’Blondzhende Stern’: Jüdische SchriftstellerInnen aus der Ukraine als GrenzgängerInnen zwischen den Kulturen in West und Ost

’Blondzhende Stern’: Jüdische SchriftstellerInnen aus der Ukraine als GrenzgängerInnen zwischen den Kulturen in West und Ost

Organizer
Axel Springer Stiftungsprofessur für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration (Europa-Universität Viadrina); in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (Prof. Dr. Kerstin Schoor / Prof. Dr. Ievgeniia Voloshchuk / Dr. Borys Bigun)
Venue
Europa-Universität Viadrina
Location
Frankfurt an der Oder
Country
Germany
From - Until
11.05.2017 - 13.05.2017
Deadline
30.09.2016
By
Aleksandra Laski

„Bäume aus heiligen Buchstaben streckten Wurzeln / von Sadagora bis Czernowitz / der Jordan mündete damals in den Pruth…“ (1)
Rose Ausländer

Die jüdische Bevölkerungsminderheit auf dem ukrainischen Territorium gehört seit Jahrhunderten zu jenen Gruppen, die über reiche Erfahrungen von Grenzerkundungen in diesem Raum verfügen. Das Aushandeln wie Überschreiten von Grenzen war für sie Strategie ihres physischen wie kulturellen Überlebens. Zudem mussten sie als „der Dritte“, der Joseph Roth zufolge, immer verlor, „wenn zwei sich stritten“ (Werke 1989, Bd.2, 835), auch eine „dritte“ Einstellung zu jenen Grenzen entwickeln, die die Gesellschaften, die Ethnien und die Kulturen auf ukrainischem Terrain spalteten und bis heute spalten.
Das Potential eines Blickwinkels, der diese Grenzziehungen über Jahrhunderte hinweg immer wieder kreuzte und kreuzen musste, ist Gegenstand der geplanten Konferenz. Sie fokussiert jüdische Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, das als ‚goldenes’ Zeitalter der jüdischen Kultur und zugleich als ‚aschgraues’ Zeitalter des Massenmordes an den europäischen Juden in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Blondzhende Stern, der gleichnamige Titel eines Romans des in der Ukraine geborenen Klassikers jiddischer Literatur, Scholem Alejchem, dient den VeranstalterInnen dabei als verallgemeinernde Metapher des Schicksals der durch den ukrainischen Teil eines phantomhaften ‚Jiddischlandes’ geprägten und aus diesem ausgewanderten AutorInnen, die auf ihrer Wanderschaft einen Weg auf die großen Bühnen europäischer Kulturen gefunden haben. Als ‚Wandernde Sterne’ ließen sie sich in Wien, Paris, Jerusalem, Moskau, Berlin, Bukarest, Sankt Petersburg und anderen Kulturzentren Europas nieder und leuchteten an den Horizonten vieler Kulturen. So durchziehen die Namen der auf ukrainischem Terrain geborenen AutorInnen jüdischer Herkunft wie Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Gong, Alfred Margul-Sperber, Joseph Roth, Soma Morgenstern, Selma Meerbaum-Eisinger, Jura Soyfer, Manès Sperber, Immanuel Weissglas, Manfred Winkler, Bruno Schulz, Jozef Wittlin, Josef Burg, Alexander Granach, Samuel Joseph Agnon, Chaim Nachman Bialik, Saul Tschernichowski, Scholem Alejchem, Itzik Feffer, Leib Kwitko, David Hofstein, David Bergelson, Perez Markisch, Mark Aldanow, Eduard Bagrizki, Ilja Ilf, Isaak Babel, Ilja Ehrenburg, Leonid Perwomajski, Alexander Galitsch, Wassili Grossman, Friedrich Gorenstein u.v.a. die jiddischen, hebräischen, deutschsprachigen, russischen, polnischen, rumänischen, ukrainischen u.a. Literaturgeschichten scheinbar so selbstverständlich, wie die einzelnen Disziplinen deren schriftstellerische Aktivitäten getrennt verhandeln.
Verweisen die Studien zur Ukraine im Blick auf diese AutorInnen auf ihren Geburts- und zeitweiligen Aufenthaltsort (nationalstaatliche/geografische Grenze), apostrophiert die jüdische Kulturgeschichte dagegen ihre jüdische Herkunft wie die Zugehörigkeit zur jüdischen Tradition (ethnokulturelle Grenze). In anderen national orientierten Literaturgeschichten wiederum treten die durch ihre Kulturkontexte bedingten Sprach- und Kulturorientierungen der jüdischen Literaten in den Vordergrund (sprachlich-kulturelle Grenze).
Dennoch zeugt die Lebens- und Kulturpraxis dieser Autoren davon, dass sie territoriale, ethnische, kulturelle und sprachliche Grenzen fortwährend überschritten. Zwar wurden die Schriftsteller auf dem Terrain der heutigen Ukraine geboren, doch behaupteten sie sich in anderen Kulturräumen, denen sie nicht selten zugleich eine spezifische kulturelle Komponente integrierten. Zwar stammten sie aus einem jüdischen Milieu, dennoch haben sie den Rahmen jüdischer Tradition und Kultur oft überschritten. Zwar integrierten sie sich in andere Kulturwelten, doch erhielten sie sich einen Teil ihrer Eigenartigkeit, die gerade in ihren vielfältigen kulturellen Erfahrungen begründet scheint.
Derart wiederkehrende Erfahrungen jüdischer AutorInnen und deren unterschiedliche Erscheinungsformen in einem vielsprachigen Korpus literarischer Texte sollen im Rahmen der Konferenz als eine Art Paradigma sehr unterschiedlicher Lebenswege und schöpferischer Karrieren verstanden werden. Verbindende Fragstellung – am theoretischen Schnittpunkt von kultureller Kartografie und Topografie, von Border Studies und Exil- und Kulturtransferforschungen – sind Untersuchungen dazu, wie in den Texten dieser AutorInnen politische, nationale, kulturelle und sprachliche Grenzen (de)konstruiert, verfestigt oder verwischt werden und welche künstlerisch-ästhetischen Entwicklungen gerade damit in Zusammenhang zu sehen sind.
Viele dieser SchriftstellerInnen verdankten ihre primären Erfahrungen von Grenzüberschreitungen dabei bereits dem ukrainischen Raum, der infolge der historischen Stellung der Ukraine als „Grenzland“ durch ein verwickeltes Netzwerk sich dynamisch verändernder Grenzen geprägt wurde. Darunter waren die Grenzen des ‚Jiddischlandes’ von besonderer Bedeutung, – eines phantomhaften Landes, das auf den politischen und geografischen Karten nie existiert hat und das dennoch eine geistig-kulturelle Zusammengehörigkeit der osteuropäischen jüdischen Gemeinde über die sie trennenden Staatsgrenzen hinaus generierte. Der ukrainische Teil dieses ‚Jiddischlandes’, der sich über das Territorium von Galizien im Westen bis zum Donbass im Osten erstreckte, beeinflusste die ästhetische Rezeption der ukrainischen Gebiete in den Werken jüdischer AutorenInnen nachhaltig. Die jüdisch-ukrainische kulturelle Grenze, die zu den Grundelementen dieser Rezeption gehörte, war oftmals tonangebend sowohl für die Umkartierung bzw. Umstrukturierung des ukrainischen Raums, als auch für das Repertoire jener Metaphern und Topoi, mit denen das Bild „der jüdischen“ Ukraine versehen wurde. Die literarische Topografie des ukrainischen Terrains samt ihrer Konstruktionen der inneren und äußeren, realen und imaginierten Grenzen bildet daher den ersten Schwerpunkt der Konferenz.
Ihr zweiter thematischer Schwerpunkt liegt in der Betrachtung von Migrationsprozessen aus dem ukrainischen Raum in die verschiedenen Länder Europas (und teilweise zurück in den ukrainischen Raum). Im Mittelpunkt stehen dabei Beobachtungen charakteristischer Konnotationen und Funktionen der West-Ost-Opposition in der Darstellung von verschiedenen Kulturwelten, Fragen zu den Transformationen „ukrainischer“ Erfahrungen der Grenzen unter dem Einfluss von Migrationsprozessen und schließlich nach den künstlerischen Formen, in denen Prozesse des Kulturtransfers bzw. der Kulturvermittlung zwischen West und Ost in ihren Texten erkennbar werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang dem Schaffen von jüdischen SchrifstellerInnen, die in den letzten Jahrzehnten aus der Ukraine migriert sind und in deren Werken die neusten Grenzziehungen, die virulenten Phantomgrenzen (2) und die gängigen Modelle der West-Ost-Beziehungen ihren Niederschlag fanden.
In einer Zusammenführung beider Perspektiven sollen schließlich die vielfältigen, generationsübergreifenden Erfahrungen jüdischer SchriftstellerInnen aus der Ukraine als Grenzgänger zwischen den Kulturen in West und Ost in ihrer Spezifik entfaltet und in ihren Folgen für die Entwicklungen einer europäischen (literarischen) Kultur diskutiert werden.

