"Selbstentwürfe". Neue Perspektiven auf die politische Kulturgeschichte des Selbst im 20. Jahrhundert

"Selbstentwürfe". Neue Perspektiven auf die politische Kulturgeschichte des Selbst im 20. Jahrhundert

Veranstalter
Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen (ZAKN) - Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte - Universität Göttingen, Tilmann Siebeneichner, Hagen Stöckmann
Veranstaltungsort
Tagungs- und Veranstaltungshaus "Alte Mensa", Wilhelmsplatz 3, 37073 Göttingen
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.06.2016 - 03.06.2016
Deadline
01.06.2016
Von
Stöckmann, Hagen

Subjektivierungsprozesse als Gegenstand der Geschichtswissenschaft verzeichnen bereits seit einiger Zeit Konjunktur. Nicht nur Zeithistoriker, sondern auch die historisch arbeitende Soziologie haben das Selbst als ebenso wandelbare wir prekäre Schnittstelle gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer, kultureller und individueller Ein- und Zugriffe erkannt: Die zeitgeschichtliche Publizistik der letzten Jahre kennt sowohl das „schöne“ wie das „beratene“, das „unternehmerische“, „angepasste“, „befreite“ und „hybride“ Selbst – und zeigt deutlich, das Subjekt als Selbst ist vor allem eines: Ziel- und Fluchtpunkt individueller wie politischer Ordnungsbemühungen, die über den Weg des Selbst auf eine Reorganisation des Gesellschaftlichen zielen.
Vor allem zwei analytische Herausforderungen einer „Zeitgeschichte des Selbst“ treten bei der Beschäftigung mit Subjektivierungsprozessen im 20. Jahrhundert zutage: Zum einen verlaufen die Debatten in weiten Teilen quer zu großen und fester etablierten Forschungsbereichen der Zeitgeschichte: Selbstverhältnisse und deren Aushandlung tangieren die religiöse ebenso wie die wirtschaftliche Sphäre, sind politischer Natur und transportieren immer auch ästhetische Dimensionen. Zum anderen sind maßgebliche Vorläufer der Subjektivierungsforschung eng mit gegenkulturellen und herrschaftskritischen Phänomenen seit den 1970er Jahren verbunden und haben hier ihren Ursprung. Die einschlägigen Arbeiten Michel Foucaults sind in dieser Hinsicht auch als Reaktion auf die wahrgenommene und/oder tatsächliche Ubiquität (staatlichen) Macht-Zugriffs zu lesen und mithin selbst zu historisieren. Die wissenschaftliche Herausforderung besteht deshalb also gerade darin, diese Ansätze der Subjektivierungsforschung für eine kritische wissenschaftliche Analyse gesellschaftlicher Prozesse fruchtbar zu machen, denen sie ihre Entstehung verdanken, ohne sie bloß zu affirmieren.
Anhang der Leitlinien Professionalisierung, Authentifizierung, Phänomenologisierung, Sozialisierung und Musealisierung untersucht die Tagung Arenen von Subjektivierung im 20. Jahrhundert, fragt nach dem Stellenwert emotionaler Regime für die historische Wirkmächtigkeit und (Selbst-)Aneignung verschiedener Subjektformationen und sucht nach Möglichkeiten, angemessen die politische Dimension von Subjektivierungspraxen im Zeitalter der Extreme (Hobsbawm) zu untersuchen.

Programm

Donnerstag, 02. Juni 2016

11:00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Tilmann Siebeneichner (Berlin), Hagen Stöckmann (Göttingen)

11:30 Uhr
I. Professionalisierung: Das Selbst und die (Ohn-)Macht der Mandarine

Moderation: Petra Terhoeven (Göttingen)

Kerstin Thieler (Göttingen)
Der Historiker und seine Vergangenheit. Percy Ernst Schramm (1894-1970) zwischen Selbstvergessenheit und Selbstplatzierung

Philipp Kufferath (Berlin)
Selbstverständnis und Perzeption eines politischen Intellektuellen im Spannungsfeld von Sozialwissenschaft, Parteipolitik und linken Netzwerken

Kommentar: Norbert Frei (Jena)

13:00 Uhr Imbiss

14:00 Uhr
II. Authentifizierung: Das Selbst zwischen Konsum und Politik

Moderation: Eva-Maria Silies (Berlin)

Maik Tändler (Jena)
Nach der Disziplinargesellschaft? Zur Ambivalenz therapeutischer Liberalisierung seit den 1970er Jahren

Benjamin Möckel (Köln)
Der richtige Konsum im Falschen. Konsumkritik als Subjektivierungsstrategie in den 1960er bis 1980er Jahren

Kommentar: Franka Maubach (Jena)

15:30 Uhr Kaffeepause

16:15 Uhr
III. Musealisierung: Das Selbst und seine kulturellen Repräsentationen

Moderation: Julia Kleinschmidt (Den Haag)

Juliane Haubold-Stolle (Berlin)
„Subjektivierung“ in der musealen Vermittlung von Geschichte. Die Bedeutung der Dinge

Jens-Christian Wagner (Celle/Göttingen)
Wiederentdeckt. Selbstzeugnisse von KZ-Häftlingen

Kommentar: Inge Marszolek (Bremen)

18:15 Uhr Keynote lecture

Habbo Knoch (Köln)
Bürgerliche Kälte. Das moderne Selbst und die entgrenzte Gewalt des 20. Jahrhunderts

Moderation: Dirk Schumann (Göttingen)

19:30 Uhr Gemeinsames Abendessen

Freitag, 03. Juni 2016

8:30 Uhr Kaffee

9:00 Uhr
IV. Phänomenologisierung: Sinnlichkeit und Selbst-Erfahrung

Moderation: Sascha Schießl (Göttingen)

Uffa Jensen (Berlin)
Hat Freud wirklich die Psychoanalyse erfunden? Die Wissensgeschichte der globalen Psychoanalyse in Berlin, London und Kalkutta, 1910-1940

Daniel Morat (Berlin)
Die Stadt, der Lärm und das Ich. Zum auditiven Selbst des modernen Metropolensubjekts

Kommentar: Adelheid von Saldern (Hannover/Göttingen)

10:30 Uhr Kaffeepause

11:00 Uhr
V. Sozialisierung: Das Selbst zwischen Gewalt und Gemeinschaft

Moderation: Till Manning (Hannover)

Tilmann Siebeneichner (Berlin)
No Mean Soldiers. Gewalt und Gemeinschaft unter Söldnern

Hagen Stöckmann (Göttingen)
Cold Warriors‘ Society. Bürgerliche Emphase und
Westernisierung des heranwachsenden Selbst

Kommentar: Ulrich Herbert (Freiburg)

12:30 Uhr Gemeinsamer Mittagsimbiss

13:30 Uhr
Tagungskommentar und Diskussion
Moderation: Alexander Geppert (New York/Berlin)

Diskutanten:
Bernd Weisbrod (Göttingen/Berlin)
Lutz Niethammer (Jena/Berlin) [angef.]
Adelheid von Saldern (Hannover/Göttingen)

Kontakt

Hagen Stöckmann
Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen (ZAKN)
Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte
Georg-August-Universität Göttingen
Heinrich-Düker Weg 14
37073 Göttingen
hstoeck@gwdg.de

https://www.uni-goettingen.de/de/zakn/218502.html