Die Vermessung des Rechtsextremismus und -populismus

Die Vermessung des Rechtsextremismus und -populismus

Organizer
Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
Venue
Friedrich-Ebert-Stiftung, Haus 1, Konferenzsaal 1, Hiroshimastr. 17, 10785 Berlin
Location
Berlin
Country
Germany
From - Until
23.11.2016 - 23.11.2016
Deadline
17.11.2016
By
Johannes Platz

Die Vermessung des Rechtspopulismus und –extremismus – Beobachtungen zu antidemokratischen Einstellungen und ihrer Erforschung

Nicht erst mit Aufkommen der Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) sind Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ein Thema. Die NPD erlebte ihren ersten Aufstieg nach der Gründung 1964 parallel zur Rezession von 1966/67 im Verlauf der Amtszeit der Großen Koalition. Nach dem Abschwung der extremen Rechten infolge des Nichterreichens der Fünfprozenthürde für die NPD gab es in den 1980er-Jahren wieder Zuwächse für die Republikaner und in den 2000er-Jahren konnten Rechtsextreme in einzelnen Landesparlamenten der Neuen Bundesländer Erfolge erzielen. Es etablierte sich auch ein Feld freier Rechtsextremer, wie zum Beispiel der Freien Kameradschaften und eine Welle der Gewalt erschütterte Anfang der 1990er-Jahre Deutschland.

Die jüngsten Erfolge rechtspopulistischer Parteien und die Umfrageergebnisse der „Alternative für Deutschland“ lassen befürchten, dass 2017 auch eine rechtspopulistische Partei erfolgreich in den Bundestag einziehen könnte. Im öffentlichen Diskurs, in der Blogosphäre, in den sozialen Netzwerken hat sich inzwischen eine Sprache etabliert, die von Hass und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geprägt ist. Bereits jetzt hat der Aufschwung der Rechtspopulisten zu einer Atmosphäre geführt, in der auch die Anschläge auf Einrichtungen für Asylbewerber und Flüchtlinge empfindlich zugenommen haben.

Das rechtsextreme Potenzial in Deutschland wurde bereits von den alliierten Befreiern Europas in Deutschland regelmäßig einem Screening mit Mitteln der Empirischen Sozialforschung unterzogen. Die Entwicklung der Empirischen Sozialforschung war insofern auch vom Menetekel des Wiedererstehens rechtsextremer Parteien geprägt. In der Wissensgeschichte der Empirischen Sozialforschung wird dieser Hintergrund jedoch zu selten betrachtet und der Stellenwert der Empirischen Sozialforschung als genuine Demokratiewissenschaft missachtet. Deshalb nimmt sich der Workshop des Themas an. Ausgehend von Ansätzen einer neuen Ideengeschichte fragt der Workshop nach Formen praxisbezogener Wissenschaften, deren Konzepte in der Politik Spuren hinterließen und Verwendung fanden. Die auf dem Workshop präsentierten Papers tragen der These der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Lutz Raphael) Rechnung, mit der die Präsenz wissenschaftlicher Konzepte und Experten unter anderem im politischen Feld gemeint ist.

Der Workshop soll sich vor dem Hintergrund der oben angesprochenen Entwicklungen mit vergangenen und gegenwärtigen Formen der Vermessung rechtsextremer und -populistischer Einstellungen befassen. Ein wichtiges Ziel der vergangenen Forschungen, die von den amerikanischen Besatzungsbehörden ausgingen und sich in den OMGUS- und HICOG-Surveys niederschlugen, den Allensbach-Umfragen, den Frankfurter Gruppendiskussionsexperimenten, über die SINUS-Studien bis hin zu den Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung reichen, war es, das rechtsextreme bzw. -populistische Potential in der Bevölkerung zu vermessen und ausgehend von diesen Erkenntnissen Gegenstrategien in der politischen Bildung, in der Erziehung und in der geschichtspolitischen Arbeit zu entwickeln.
In den zurückliegenden Jahren hat die Friedrich-Ebert-Stiftung mit den sogenannten Mitte-Studien auch eigene Forschungsergebnisse zum „Extremismus der Mitte“ vorgelegt, die besonders aussagekräftig sind, was die Aussagekraft über jüngste Formen des Populismus betrifft. 2015 hat die FES eine eigene Studie zum Rechtspopulismus im Rahmen der Mitte-Erhebungen vorgelegt.

