ZWISCHEN IMITATION UND INNOVATION. MIMETISCHE ASPEKTE DER INSTITUIERUNG MODERNER ÖKONOMIEN
Workshop der DFG-Forschergruppe Medien und Mimesis, Teilprojekt „Mimetische Ökonomien“
Universität Zürich, 1.-2. September 2015
Wendelin Brühwiler / Gleb J. Albert
CALL FOR PAPERS
In der Wirtschaftstheorie und -geschichte nehmen innovationszentrierte Erklärungsmodelle eine zentrale Rolle ein. Das von Schumpeter postulierte Bild des Unternehmers, der kraft seiner Innovationsfähigkeit zur zentralen Figur der wirtschaftlichen Dynamik der Moderne erklärt wurde, ist nach wie vor wirkmächtig, so etwa im Modell der „disruptive innovation“. Während die Technikgeschichte jüngst begonnen hat, die lange Zeit vernachlässigte Persistenz „alter“ Technologien ins Auge zu fassen, halten wir es für produktiv, auch im Kontext ökonomischer Entwicklungen den Fokus vom „komplett Neuen“ auf das „neue Alte“ zu lenken, also auf ökonomische Praktiken im Spannungsfeld zwischen Erfindung und Aneignung. Diese Praktiken und Prozesse können – im Sinne einer Alternative zu dieser Dichotomie von Imitation und Innovation – als „mimetische Ökonomien“ konzeptionell greifbar gemacht werden. Dabei wird Mimesis als „schöpferische Nachahmung“ verstanden, deren Bedeutung für die Geschichte der modernen Gesellschaften und Kulturen zunehmend wiederentdeckt wird.
Der Workshop soll zur Diskussion stellen, was sich anhand von Praktiken des Nachahmens, Kopierens und Angleichens für das Verständnis der wirtschaftlichen Dynamik vom 18. bis zum 20. Jahrhundert gewinnen lässt. Dazu wollen wir drei Ebenen unterscheiden. Erstens die Ebene der materiellen Kultur, wo mit Massenproduktion und Standardisierung im 19. – prägnanter noch mit der Digitalisierung in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. – präzedenzlos effektive Verfahren der Vervielfältigung wirksam werden. Zweitens die Ebene des Rechts, wo sich mit Copyright/Urheberrecht, Patent-, Muster-, und Markenschutz der Versuch abzeichnet, Nachahmung zu unterbinden und die Prämierung von Originalität durchzusetzen. Und drittens schließlich können diese operativen Aspekte mit der Ebene der (sozialen) Selbstverständigung verknüpft werden, um die entsprechenden Theorieangebote mit zu historisieren. Insgesamt wird die Frage aufgeworfen, inwieweit das Konzept der Mimesis hilfreich und gewinnbringend sein kann für das Verständnis moderner Ökonomien, ihre konflikthaften und dezentrierenden, aber auch harmonisierenden und kohäsiven Momente.
Über zwei weitere mögliche Aspekte wollen wir eine Diskussion anregen, weil wir glauben, dass sie für das Verständnis mimetischer Praktiken im Feld der Ökonomie von entscheidender Bedeutung sein können. Einmal wäre dies die Bedeutung von Medien – ein Begriff, mit dem eine Spannbreite von Artefakten und Apparaten bezeichnet werden kann, die über Praktiken des Gebrauchs konfiguratives Vermögen erlangen und darüber hinaus repräsentative Bedeutung für Wissensordnungen annehmen können. Eine Analyse von Medien kann es erlauben, die „Innovatoren“ mitunter als Praktiker der Mimesis auszuweisen. Die Frage, ob ökonomischer Wandel sich überhaupt erst über diese Medien und anhand der mit ihnen entstehenden Operations- und Handlungsfähigkeit in Gang setzt, schliesst an jüngere Diskussionen zur Performativität der Ökonomie (MacKenzie, Callon) an.
Zweitens könnte die Dichotomisierung ökonomischer Systeme und Praktiken in „formelle“ und „informelle“ Ökonomien überdacht werden. In modernisierungstheoretischer Ausrichtung impliziert diese Differenz ein hierarchisches Verhältnis, das wechselseitige Aneignungsvorgänge, die wir in den Blick bekommen wollen, verdeckt. Sie impliziert, dass informelle Ökonomien als noch nicht „zur Vernunft gekommene“, mindere Varianten den formalisierbaren und insofern „vernünftigen“ Modelle untergeordnet sind. Stattdessen wollen wir die Frage offener stellen, nämlich danach, inwiefern sich institutionell und diskursiv regularisierte ökonomische Aktivitäten von Anfang an aus einer Bezogenheit auf „wilde“ Formate entwickeln. Folglich wären formelle als auch informelle ökonomische Praktiken wechselseitig aufeinander bezogen. Zu denken wäre dabei an „Schattenwirtschaften“ an sich, wie auch an konkrete ökonomische Praktiken wie Schmuggel, Fälschung oder Plagiat und ihr mimetisches Wechselverhältnis mit „legalen“, formellen ökonomischen Aktionsmodi.
Der Workshop setzt sich zum Ziel, ökonomische Praktiken im Spannungsfeld zwischen Imitation und Innovation anhand von empirischen Untersuchungen zu diskutieren und/oder theoretisch weiterzudenken. Es sind Beiträge erwünscht, die sich dieser Fragestellungen in historischer Perspektive widmen, wobei Beiträge aus allen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen willkommen sind. Mit Untersuchungen zur Softwarepiraten-Subkultur der 1980er Jahre (Albert) und zum sich konstituierenden Konzept der Handelsmarke im 19. Jh. (Brühwiler) arbeiten die Veranstalter an Projekten, die Fragen nach der Bedeutung mimetischer Praktiken in jeweils emergenten „Geschäftsfeldern“ nahe legen.
Interessierte werden gebeten, bis zum 30. April 2015 einen Paper-Vorschlag von höchstens 1000 Zeichen an die Organisatoren (<wendelin.bruehwiler@uzh.ch> und <gleb.albert@uzh.ch>) zu senden. Ein Paper (10-15 Seiten) soll zum 10. August 2015 unter den Teilnehmenden zirkuliert werden.