Der 8. Mai: Ein ortloser Erinnerungsort? Internationale und interdisziplinäre Perspektiven

Der 8. Mai: Ein ortloser Erinnerungsort? Internationale und interdisziplinäre Perspektiven

Organizer
Deutsches Historisches Institut Warschau
Venue
DHIW, Al. Ujazdowskie 39, 00-540 Warszawa, Polen
Location
Warschau
Country
Poland
From - Until
08.05.2015 - 10.05.2015
Deadline
12.04.2015
Website
By
Deutsches Historisches Institut Warschau

Anlässlich des 70. Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem daraus folgenden Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa am 8. Mai und 9. Mai 1945 setzt sich der Workshop kritisch mit dem Diskurs um dieses Ereignis auseinander. Die einzelnen Beiträge widmen sich aus unterschiedlichen disziplinären und nationalen Perspektiven einerseits den historisch-zeitgenössischen Wahrnehmungen, Praxen, und Bedeutungen, andererseits den nachträglichen Bedeutungszuschreibung und fortlaufenden -generierungen in Bezug auf den 8. Mai. Dabei wird immer auch beachtet, welche Aspekte des historischen Ereignisses und seiner Auswirkungen bis in die heutige Zeit bei den verschiedenen Zugängen und Sinngebungen ausgeblendet werden. Ausgangsthese ist, dass der 8. Mai ein lieu de mémoire (Pierre Nora) ist, der keinem konkreten Ort, Datum, Symbol, Identitätsangebot oder Ritual eindeutig zugeordnet ist. Diese Unklarheit besteht zumindest für die deutsche und die gemeinsame, gesamteuropäische Gedenkkultur.

Der Begriff des Erinnerungsortes, wie in Pierre Nora benutzt, umfasst nicht nur geografisch oder räumlich bestimmbare Orte, sondern meint einen metaphorischen Ortsbegriff, der sich ebenso auf Daten, schriftliche Zeugnisse, Kunstwerke, Symbole, performative Handlungen und ähnliches beziehen kann. Die Beiträge beschäftigen sich mit ganz unterschiedlichen lieux de mémoire in dieser weiten Auslegung des Begriffs. Für Deutschland kann der 8. Mai in dieser Lesart als ortloser Erinnerungsort bezeichnet werden. Der tatsächliche Ort der Unterzeichnung der Kapitulationserklärung – am 7. Mai in Reims und aus protokollarischen Gründen am 8./9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst wiederholt – spielt im öffentlichen Diskurs nahezu keine Rolle. Zwar hat sich mit Richard von Weizsäckers Rede am 8. Mai 1985 die offizielle Deutung des militärischen Sieges über Deutschland als ‚Tag der Befreiung’ von der NS-Herrschaft durchgesetzt, dennoch konnte sich daran bislang kein hegemonialer Gedenkdiskurs in Deutschland ausbilden. Wie diese behauptete Befreiung zustande kam, wie sich die Transformation des Tages der bedingungslosen Kapitulation zum Tag der „Befreiung“ im öffentlichen Diskurs vollzog und wer aufgrund der deutschen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik nicht mehr befreit werden konnte, scheint dabei ausgeblendet zu werden.

Der Begriff der Befreiung selbst muss im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kritisch hinterfragt werden. Was er ausklammert, ist die Tatsache, dass die Befreiung vom System des Nationalsozialismus nicht Befreiung von den mentalen Strukturen in den Kategorien der deutschen „Volksgemeinschaft“ bedeutete. Es wird verschleiert, dass eine bestimmte Struktur des Denkens, vor allem der Antisemitismus, und eine rassistische Weltsicht sich nicht von heute auf morgen ändern lassen und die mentalen Strukturen, die den Nationalsozialismus und seine Verbrechen ermöglichten, in der postnationalsozialistischen Gesellschaft weiterwirkten.

Auch für die von Deutschland besetzten Länder kann nicht uneingeschränkt von einer Befreiung gesprochen werden, da die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, materiellen Zerstörungen sowie die Auswirkungen des Terrors und des Massenmordes auf die Gesellschaften und Individuen weiter fortwirkten.

Organisation und Durchführung:
Dr. Alexandra Klei (Berlin)
Dr. Katrin Stoll (Warszawa)
Dr. Annika Wienert (Berlin/München)

Programm

8. Mai 2015
Eröffnung der Ausstellung Niemands Orte.
Fotografien: Christian Herrnbeck (Berlin), Musik: Gilad Hochman (Berlin)

9. Mai 2015
Workshop (9 bis 17 Uhr) mit Beiträgen von:

Dr. Dr. Judith Kasper, Philosophin und Romanistin, Potsdam/Venedig:
Der 8. Mai in den Schriften von Primo Levi

Dr. Paweł Brudek, Historiker, Warschau:
Die Einwohner Warschaus angesichts des Kriegsendes (8. und 9. Mai 1945)

Viola Rühse (M.A.), Donau-Universität Krems, Department für Bildwissenschaften:
Deutschland 1945 in der Berichterstattung von Lee Miller

Dr. Katrin Stoll, Historikerin, Deutsches Historisches Institut Warschau:
Zum Befreiungsdiskurs in der Bundesrepublik Deutschland: Diskursive Strategien zur Befreiung von der Wirklichkeit der NS-Verbrechen, Täterschaft und Schuld

Dr. Helen Whatmore, Historikerin, London:
Awkward anniversary? Charting the public and political profile of V.E. Day commemorations in Great Britain

Dr. Judith Caen-Lyon, Historikerin, EHESS, Paris:
Vichy resurgences in the land of D-Day: A case study (Valognes)

Dr. Tatjana Timofeeva, Historikerin, Lomonossow-Universität, Moskau:
Was wir feiern sollen und woran sich erinnert wird: Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur in Russland am Beispiel der Ritualisierung des Sieges vom 9. Mai und der Kriegsdenkmäler

10. Mai 2015 (fakultativ)
Führung durch das Areal des vormaligen Warschauer Gettos und Möglichkeit zur Besichtigung des Museums der Geschichte der polnischen Juden

Die Beiträge werden eine Länge von 20 Minuten haben, anschließend gibt es jeweils die Möglichkeit zu einer ausführlichen Diskussion. Tagungssprachen werden Deutsch und Englisch sein.

Teilnahme und Anmeldung:
Für Interessierte steht eine begrenzte Zahl von Plätzen zur Teilnahme bereit. Hierfür bitten wir um die Zusendung eines kurzen Motivationsschreibens und akademischen CVs bis zum 12. April 2015 an: annika.wienert@tum.de. Die Kosten für die Teilnehmer (Anreise und Unterkunft) können nicht übernommen werden.

Kontakt: stoll@dhi.waw.pl

Contact (announcement)

Katrin Stoll

DHI Warschau, Al. Ujazdowskie 39, 00-540 Warszawa, Polen

+48 22 5258336
+48 22 5258337
stoll@dhi.waw.pl


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