Nach jüngsten Recherchen waren rund 650 der 65.000 zwischen 1933 und 1945 im Polizeigefängnis Steinwache in Dortmund Inhaftierten nach § 175 RStGB, also wegen ihrer Homosexualität verfolgte Männer oder männliche Jugendliche. Obwohl die Haftbücher der Steinwache seit Jahrzehnten von zahlreichen historisch Forschenden eingesehen und ausgewertet wurden, blieb diese Tatsache verborgen. Dennoch widmet die städtische Mahn- und Gedenkstätte Steinwache als eine der ersten Gedenkstätten bundesweit seit mehr als zehn Jahren der Verfolgung von Schwulen und Lesben einen eigenen Themenraum.
Kam die Beschäftigung mit der Verfolgung homosexueller Männer und Frauen noch vor wenigen Jahrzehnten dem Ausschluss aus der Scientific Community nahe, gibt es inzwischen einige Überblicksarbeiten und Fallstudien, die sich mit der Verfolgung (siehe den Sammelband „Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle – Verdrängt und Ungesühnt”, 2003) als auch mit den schwul-lesbischen Emanzipationsbewegungen vor und nach dem Nationalsozialismus, mit Selbstbehauptung, Subkulturen und Lebensentwürfen beschäftigen.
Im Ruhrgebiet blieb die Erforschung schwul-lesbischer Lebenswelten hingegen bisher die Sache einzelner Engagierter. Es fehlen sowohl ein umfassender Überblick zur Entwicklung in der Region als auch lokale Fallstudien in ausreichender Anzahl und Tiefe. Vereinzelte Initiativen und engagierte Personen konnten der Nichtbeachtung in Archiven und Universitäten der Region, aber auch in den historischen Vereinen nur wenig entgegensetzen.
Die ganztägige Tagung beginnt mit einem Vortrag am Freitagabend über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Veranstaltung möchte die über schwul-lesbische Lebenswelten des Ruhrgebiets Studierenden und Forschenden insbesondere aus den Geschichts- und Sozialwissenschaften, aber auch die interessierten Laien zusammenführen und eine erste Bestandsaufnahme schaffen. Die Tagung soll sich nicht allein der umfangreichen Verfolgung schwuler Männer und lesbischer Frauen in all ihren Erscheinungsformen zwischen Polizei und Justiz, Religion und Gesellschaft, Psychiatrie und Schule, Arbeitswelt und Erinnerungskultur, sondern auch den vielfältigen Formen der Selbstbehauptung zwischen Subkultur und Integration widmen. Sie konzentriert sich aus pragmatischen Gründen auf das 20. Jahrhundert, steht aber auch Vortragenden zu anderen Epochen offen.
Die Tagung soll zugleich der Vernetzung der vorhandenen Initiativen und Einzelpersonen dienen, die in den vergangenen Jahren zum Thema geforscht haben und weiterhin forschen. Zur Besonderheit des Ruhrgebietes gehört es, dass er, obwohl als homogener Raum empfunden, vielfach zersplittert und differenziert ist. Trotz der Nähe der Städte zueinander fehlt es eklatant an Zusammenarbeit und Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Tagung möchte eine bessere Zusammenarbeit lokaler Initiativen zu schwul-lesbischer Geschichte fördern und zugleich den Kontakt zu den Institutionen der Geschichts- und Sozialwissenschaften stärken. Sie soll zudem Interessierte anregen, sich mit den umrissenen Themen zu befassen.