Nationalstaat und ethnische Homogenisierung. Ungarn und Rumänien im Vergleich (1918/19-1950)

Nationalstaat und ethnische Homogenisierung. Ungarn und Rumänien im Vergleich (1918/19-1950)

Veranstalter
Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa (KGKDS), Institut für deutschsprachige Lehre und Forschung (IDLF) der Babeș-Bolyai Universität Klausenburg/Cluj-Napoca, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL)
Veranstaltungsort
Babeș-Bolyai-Universität Cluj, Hotel Universitas, Pandurilor Str. 7, Eingang Plopilor Str., Erdgeschoss
Ort
Cluj-Napoca
Land
Romania
Vom - Bis
08.10.2015 - 10.10.2015
Website
Von
Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa

Der „Nationalstaat“ ist ein Projekt, das vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart eine dauerhafte Wirkungsmächtigkeit entfaltet – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell.
Im östlichen Teil Europas, wo es zu einer Vermischung des republikanisch-politischen und kulturell-ethnischen Nations- und Nationalstaatskonzepts kam, hatte das breit gefächerte Homogenisierungsbestrebungen zur Folge, die alle Lebensbereiche umfassten. Mit dem Totalitätsanspruch des homogenisierten Nationalstaats war und ist untrennbar auch die Anwendung von Gewalt in unterschiedlicher Form verbunden. Die Folge war eine sozioökonomisch wie kulturell wirksame Marginalisierung von als Minderheit ausgewiesenen, diskriminierten gesellschaftlichen Gruppen.
Die KGKDS geht im Rahmen eines Zyklus von drei Tagungen in Zusammenarbeit mit jeweils unterschiedlichen Kooperationspartnern grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis von Nationalstaat und ethnischer Homogenisierung nach. Sie bilden den Gegenstand eines diachronen Vergleichs zwischen Rumänien und Ungarn (1867-1989/2000). Die beiden Nachbarstaaten strebten einerseits einen einheitlichen Nationalstaat an, lassen aber andererseits unterschiedliche Vorgehensweisen erkennen. Der Vergleich bietet sich besonders an, weil die beiden Nachbarstaaten einerseits der Konzeption eines einheitlichen Nationalstaats folgten, aber andererseits unterschiedliche Vorgehensweisen erkennen lassen.
Im Fokus der zweiten, ebenfalls international besetzten Tagung steht das Zeitfenster zwischen 1918/19 und 1950. Die Neuordnung Europas als Ergebnis des Ersten Weltkriegs hat Südosteuropa grundlegend verändert, auch die beiden Staaten, die im Mittelpunkt des Interesses des Tagungszyklus stehen. Dem Verlierer, durch die kurzlebige Räterepublik erschütterten, in Trianon territorial erheblich verkleinerten Ungarn stand mit Rumänien ein Sieger gegenüber, der sein Staatsterritorium auch zu Lasten Ungarns beträchtlich erweitern konnte. Einer dadurch im Vergleich zur Vorkriegszeit gegebenen größeren ethnischen Homogenität Ungarns entsprach der neue „Nationalitätenstaat“ Rumänien, der sich um die Integration der mit den territorialen Erweiterungen hinzugekommenen neuen Staatsbürger unterschiedlicher ethnischer Gruppen bemühte. War Ungarns Augenmerk darauf gerichtet, die Bestimmungen von Trianon zu revidieren, setzte der Nachbarstaat alles daran, den erlangten territorialen Status „Großrumänien“ abzusichern. Diesem Ziel diente der Beitritt zu der gegen Ungarn gerichteten Kleinen Entente. Hatte in Rumänien die Monarchie den Ersten Weltkrieg überlebt, stand im Königreich Ungarn nach dem Intermezzo der Räterepublik Reichverweser Horthy an der Staatsspitze.
Die ungleichen Nachbarn verbanden ihre unterschiedlichen Ziele und bestimmten in der Folgezeit sowohl ihre zunehmend diktatorische Züge aufweisende Innen- als auch die Außenpolitik. Dem Reichsverweser auf ungarischer Seite stand in Rumänien ab Ende 1940 der „Staatsführer“ Antonescu gegenüber. Beide Staaten näherten sich nach und nach den Achsenmächten an und wurden, in der Hoffnung, ihre nationalen Ziele dadurch zu erreichen, Verbündete des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Ungarn gelang es, auch zu Lasten Rumäniens, einige 1918/20 verloren gegangene Gebiete wieder zu erhalten. Rumänien musste darüber hinaus Gebiete an die Sowjetunion und Bulgarien abtreten. Alle damit verbundenen territorialen Veränderungen wirkten sich auf die Politik der beiden Staaten gegenüber den Minderheiten aus. Als Verbündete des Deutschen Reiches waren beide Staaten am Krieg gegen die Sowjetunion und, wenn auch in unterschiedlichem Maß, am Holocaust beteiligt.
Auf den Frontwechsel Rumäniens im August 1944 folgte im Oktober 1944 in Ungarn die Übernahme der Regierung durch die vom NS-Deutschland unterstützten Pfeilkreuzler. Bei Kriegsende gelangte die im Dezember 1944 in Debrecen eingesetzte provisorische Regierung der ungarischen nationalen Unabhängigkeitsfront an die Macht. Am Ende des Zweiten Weltkriegs fanden sich beide Staaten in dem sowjetischen Einflussbereich wieder. Sie partizipierten in unterschiedlichem Maß an den europäischen Zwangsmigrationen der unmittelbaren Nachkriegszeit, die der Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats verpflichtet waren. Wies Ungarn etwa die Hälfte seiner deutschen Minderheiten aus, wurden in Rumänien keine vergleichbaren, dafür aber andere diskriminierende Maßnahmen gegen einige seiner Minderheiten ergriffen.
Im Mittelpunkt der Tagung, die die beiden, auch als neuer Dreißigjähriger Krieg charakterisierten Nachkriegszeiten im Blick hat, stehen die unterschiedlichen Ausgangspositionen der beiden Länder Rumänien und Ungarn in diesem Zeitraum, ihr jeweiliges Verständnis von Nationalstaat und die Frage, welche Homogenisierungskonzepte die beiden Staaten verfolgten. Der spezifische Umgang der beiden Staaten mit ihren Minderheiten stellt dabei ein zentrales Anliegen dar. Fallbeispiele nach mehreren Zeitschnitten gegliedert sollen die Rechtsstellung von Minderheiten und ihre Integrationsbemühungen ebenso beleuchten wie Assimilationsmaßnahmen, Bevölkerungsverschiebungen, Ausweisungen und Umsiedlungen. Ziel ist es, durch einen konsequenten Vergleich Aufschluss über die jeweiligen Charakteristika ethnischer Homogenisierungspolitik in den beiden Staaten zu erhalten und welche Ergebnisse sie zeitigten.

