Materialitätsstudien sind zu einem internationalen Forschungsparadigma verschiedener Disziplinen geworden - von Geschichte zu Literatur- und Kunstwissenschaften. Dabei strebt man nichts Geringeres als die Abkehr vom Primat des Geistes an, das im herrschenden Diskurs des Abendlandes bestand und zum Teil noch besteht. Doch sind die Varianten der Materialitätswende kulturell und disziplinär verschieden. Waren im Hinblick auf "material studies" die angelsächsischen Geschichts- und Literaturwissenschaften Vorreiter, so besteht in Frankreich und Deutschland eine kultur- und technischphilosophische Tradition, die die Materialitätswende radikal zu denken ermöglicht: Dinge, Artefakte sind keine Untertanen, sie verändern vielmehr den Menschen; Subjekte sind Produkte ihrer Relation mit den Dingen; deren Materialität ist ein Reservoir von Potentialitäten, und diese werden erst in der Interaktion mit Immateriellem ebenso aktualisiert, wie das Immaterielle materielle Mittler benötigt, um kreativ zu werden. Die Konsequenzen einer solchen Materialitätswende sind nicht gering. Sie verändern den Status tradierter Begrifflichkeit im abendländischen Denken. Französische und deutsche Philosophen, Literatur- und Kunstwissenschaftler haben mit je unterschiedlichen Argumenten die Notwendigkeit vorgeführt, sich materiellen Mediationen von Prozessualität zuzuwenden, statt ein Denken von statischen Vermittlungen zwischen vorgegebenen, abstrakten Konfigurationen fortzuführen.
Zahlreich sind die Diskursivitätsbegründer von Materialität jenseits und diesseits des Rheins. Ihr spezifischer Beitrag zu einer materiellen Epistemologie und operativen Ontologie ist vielfältig diskutiert worden: Gaston Bachelard, Georges Canguilhem, Michel Serres, Gilbert Simondon, Michel Foucault, Gilles Deleuze bis hin zu Bruno Latour. Von deutscher Seite gelten Walter Benjamin und Aby Warburg als Begründer eines Denkparadigmas, das die Abtragung des Materiellen rückgängig macht und zudem mit dem Fortleben (Benjamin) bzw. Nachleben (Warbung) auch die Methode für eine Rückvergewisserung hinsichtlich der Herkunft dieses Denkens in vorangehenden Autoren und Epochen bereitstellt. Dabei lädt auch die Lektüre von Nietzsche mit der Genealogie durch Foucault zur Erforschung derartiger Herkünfte im Materialitätsparadigma ein.
Dreißig Jahre, nachdem ein Diskursereignis die kulturelle Öffentlichkeit wachrütteln sollte, wollen wir "Materielle Mediationen im französisch-deutschen Dialog" zum Thema einer Tagung in Paris machen. Gemeint ist damit die von Jean-François Lyotard konzipierte Ausstellung "Les Immatériaux" (1985): Ausgerechnet die Tendenz zur Immaterialisierung der Wirklichkeit durch die numerischen Technologien, und durch die Zwischenstellung von Filtern, Bildern, Klängen, Zahlen, bringt auch eine Steigerung der materiellen Präsenz mit sich. Je komplexer die Dematerialisierungsvorgänge, desto dichter die materielle Kommunikation, damit aber auch ihre Opazität und die imaginäre Investition. Dieses ästhetische Prinzip der Avantgarden erlangt Gültigkeit in der Alltagskommunikation, dies wollte u.a. Lyotard mit dem Konzept der Ausstellung selbst zeigen.
Das vollständige Programm sowie den Anmeldungslink finden Sie: http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/materialitaet-und-produktion/veranstaltungen/materialite/