Eine gemeinsame Buchpublikation im Anschluss an die Konferenz ist geplant.
Wir bitten um Themenvorschläge und ein erläuterndes Exposé in Deutsch, Englisch oder Russisch in einer Länge von max. 1 Seite bis zum 30. September 2016 an folgende Adresse:

laski@europa-uni.de

(1) Aus: Rose Ausländer: Der Vater (Ged.), in: Dies.: Die verlorene Harfe. Eine Anthologie deutschsprachiger Lyrik aus der Bukowina / Hg. von Peter Rychlo. Černivci, 2002, S. 180. Sadogora gehörte früher zu den wichtigen Zentren des Chassidismus in der Bukowina. Derzeit ist diese Ortschaft von Czernowitz eingemeindet worden. Pruth ist der Fluss in Czernowitz.
(2) Vgl.: Grandits, Hannes / Hirschhausen, Béatrice von / Kraft, Claudia / Müller, Dietmar / Serrier, Thomas: Phantomgrenzen im östlichen Europa. Eine wissenschaftliche Positionierung. In: Dies. (Hg.): Phantomgrenzen, S.13-57.

Programm

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Aleksandra Laski

Europa-Universität Viadrina, Große Scharrnstr. 59, 15230 Frnakfurt (Oder)

laski@europa-uni.de

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