Menschliche Ernährungsgewohnheiten werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Neben ökonomischen Umständen und der bloßen Verfügbarkeit von Lebensmitteln sind medizinische sowie kulturelle und soziale Faktoren ausschlaggebend für die Entstehung individueller Ernährungspräferenzen. Insbesondere Geschlechtervorstellungen hatten und haben das Potenzial, die Ernährungsgewohnheiten von Menschen zu beeinflussen. Historisch betrachtet gibt es viele Beispiele für Lebensmittel, die phasenweise eher der weiblichen oder eher der männlichen Konsumkultur (und Physiologie) zugeschrieben wurden (z. B. Alkohol, Fleisch, Zucker, Kaffee). Auch Erfahrungen von Hunger und Übersättigung werden zum Teil geschlechtsspezifisch thematisiert. Während Magersuchterkrankungen in der öffentlichen Wahrnehmung eher weiblich konnotiert sind, wird Übergewicht häufig als männliches Leiden thematisiert. Im Hintergrund solcher Zuschreibungen standen auch medizinisch-diätetische Modelle und Vorstellungen von einer „Physiologie des Geschmacks“, wie es Jean Anthèlme Brillat-Savarin im frühen 19. Jahrhundert ausdrückte. Oft bleibt jedoch unklar, wie bedeutend der Einfluss wissenschaftlicher Aussagen auf die Erzeugung geschlechtsspezifischer Ernährungsideale war und inwieweit diese in der Praxis überhaupt zur Anwendung kamen.
Im Rahmen der Tagung sollen verschiedene Themen aus dem Spannungsfeld Gender, Ernährung und Gesundheit in historischer Perspektive diskutiert werden. Folgende Fragekomplexe bieten sich für eine nähere Betrachtung beispielsweise an:
1. Medizinisch-diätetische Konzepte und kulinarische Praktiken: Wie unterschieden sich Ernährungsgewohnheiten von Männern und Frauen in bestimmten Epochen, sozialen Kontexten und Kulturen? Welchen Einfluss hatten medizinisch-diätetische Konzepte und gesundheitliche Überlegungen auf Ernährungspraktiken? Welche Nahrungsmittel waren wann und wo besonders stark geschlechtsspezifisch markiert und welchen Anteil hatte die medizinische Forschung daran?
2. Gesunde Ernährung und geschlechtliche Identitäten: Welche Bedeutung kam der Ernährung als geschlechtsspezifischer Subjektivierungspraktik zu und welchen Stellenwert nahm dabei das Thema „Gesundheit“ ein? Welche subversiven Esskulturen gab es im Spannungsfeld von Gesundheit und Geschlecht? Wie überschnitten sich geschlechtsspezifische Ernährungsideale mit anderen identitätsstiftenden Kategorien?
3. Körpervorstellungen und Geschmackserfahrungen: Welche Körpererfahrungen und -vorstellungen waren mit bestimmten Ernährungsnormen und -praktiken verbunden? Inwiefern kann die Ernährung als eine körperliche Praxis zur Darstellung von Geschlecht im Sinne eines Doing Gender interpretiert werden? Welche Assoziationen bestanden zwischen pathologisierten Körpern und geschlechtsspezifischen Ernährungsidealen?
Neben diesen Aspekten sind weitere Ansätze und Themen denkbar und willkommen. Der Untersuchungsfokus ist weder zeitlich noch räumlich beschränkt. Präferiert werden Beiträge mit sozialhistorischer Perspektive. Die Tagung soll jedoch ausdrücklich einen interdisziplinären Austausch ermöglichen. Gewünscht ist darüber hinaus die Diskussion methodischer Zugänge und quellenbedingter Herausforderungen.
Für jeden Beitrag stehen 45 Minuten zur Verfügung, 20 Minuten für den Vortrag und 25 Minuten für die Diskussion. Die Tagungssprache ist Deutsch, einzelne Vorträge können auch auf Englisch gehalten werden. Bahnreise- und Aufenthaltskosten können übernommen werden.
Abstracts von etwa 400 Wörtern Länge sollen die Fragestellung, Methoden und Quellen enthalten. Darüber hinaus wird um kurze Angaben zur Verfasserin bzw. zum Verfasser gebeten. Bitte schicken Sie die genannten Unterlagen bis spätestens 15. Februar 2015 per Post oder E-Mail an Dr. Ole Fischer, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Straußweg 17, 70184 Stuttgart bzw. ole.fischer@igm-bosch.de. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden bis zum 15. März 2015 benachrichtigt.