Es ist ein Gemeinplatz, dass wir in einer interdependenten Welt leben. Ob von globalen Finanztransaktionen und Warenströmen die Rede ist, von Steuerflucht, grenzüberschreitendem Terrorismus, von der sogenannten Flüchtlingskrise oder von anthropogenen Veränderungen des Zustands des Planeten wie dem Klimawandel und dem jüngst ausgerufenen „Anthropozän“: All diese Phänomene betrachten wir als Folgen von menschlichen Aktivitäten, die an geographisch weit voneinander entfernten Orten stattfinden, zugleich aber untereinander komplex kausal verschränkt sind – als Erscheinungen eines Weltsystems.
So evident allerdings die Diagnose globaler Interdependenz scheint: Die Handlungszwänge, die sich aus ihr ergeben, sind meist äußerst vermittlungsbedürftig. Beispielsweise hat der Soziologe Bruno Latour vor Kurzem darauf hingewiesen, dass jeder Versuch, den „Anthropos des Anthropozän“ zu adressieren, also die Menschheit zu umweltfreundlichem Handeln zu bewegen, auf „Kommensurabilitätsfiktionen“ aufbauen muss. Latour meint damit mediengestützte Verfahren, die es überhaupt erst erlauben, planetare Prozesse mit der eigenen, individuellen Lebensführung in Bezug zu setzen.
Der Gießener Workshop „Making Global Minds. Globale Interdependenz zwischen Wissenschaft und Medialisierung“ geht nun von der Hypothese aus, dass die Wahrnehmung der „einen Welt“ als System schon seit einigen Jahrzehnten, spätestens aber seit den 1970er Jahren, die Gemüter beschäftigt – und zwar nicht nur mit Blick auf den Klimaschutz. Auf dem Workshop soll also zum einen genauer sondiert werden, seit wann und auf Basis welcher Wissensbestände Globalität als ein von grenzüberschreitend verflochtenen, natürlich/wirtschaftlich/demografisch/politisch/sozialen Rückkoppelungsschlaufen geprägter dynamischer Zustand konzeptionalisiert wird.
Es soll aber zum anderen auch beleuchtet werden, wie sich aus einer solchen Interdependenzdiagnostik (und der damit verbundenen Erwartung eines Verlusts nationaler politischer Souveränität) jeweils bestimmte Handlungsempfehlungen ergeben haben, und wie diese verbreitet wurden: Forderungen etwa nach einer supranationalen „Weltinnenpolitik“ oder „Global Governance“, nach einem ökotechnokratischen „Planet Management“, oder eben nach gewissermaßen „glokalistischen“ Verhaltensroutinen aufseiten von Weltbürgern, die es, ganz im Sinne Latours, in der Regel erst heranzubilden galt.
Die Workshopbeiträge untersuchen Konzeptionalisierungen von Globalität im 20. Jahrhundert daher erstens in einer ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive. Dabei sollen Überlegungen der historischen Epistemologie aufgegriffen werden, die um die Funktion von Repräsentationen visueller Art im wissenschaftlichen Prozess kreisen. Auf dem Workshop wird also Medien, die globale Interdependenz erst evident erscheinen ließen, besondere Aufmerksamkeit gewidmet: Weltkarten, diagrammatischen Bestandsaufnahmen der Ressourcen der Erde und nicht zuletzt fotografischen Außenansichten des Planeten, aber auch Grafiken, die im Zuge der computergestützten Modellierung der globalen „Grenzen des Wachstums“ entstanden.
Zweitens sollen Prozesse der Popularisierung und Anverwandlung von dergestalt repräsentiertem Wissen jenseits der Wissenschaften rekonstruieren werden. Welche konkreten Praktiken der Vermittlung komplexer weltweiter Wirkungszusammenhänge in der Öffentlichkeit gab es im vergangenen Jahrhundert? Wer waren die Akteure, welche Rolle spielten für sie wiederum Medien?
Mit solchen Fragen verbunden gilt es drittens – auch im kontrastierenden Blick zurück ins späte 19. Jahrhundert – die Hypothese zu prüfen, dass sich insbesondere entlang der „Eine-Welt“-Pädagogik, also der Didaktisierung persönlicher Verantwortung für die Weltgeschicke, grundlegende gesellschaftliche Wandlungsprozesse im sogenannten globalen Norden herausarbeiten lassen. Kann die Analyse von Bemühungen, neue „Selbst/Welt-Verhältnisse“ zu stiften, auch zur Periodisierung der (Zeit-)Geschichte der Industriegesellschaften Europas und Nordamerikas beitragen? Lässt sich etwa eine Korrelation zwischen dem vielzitierten „Shock of the Global“ der 1970er Jahre und der Entstehung neuer, glokalistsicher Politikformen nachweisen?
Bitte melden Sie sich bei Interesse an einer Teilnahme per e-mail.