Instrumente der direkten Demokratie zurückgreifen, ohne über einen formalisierten Einfluss auf den Entscheidungsprozess zu verfügen. So gibt es auch Formen des Lobbying, die sich prioritär für internationale Beziehungen und transnationale Interaktionen interessieren.

Aus den vielen möglichen Beispielen seien hier die Arbeitgeberverbände und Konsumentenvereinigungen, die Frauenbewegung, Eingaben und Bittschriften der Vormoderne, die Zünfte, die Vertretung päpstlicher oder klerikaler Interessen in Politik und Wirtschaft, die Politik des Antichambrierens, Behindertenverbände, Branchenverbände, aber auch die Branchen selber (Pharmaindustrie z.B.) genannt. Das in der Schweiz bislang wenig bearbeitete Thema des Lobbying wird in einer interdisziplinären Perspektive erforscht.

Programm

9h-9h30 Empfang

9h30-10h30 Keynote Lecture:
Pepper D. Culpepper, European University Institute, Firenze
BEYOND LOBBYING: INSTRUMENTAL AND STRUCTURAL POWER OF BUSINESS IN DEMOCRACY

11h-13h Panels 1, 2 & 3
PANEL 1: LOBBYING IN DER VORMODERNE
Chair: Anja Rathmann-Lutz (Basel)
Isabelle Schürch (Zürich): Familie, Fürsprache, Frieden? Überlegungen zum Verhältnis von Verwandtschaft, Gütern und Interessensvertretung in der spätmittelalterlichen Herrschaft der Basler Bischöfe
Philippe Rogger (Bern): Solvente Kriegsherren, vernetzte Wirte, empfängliche Politiker – Interessenspolitik auf den eidgenössischen Gewaltmärkten um 1500
Andreas Würgler (Bern): Wie beeinflusst man Ratsentscheidungen, ohne im Rat zu sitzen? Familien-Lobbying im Bern des 17. Jahrhunderts

PANEL 2: LOBBYINGSTRATEGIEN VON WIRTSCHAFTSVERBÄNDEN
Chair: André Mach, Université de Lausanne
Anina Eigenmann (Bern): Die Geister, die wir riefen...: Gelungene und misslungene Lobby-Versuche der Sozialen Käuferliga der Schweiz
Roman Wild (Zürich): Kommunikative Vorräume der Macht. Das Beispiel der schweizerischen Schuhwirtschaft in den 1930er Jahren
Pierre Eichenberger (Lausanne): Entre lobbying et coordination du patronat sur le marché du travail: L’Union centrale des associations patronales suisses entre 1908 et 1960

PANEL 3: UMWELT, VERKEHR UND KONJUNKTUR
Chair: Gisela Hürlimann (Zürich)
Melanie Salvisberg (Bern): Der Hochwasserschutz an der Gürbe – Interessensgruppen und ihre Anliegen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
Gérard Duc & Olivier Perroux (Genf): Le lobby des usagers de la route. Une comparaison des agglomérations de Bâle et de Genève (1945-1965)
Marion Ronca (Zürich): Streitpunkt Konjunktur. Die Sicht der Schweizer Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften auf die Nachkriegsprosperität und -Inflation

13h-15h Mittagessen & SGWSG-Generalversammlung

15h-17h Panels 4, 5 & 6
PANEL 4: SOZIALE BEWEGUNGEN &LOBBYING
Chair: Brigitte Studer (Bern)
Brigitte Ruckstuhl & Elisabeth Ryter (Zürich): «Die Förderung gemeinsamer Interessen». Interessenvertretung eines kantonalen Dachverbandes am Beispiel der Zürcher Frauenzentrale
Renata Latala (Fribourg): « Faire partie de la société » : l’action et le combat de la SGIPA en faveur de l’intégration socio-professionnelle des personnes en situation d’handicap mental
Flavia Grossmann (Basel): Der Einfluss italienischer AkteurInnen auf die Migrationspolitiken des Kantons Basel-Stadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Mariama Kaba (Lausanne): « D’autant plus déterminées qu’elles défendent les plus vulnérables de tous. » Les associations en faveur des personnes en situation de handicap à Genève (1950 à nos jours)

PANEL 5: VON DER INTERESSENSGRUPPE ZUM GESETZ
Chair: Matthieu Leimgruber (Genf)
Drew Keeling (Zürich): Von der offenen zur geschlossenen Grenze: Interessengruppen, Lobbies und die Politik der Migrationsgesetze in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten, 1880-1914
Manuel Duer (Zürich): «So kommt das Referendum auf den Hund...» Die Pharmalobby und ihr Kampf um die Patentgesetzrevision von 1954: Argumente– Strategien–Folgen
Thierry Delessert & Céline Naef (Lausanne): Code pénal suisse et lobbying gay et lesbien : la dépénalisation complète de l’homosexualité (1971-1992)

PANEL 6: SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN POLITIK UND WIRTSCHAFT
Chair : Janick Marina Schaufelbuehl (Lausanne)
Steven Eichenberger, Andrea Pilotti, André Mach & Frédéric Varone (Lausanne & Genf): Parlement de milice et groupes d’intérêt: de l’imbrication à la professionnalisation?
Marc Perrenoud (Bern): Une antichambre du pouvoir politique : la Ständige Wirtschaftsdelegation (1939-1972)
Andrea Franc (Basel): Wie der Vorort zum Agrarlobbyisten wurde: Die Abstimmungskampagne für das „Schoggigesetz“ im Herbst 1975

17h Abschluss der Tagung und Apéritif

Kontakt

Janick Marina Schaufelbuehl

Institut d'histoire économique et sociale; Faculté des sciences sociales et politiques
Universität Lausanne

JanickMarina.Schaufelbuehl@unil.ch