Der methodische Spannungsbogen soll von den quantifizierenden Methoden der Umfrageforschung, über deren qualitative Interpretation bis hin zu rein qualitativen Verfahren wie der Gruppendiskussionsmethode reichen. Diese Spannbreite findet sich zum Beispiel auch in den Mitte-Studien der FES wieder. Es soll um die ganze Spannbreite der Beforschung rechtsextremer, in jüngerer Zeit aber auch rechtspopulistischer Erscheinungsformen politischer Artikulation gehen.

Programm

Programm

Anreise und Registrierung ab 11:00 Uhr

11:45 Uhr Mittagsimbiss

12:30-12:45 Uhr

Begrüßung durch Dr. Anja Kruke, Leiterin des Archivs der sozialen Demokratie,
Inhaltliche Einführung durch Dr. Johannes Platz, Archiv der sozialen Demokratie

12:45-13:30 Keynote

PD Dr. Kerstin Brückweh, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: Vom Messen und Zählen der Gesellschaft in historischer Perspektive

Der Workshop hebt an mit einer Keynote von PD Dr. Kerstin Brückweh, die sich dem Problem des Messens und Zählens mittels Fragebögen in einer eher grundsätzlich orientierten, methodenhistorischen Herangehensweise nähert. Sie fragt danach, wie mit Fragebögen Wissen über die Gesellschaft generiert/gewonnen wird ODER wie Fragebögen zur (Selbst)Beobachtung der Gesellschaft konzipiert/entworfen werden. Kerstin Brückwehs Vortrag integriert die internationale/transnationale Perspektive, insofern sie auf die britische Gesellschaft blickt.

13:30-15:00 Panel Ansätze und Methoden

Prof. Dr. Samuel Salzborn, Universität Göttingen: Die Erhebungsinstrumente der Rechtsextremismusforschung in der Geschichte der Bundesrepublik

Anschließend wird Prof. Dr. Samuel Salzborn einen Überblick über die Erhebungsinstrumente, mit denen Rechtsextremismus und ihm nahe Einstellungsmuster gemessen werden, geben. Als Experte für methodologische Fragen der sozialwissenschaftlichen Forschung widmet er sich dem Thema von der Geschichte der Besatzungszone, der alten und bis zur neuen Bundesrepublik und befasst sich insofern mit den wesentlichen Erhebungsmethoden bis in die Gegenwart.

Dr. Johannes Platz, Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung: Gruppenexperiment und Autoritarismus: Qualitative und quantitative Erhebungsinstrumente für antidemokratisches Denken am Frankfurter Institut für Sozialforschung von 1950-1975

Dr. Johannes Platz zeigt anhand einer Fallstudie zu Forschungen Michaela von Freyholds und Ursula Jaerischs in den 1960er-Jahren am Frankfurter Institut für Sozialforschung auf, wie die Mitarbeiterinnen die Bemühungen zur Entwicklung einer deutschen Fassung der Umfrageskala f-scale aus dem sozialwissenschaftlichen Standardwerk The Authoritarian Personality, die Theodor W. Adorno angeregt und seit den 1950er-Jahren verfolgt hatte, unter dem Eindruck der Gründung und der ersten parlamentarischen Erfolge der NPD, modifiziert haben. Einen besonderen Fokus legt Platz auf den Methodendualismus am Frankfurter Institut für Sozialforschung, der quantifizierende und qualitativ-interpretierende Ansätze vereinte – eine Vorgehensweise, die auch bei der Entwicklung der den Studien von Michaela von Freyhold und Ursula Jaerisch zugrundeliegenden Skalen verfolgt wurde.

15:00-15:30 Uhr Kaffeepause

15:30-17:00 Uhr Panel Rechtsextremismus historisch

Lars Legath M.A., Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Stuttgart: Der Rechtsextremismus von 1969-1989

Lars Legath, M.A., Universität Mannheim/Tübingen befasst sich mit der Entwicklung der Einstellungsforschung von Scheuch/Klingemann bis zur Extremismusforschung von Backes/Jesse. Er arbeitet an einer Dissertation zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland und seiner Beforschung.