Programm

Donnerstag, 08. Oktober 2015

17.30 Uhr: Auftakt der Tagung im Rahmen des Festaktes des 40-jährigen Jubiläums der Partnerschaft zwischen der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Napoca und der Eberhard Karls Universität Tübingen mit Ansprachen der Rektoren Acad. Prof. Dr. Ioan-Aurel Pop (Klausenburg/Cluj-Napoca) und Prof. Dr. Bernd Engler (Tübingen)

Fest- und Einführungsvortrag
Südosteuropa als Ergebnis des Ersten Weltkriegs. Kontext – Probleme – Perspektiven
Prof. Dr. Vasile Puşcaş (Klausenburg/Cluj-Napoca)

Freitag, 09. Oktober 2015

9.00 Uhr: Begrüßung und Einführung
Mathias Beer (Tübingen)

09.15-10.45 Uhr: Nationalstaatskonzeptionen von Siegern und Verlierern

Moderation und Kommentar
Carl Bethke (Tübingen)

Die „christlich-nationale Revolution“ und der Stephansgedanke. Die ungarische Nationalstaatskonzeption 1919-1944
Gerhard Seewann (Fünfkirchen/Pécs)

Rumänische Nation und Nationalstaat. Elitendiskurse in der Zwischenkriegszeit
Hans-Christian Maner (Mainz)

Diskussion

10.45-11.15 Uhr: Kaffeepause

11.15-12.45 Uhr: Der Stellenwert der Minderheiten in den beiden Staaten am Ende des Ersten Weltkriegs

Moderation und Kommentar
Reinhard Johler (Tübingen)

Die Minderheitenfrage in Ungarn vor und nach Trianon
Zsolt Vitári (Fünfkirchen/Pécs)

Rumänische Politiker und die Minderheitenfrage 1915-1923
Mariana Hausleitner (München)

Diskussion

12.45-14.15 Uhr: Mittagspause

14.15-15.45 Uhr: Minderheitenpolitik in der Zwischenkriegszeit

Moderation und Kommentar
Harald Heppner (Graz)

Eine feste Burg ist unsre Nation? Ungarische Nationalitätenpolitik in der Zwischenkriegszeit
Ferenc Eiler (Budapest)

Minderheitenstatus in „Großrumänien“. Recht und Eigen-Sinn im postimperialen Kontext
Florian Kührer-Wielach (München)

Diskussion

15.45-16.15 Uhr: Kaffeepause

16.15-17.45 Uhr: Bevölkerungsaustausch während des Zweiten Weltkriegs

Moderation und Kommentar
Zsolt Vitári (Fünfkirchen/Pécs)

„Heim ins Vaterland“. Die Umsiedlung der Bukowinasekler während des Zweiten Weltkrieges
Norbert Spannenberger (Leipzig)

Homogenisierung und ethnische Säuberung. Umsiedlungspläne in Rumänien 1940-1944
Otmar Traşcă (Klausenburg/Cluj-Napoca)

Diskussion

Samstag, 10. Oktober 2015

09.00-10.30 Uhr: Holocaust

Moderation und Kommentar
Zoran Janjetović (Belgrad/Beograd)

Der Holocaust in Ungarn
Brigitte Mihok (Berlin)

Das Antonescu-Regime und die „Judenfrage“.
Hildrun Glass (München)

Diskussion

10.30-11.00 Uhr: Kaffeepause

11.00-12.30 Uhr: Umgang mit Minderheiten am Ende des Zweiten Weltkriegs

Moderation und Kommentar
Mathias Beer (Tübingen)

Der Platz und die Rolle der Nationalitäten im politischen Machtgefüge Ungarns 1945-1950
Ágnes Tóth (Fünfkirchen/Pécs)

Der unbeabsichtigte Sonderweg. Die deutsche Minderheit in Rumänien 1944-1949
Hannelore Baier (Bukarest/Bucureşti)

Diskussion

12.30-1300 Uhr: Zusammenfassung und Abschlussdiskussion

Kommentar und Moderation
Mathias Beer (Tübingen)

Kontakt

Karl-Peter Krauss

Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Tübingen

karl.peter.krauss@idgl.bwl.de


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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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