CFP kritische berichte Heft 4, 2016
Gender 2.0
Neue Geschlechterforschung in den Kunst- und Kulturwissenschaften
Herausgegeben von Änne Söll und Linda Hentschel
Ist „Gender“, so könnte man mit den Worten Anne Fleig, fragen, „inzwischen zur Währung auf dem neoliberalen Markt der Möglichkeiten geworden“? Hat Gender als kritischer Begriff sein Potential als Analyseinstrument von Machtverhältnissen eingebüßt? Oder kann „Gender“ in seiner ganzen Komplexität weiterhin als Begriff dienen, der ein kritisches Denken (und Handeln) über Geschlechter ermöglicht? Wie verhalten wir uns angesichts eines sich immer weiter ausbreitenden „Anti-Genderismus“ (Sabine Hark)? Welche Rolle spielt „Gender“ in der kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschung jetzt? Was bedeutet Geschlechterforschung in den Kunst- und Kulturwissenschaften heute? Wie können Interdependenzen von „Gender“ und „Race“ noch stärker in Reflexionen über visuelle Regime einbezogen werden? Diesen Fragen will sich das Heft 4 der kritischen berichte stellen. Dabei zielt es neben einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation und deren historischen Dimension auch auf eine Diskussion um die Zukunft des Konzepts von „Gender“ in der visuellen Kultur. Wie wird sich die Diskussion um Fragen nach Geschlecht, Identitäten und sexueller Orientierung entwickeln? Wie steht die Kunstgeschichte zu Theorien der Queer Studies, zur Männlichkeitsforschung und zu „Transgender“- und Postcolonial-Studien ? Welche Rolle spielen dabei Gender-Bashing und anti-feministische so wie rassistische „Shitstorms“? Kann auch in der Kunst- und Kulturwissenschaft von einem „Backlash“ gegen emanzipatorische Bewegungen und Denkmodelle gesprochen werden? Gehen wir wieder zur „Tagungsordnung“ über? Wie sieht die Situation der Geschlechterforschung in den Kunst- und Kulturwissenschaften unter den Bedingungen einer ständig fortschreitenden Ökonomisierung des Kunst- und Kulturbetriebs aus? Wie wird die Geschichte der feministischen Kunst um/geschrieben? Welche neuen Erklärungsansätze und Analysekategorien sind im Bereich der Queer Studies, der Studien zur Transsexualität oder der Männlichkeitsforschung zu verzeichnen? In welchem Verhältnis stehen diese zum Begriff „Gender“ und wie setzen sich diese mit visuellen Phänomenen auseinander?
Das Heft strebt an, die Situation der Geschlechterforschung nicht nur auf universitärer Forschungsebene anzugehen, sondern ebenso die Situation im Kunstbetrieb zu befragen. Angesichts populärer Ausstellung wie „Sturmfrauen“ in der Schirn in Frankfurt am Main, von „Boom She Boom“ im Museum für Moderne Kunst ebenfalls in Frankfurt, der Ausstellung „Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen“ in der Kunsthalle Bielefeld oder der Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre Werke aus der Sammlung Verbund, Wien“ in der Hamburger Kunsthalle im Jahre 2015 wird deutlich, dass der deutsche Kunstbetrieb auf das Prinzip der Sichtbarmachung von Frauen als erfolgreiches und konsensfähiges Ausstellungsprinzip setzt. Ganz im Sinne der Forderungen der zweiten Feminismuswelle der 1970er Jahre und als Versuch einer Antwort auf Linda Nochlins berühmte Frage, „Why have there been no great women artist?“ werden hier Frauen und ihre Kunstproduktion in den weiterhin von Männern bestimmten Kanon eingefügt, ohne jedoch der Komplexität der Frage von „Kunst von Frauen“ auf den Grund zu gehen. Diese Ausstellungen zeigen, dass die sog. feministische Frauenforschung etwa nicht zu einem „Objekt der Abstoßung“ (Siegrid Nieberle) geworden ist, sondern als populäre Form in den Mainstream des Ausstellungsbetriebs mit einigem Reibungsverlust integriert wird. Was, so lässt sich fragen, sind die Alternativen zu diesen Ausstellungskonzepten? Wie positionieren sich dagegen Projekte wie „Re Act Feminism“, in der es um eine generationsübergreifende, historische und zugleich aktuelle Geschichtsschreibung von Performance Art ging? Wie spiegelt sich die neueste Genderforschung in musealen Ausstellungskonzepten wider? Welche neuen Modelle könnten entwickelt werden?
Auf der Ebene der künstlerischen Produktion soll danach gefragt werden, wie zeitgenössische Künstler_innen mit der widersprüchlichen Situation von „Gender“ umgehen. Wie wird auf Feminismen und ihre Kritik an der neoliberalen Vermarktung von Geschlechtsidentitäten (Laurie Penny) reagiert? Wie sieht feministisch-emanzipatorische Kunst in neoliberalen Gesellschaften des Westens aus?
Welche Rolle spielt hier der Körper und die Formen seiner Optimierung in Arbeiten von Künstler_innen? Welche Rolle spielen dabei Geschlecht und sexuelle Identität im Verhältnis zu race? Welche Rolle spielt die Rezeption eines „Öko-Feminismus“ in künstlerischen Arbeiten, die sich mit Nachhaltigkeit und Verschwendung beschäftigen? Wie sind, um nur ein Beispiel zu benennen, die Performances von Stefanie Seibold und Teresa Maria Díaz Nerío von 2011, die sich in einer Diskussion um frühe feministische Performancekunst positionieren zu beschreiben und in welchem Verhältnis stehen sie zu politischen Aktionen wie denen der „Femen“ Gruppe oder des „Slutwalk“?
Wir suchen nach Beiträgen aus den Kunst-/Kulturwissenschaften und weiteren Bereichen, die sich in dem umrissenen Themenfeld mit visuellen Phänomenen auseinandersetzen und die theoretischer und/oder angewandter Art sein können.
Bitte senden Sie ein Exposé mit max. 3000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) und einen kurzen Lebenslauf mit relevanten Publikationen von maximal einer Seite per e-mail an:
aenne.soell@rub.de und linda.hentschel@uni-mainz.de
Deadline: 11.03.2016
Rückmeldung über Annahme des Textes erfolgt bis zum 31. März.
Die fertiggestellten Texte im Umfang von max. 25.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Fußnoten) und maximal drei schwarz-weiß Abbildungen müssen bis 30. Juni 2016 eingereicht werden.