Als „gewaltiger Transformator“ veränderte der 1. Weltkrieg die europäischen Gesellschaften tiefgreifend und stellte die Weichen für eine Umgestaltung der weltpolitischen Ordnung. Viele historische Untersuchungen haben gezeigt, wie fundamental der Erste Weltkrieg für die Radikalisierung Deutschlands bis 1945 war. Bislang unbeleuchtet blieb hingegen das Spannungsverhältnis zwischen der „Grande Guerre“ und dem „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“. Bisher wurde die DDR vor allem als ein reines Produkt des Kalten Krieges, als “Stalins ungeliebtes Kind” (W. Loth) verstanden.
Jenseits der jüngsten Debatten in Westeuropa über die Bewertung des Ersten Weltkriegs, seinen Ursachen und Folgen, sowie seinem höchst unterschiedlichen Platz im kollektiven Gedächtnis der beteiligten Nationen wollen wir die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Ersten Weltkrieg als „Erfahrungsraum“ und „Fronterlebnis“ einerseits und der DDR als politischem Experiment in Deutschland nach 1945 andererseits nachgehen. In vielen Hinsichten scheint der Ersten Weltkrieg kommunistischer Perspektive hinter der Oktober-Revolution zu stehen - nur als Bedingung, Zusammenhang oder Dekor. Inwieweit wurde jedoch für einen Teil des kommunistischen Denkens und Handelns die Erfahrung in den Schützengräben relevant? Wie wichtig war diese Erfahrung für das politische Handeln von Kommunisten von der Weimarer Republik bis hin zur Gründung der DDR? Wie wurde der Erste Weltkrieg zwischen 1949 und 1989 als Erinnerungsort tradiert? Welche Geschichtsschreibung, welcher Diskurs und welche Vektoren wurden dabei mobilisiert?
Diese Fragen widmen sich das Centre Marc Bloch und der Lehrstuhl „Pensées françaises contemporaines“ der Europa-Universität Viadrina in einer gemeinsamen internationalen und interdisziplinären Tagung mit der Unterstützung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Folgende drei Themenbereiche werden im Vordergrund stehen:
- Zum einen stehen die Biographien führender Kommunisten aus sozialhistorischer Perspektive im Fokus: wie lässt sich die Erfahrung des Kriegs als Soldat für Thälmann, Pieck, Ulbricht, Becher, Grotewohl usw. mit der Form einer offiziellen biographischen Erzählung vereinbaren? Welches narrative Paradigma zum Ersten Weltkrieg taucht in diesen Biographien (und in denjenigen anderer Kader undFiguren des Regimes wie Erich Weinert oder Fritz Selbmann) auf? Wie ist die Diskrepanz zwischen der stilisierten Biographie einerseits und der Faktenlage andererseits zu erklären?
- Zum zweiten werden verschiedene Erinnerungsvektoren und –kulturen des Ersten Weltkriegs zur Zeit der DDR (Jahrestage, Jubiläen) untersucht, wie z.B. in der Geschichtswissenschaft, der Literatur, der Filmproduktion, im Theater und in der Malerei. Wie aktiv wurden die Gedenkstätten genutzt?
- Schlussendlich werden die Erinnerungskulturen wichtiger Institutionen wie der Schule oder der Armee unter die Lupe genommen: Welchen Platz hatte der Erste Weltkrieg in Schulbüchern, Lehrplänen und Lehrpraxis? Welche Kriegsliteratur wurde gelesen und vermittelt? Wie wurde der Erste Weltkrieg in der Armee tradiert?
Die Tagung richtet sich sowohl an NachwuchshistorikerInnen als auch an erfahrene ForscherInnen verschiedener Disziplinen – beispielsweise aus der Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft oder Kunstgeschichte – die eine der verschiedenen Dimensionen der Veranstaltung in ihrer jeweiligen Forschung thematisieren.
Die Konferenzsprache ist Deutsch. Reise- sowie Übernachtungskosten der Referenten werden von den Veranstaltern erstattet.
Bewerbungen mit einem Abstract von bis zu 500 Wörtern und kurzen biographischen Angaben können bis zum 10.03.2016 in elektronischer Form eingereicht werden an: nicolas.offenstadt@univ-paris1.fr und dem@cmb.hu-berlin.de