Gesellschaften und Terror (von 1960 bis heute): Diskurs, Erinnerung, Identität. Internationale Tagung

Gesellschaften und Terror (von 1960 bis heute): Diskurs, Erinnerung, Identität. Internationale Tagung

Veranstalter
Prof. Dr. Pierre-Paul Gregorio, Prof. Dr. Nicolas Bonnet, Prof. Dr. Agnès-Alexandre Collier, Dr. Nathalie Le Bouëdec, Dr. Marc Smith, Dr. Alexandra Palau
Veranstaltungsort
Universität von Burgund, Dijon
Ort
Dijon
Land
France
Vom - Bis
31.01.2016 -
Website
Von
Dr. Nathalie Le Bouëdec

Wolle man das Phänomen des Terrorismus untersuchen, so Jean-Marie Izquierdo in Bezug auf die ETA in Spanien, müsse man versuchen, zu verstehen, warum seine Verwandlung in eine „politische Ausdrucksweise für einen Teil der betroffenen Bevölkerung in einem besonderen Kontext einen Sinn haben konnte“ . Mit anderen Worten: Man dürfe nicht vergessen, dass die kaltblütige, in dem Leitspruch der Roten Brigaden zusammengefasste Logik: „Einen treffen, um hundert zu erziehen“, ihre Anhänger hatte. Auf die Frage, ob eine globale Antwort auf den Terrorismus möglich sei, lautet Jean-Christophe Buissons Antwort: „wahrscheinlich nicht, in dem (traurig vernünftigen) Sinne, als er nur der Ausdruck des Aufstands von Individuen gegen die jedem Staate innewohnenden Ungerechtigkeiten ist. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass jede Zeit, jede Gesellschaft den Terrorismus hat, den sie verdient“ . Sich mit dem Terrorismus-Phänomen auseinanderzusetzen bedeutet auch, ihre sozialen Nachwirkungen bzw. Nachwehen zu analysieren. Es stellt sich dann die Frage nach dem Umgang mit dieser Vergangenheit – nach, in Anlehnung an Paul Ricoeur, dem „Gebrauch und Missbrauch der Erinnerung“, „von der verhinderten über die manipulierte Erinnerung bis zur Pflichterinnerung“ .

Im Rahmen der Tagung sollen ausschließlich die in Westeuropa (Spanien, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Vereinigtes Königreich) sowie in den Vereinigten Staaten und in Lateinamerika entstandenen Terrorbewegungen – bzw. Bewegungen zur nationalen Befreiung oder die selbst ernannten antikapitalistischen Kampfbewegungen – und ihre Aktivitäten von 1960 bis heute untersucht werden. Vergleichende Analysen sind dabei willkommen. Ziel ist es, den von den mit dem Terror konfrontierten Gesellschaften erzeugten Diskurs zu analysieren:

- Einerseits den Diskurs der verschiedenen politischen und sozialen Vertretungsinstanzen (Massenmedien, Kirchen, Gewerkschaften). Dabei stellt sich auch die Frage, wo die Grenze lag zwischen dem unantastbaren Recht auf Information und freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft und diesem „Sauerstoff der Öffentlichkeit“, den Margaret Thatcher im Fall der IRA denunzierte.
- Andererseits die Fiktionalisierung des Phänomens im Rahmen der Literatur, des Comics, des Films usw.

Wie sich dieser Diskurs konstruiert und wie er funktioniert, wo seine Grenzen liegen und was er verschweigt – kurzum: alle von Chomsky beschriebenen „Filter des Propagandamodells“ – im Umgang mit einem in manchen Fällen beinahe alltäglichen Phänomen: diese Aspekte sollen im Mittelpunkt der Tagung stehen, ebenso wie die Art und Weise, wie die Künstler über den Terrorismus berichteten – ob sie den blutigen Aktionen eine Berechtigung zu- oder aberkannten. Schließlich soll es auch darum gehen, wie der Terror nach Ende der „bleiernen Jahre“ reflektiert wurde: Inwiefern konnten sich die erwähnten Vertretungsinstanzen von einer zur Erinnerung gewordenen Gegenwart distanzieren? Inwiefern spielte die Fiktion die Rolle einer sozialen Therapie oder einer nationalen Katharsis bzw. inwiefern war sie ein Mittel, um eine Realität zu bewältigen, die man nur zu lange hatte hinnehmen müssen?

Als Arbeitsschwerpunkte kommen in Betracht:
- Der normative Diskurs: was sind die typischen Reflexe des antiterroristischen Allgemeindiskurses?
- Der angsteinflößende Diskurs: was sind die Mechanismen und Grenzen eines Diskurses, der zur Mobilisierung auf Angst setzt? Wie wird er erneuert?
- Der beschwichtigende Diskurs: können umgekehrt Leerformeln sozusagen als „emotion(en)sichere“ bzw. „gefühlsichere Weste“ für eine Gesellschaft dienen?
- Der distanzierte Diskurs: wie lässt sich der Pathos überwinden, um die Realität des Terrors und die sich aus ihm ergebenden sozialen Traumata zu erklären, zu verstehen und zu bewältigen? Welcher Diskurs für die Zeit des « Nachkriegs » ?
- Die Politisierung des Diskurses über Terrorismus.
- Der Diskurs über Terrorismus als Identitätsmerkmal (mit welchen Paradigmen? Welchen Symbolen?)
- Die Ästhetik der Gewalt und des Leidens.
- Haben diese Diskurse in der globalen Strategie „Aktion – Reaktion – Aktion“ eine Rolle gespielt? Wenn ja, welche? Und zu welchem Zweck?

Tagungssprachen sind Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch. Vor der Tagung sollen dann die Teilnehmer eine Zusammenfassung (10 bis 15 Zeilen) in der Vortragssprache sowie auf Englisch und Französisch vorlegen.
Bitte schicken Sie Ihre Beitragsvorschläge (300 bis 500 Wörter) mit provisorischem Titel und einem kurzen Lebenslauf bis zum 31. Januar 2016 an Nathalie Le Bouëdec (nathalie.le-bouedec@u-bourgogne.fr).

Programm

Kontakt

Nathalie Le Bouëdec

Université de Bourgogne - UFR Langues et communication - 4 boulevard Gabriel F-21000 Dijon

nathalie.le-bouedec@u-bourgogne.fr