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Tschernobyl – Wendepunkt oder Katalysator? Umweltpolitische Praxen, Strukturen, Wahrnehmungen im Wandel (1970er-1990er)
Internationale Konferenz, 2.-3. Dezember 2016
Haus der Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin
organisiert von Christoph Becker-Schaum (Heinrich-Böll-Stiftung), Jan-Henrik Meyer (Kopenhagen/HoNESt) und Marianne Zepp (Heinrich-Böll-Stiftung)
Kooperationspartner: Rachel Carson Center for Environment and Society, München, HoNESt – History of Nuclear Energy and Society Project, und das Center for Metropolitan Studies der TU Berlin.
Markiert Tschernobyl einen Wendepunkt der Umweltpolitik? Nachdem Anfang der 1970er Jahre Umwelt als neues Politikfeld eingeführt worden war, geriet diese in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre infolge der Öl- und Wirtschaftskrisen und der Rückbesinnung auf wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik rasch unter Rechtfertigungsdruck. Daher erscheinen für die Bundesrepublik Deutschland eher die 1980er Jahre als die Blütezeit der Umweltpolitik. Nach der großen Waldsterbensdebatte der frühen 1980er Jahre, die zur Einführung von Schwefelfiltern und Katalysatorautos führte, war Tschernobyl schließlich der Auslöser dafür, Umweltpolitik in einem eigenständigen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu bündeln.
Diese Konferenz verfolgt zwei Ziele:
Erstens möchte sie den Wandel der Umweltpolitik von ihren Anfängen bis in die 1990er Jahre untersuchen. Während die erste Phase der Umweltpolitik zunehmend gut erforscht ist, wissen wir wenig darüber, wie sich das neue Politikfeld fortentwickelt hat. Die Konferenz fragt daher erstens, inwiefern sich Umweltpolitik in den ersten drei Jahrzehnten veränderte. Mögliche Dimensionen dieses Wandels sind politische, administrative, gesellschaftliche und mediale Praxen, Strukturen und Problem-Wahrnehmungen. Veränderungsbedingungen, Zäsuren und Brüche sind hier von besonderem Interesse.
Zweitens möchte die Konferenz der Bedeutung des Reaktorunfalls von Tschernobyl für diesen Wandel nachgehen. Daher fragen wir zweitens, ob und inwieweit Tschernobyl einen Wendepunkt in der Umweltpolitik darstellte. Rückte Tschernobyl umweltpolitische Ziele verstärkt in den Vordergrund der politischen Debatte? Stärkte dies die Umweltpolitik nachhaltig? Veränderten sich die Wahrnehmungen von Umweltproblemen, gesellschaftlicher Mobilisierung, politisches Handeln und politische Strukturen? Brachte Tschernobyl neue Möglichkeiten für umweltpolitische Initiativen?
Wir fragen weiter: War Tschernobyl hierbei wirklich vor allem ein Wendepunkt? Oder wirkte das Ereignis eher als ein Katalysator, der neben dem Großkonflikt um die Atomkraft auch andere politisch-gesellschaftliche Entwicklungen der 1980er Jahre bündelte: die Ausbreitung des ökologisch informierten Umweltbewusstseins und die wachsenden Sorgen um sichtbare Umweltprobleme wie Waldsterben und Wasserverschmutzung und zunehmend auch um unsichtbare Risiken wie Ozonloch und das Weltklima? Die Strahlenwolken von Tschernobyl kamen dann noch hinzu. Zudem wollen wir über nationale Grenzen hinaus schauen: War die bundesdeutsche Reaktion im europäischen Vergleich besonders und wurde damit der Grundstein für den deutschen Atomausstieg gelegt?
Die Konferenz richtet den Blick insbesondere auf die verschiedenen Akteure, die die Umweltpolitik prägten:
(1) Politische Parteien,
(2) Gerichte, Verwaltungen und wissenschaftliche Experten,
(3) Umweltbewegungen,
(4) Wirtschaftsverbände, Energieversorger und Unternehmen und
(5) Medien
Diese griffen das Thema Umweltpolitik nicht nur auf, sondern präsentierten sehr verschiedene Problemanalysen und –lösungen. Hierbei spielte zunehmend auch die Diskussion um marktkonforme Lösungen und ökologische Modernisierung eine Rolle. Diese Akteure handelten zudem auf – und oft auch zwischen - verschiedenen politischen Ebenen: lokal, regional, national, aber auch europäisch und international.
Ausgangspunkt der Konferenz ist Situation in der Bundesrepublik Deutschland, wobei europäische und internationale Interdependenzen und vergleichend Erfahrungen aus anderen Ländern, sowie transnationale Verbindungen systematisch einbezogen werden sollen.
Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch (mit Simultanübersetzung). Die Veranstaltung ist öffentlich.
Die Konferenz zielt auf eine kohärent strukturierte Veröffentlichung. Daher bitten wir die Beitragenden, explizit beide Fragen in ihren Beiträgen anzusprechen. Wir schlagen hierzu vor, in einem allgemeinen Teil anhand eines oder mehrerer Akteure die Frage des Wandels in der Umweltpolitik zu analysieren, und in einem zweiten Teil konkret auf Tschernobyl und die Reaktionen der Akteure und die Folgen im Hinblick auf die Umweltpolitik zu diskutieren.
Vorschläge für Beiträge (Titel, Abstract [150-200 Wörter], Kurzbiographie [150 Wörter] können bis zum 31. Juli 2016 an die drei Organisator*innen eingereicht werden:
becker-schaum@boell.de; j.h.meyer@hum.ku.dk; zepp@boell.de
Reisekosten (nach Bundesreisekostenverordnung) und Unterbringung der Referent*innen werden von der HBS übernommen.