PD Dr. Gideon Botsch, Universität PotsdamRechtsextremismus ohne Handelnde? Zur Marginalisierung akteursorientierter Forschungsansätze seit 1990

PD Dr. Gideon Botsch widmet sich dem mehrfach gebrochenen Methodenwandel zwischen quantifizierenden, umfragebasierten und qualitativen Methoden der empirischen Beforschung des Rechtsextremismus. Botsch vertritt die These, dass „angebotsorientierte“ Ansätze, wie sie auch in der angelsächsischen Politikwissenschaft in Form der „actor oriented approaches“ verfolgt werden, um die Wende zu den 1990er Jahren in der deutschen Forschung weithin marginalisiert sind. Seither konkurrieren quantifizierende Verfahren zur Messung rechtsextremer Einstellungen und rechtsextremen Verhaltens, insbesondere in der Wahlforschung, mit theoriegeleiteten Arbeiten zur generischen Extremismusforschung sowie mit soziologischen, kriminologischen und psychologischen Ansätzen. Dies birgt das Risiko, die Handlungsebene und damit kollektive und individuelle rechtsextreme Akteure aus dem Blick zu verlieren.

17:00-17:15 Uhr: Kaffeepause

17:15-18:45 Panel: Aktuelle Tendenzen des Rechtspopulismus und des Rechtsextremismus

Prof. Dr. Andreas Zick, Universität Bielefeld: Die Mitte-Studie 2016 im Vergleich mit anderen Erhebungen

Prof. Dr. Andreas Zick berichtet über die Ergebnisse der aktuellen Mittestudie 2016 und diskutiert die Erhebungsmethode: Zusätzlich unterzieht er die Herangehensweise einem Vergleich mit verwandten Erhebungsmethoden, etwa der GMF-Surveys.

Dr. Bernd Sommer, Universität Flensburg: Prekarisierung und Ressentiment. Soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland

Dr. Bernd Sommer vertritt die These, dass die Engführung der Rechtsextremismusforschung auf Deklassierte und Prekarisierte nicht zielführend ist und setzt sich mit verschiedenen einschlägigen Studien zur Einstellungsforschung seit den 1990er-Jahren auseinander.

18:45-19:00 Schlussdiskussion

Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

PD Dr. Kerstin Brückweh, hat sich mit einer Arbeit über die Genese des Fragebogens habilitiert; Publikation: Menschen zählen. Wissensproduktion durch britische Volkszählungen und Umfragen vom 19. Jahrhundert bis ins digitale Zeitalter (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 76), München 2015.

Prof. Dr. Samuel Salzborn, Samuel Salzborns Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Demokratieforschung, mit thematischen Schwerpunkten in der theoretischen und empirischen Rechtsextremismusforschung sowie der methodologischen Vermittlung von Theorie und Empirie in den Sozialwissenschaften. Unter anderem hat er eine Einführung in den Rechtsextremismus und grundlegende Darstellungen zur Geschichte und Theorie des Antisemitismus verfasst: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, Baden-Baden 2014 (Studienkurs Politikwissenschaft). Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne, Frankfurt/Main 2010.

PD Dr. Gideon Botsch, Ludwig-Rosenberg-Kolleg Arbeiterbewegung und Judentum – Gideon Botsch hat verschiedene Forschungen, auch Einführungen und Forschungsüberblicke zur Geschichte des Rechtsextremismus und der NPD vorgelegt: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute (= Geschichte kompakt), Darmstadt 2012;
Lizenzausgabe (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1283), Bonn 2012; Die NPD und ihr Milieu. Studien und Berichte, Münster/Ulm 2009 (mit Christoph Kopke).

Dr. Johannes Platz, Referent für Gewerkschaftsgeschichte und Geschichte der Arbeitswelten im Archiv der sozialen Demokratie der FES, Projekt „Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert – Der DGB 1975-1982“, Promotion zum Thema „Die Praxis der kritischen Theorie. Angewandte Sozialwissenschaften und Demokratie 1950-1968“, Trier 2012,
http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2012/780/pdf/Die_Praxis_der_kritischen_Theorie.pdf

Lars Legath, M.A., Referent für Information und Prävention im Referat Rechtsextremismus und -terrorismus des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Doktorand am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen. Ein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte der deutschen extremen Rechten im 20. Jahrhundert. In seinem Promotionsprojekt beschäftigt er sich mit dem Wandel der bundesdeutschen extremen Rechten zwischen 1969 und 1989.

Prof. Dr. Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung, Universität Bielefeld, Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung, Mit Beate Küpper: Wut. Verachtung, Abwertung. Rechtspopulismus in Deutschland. Hrsg. Von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Ralf Melzer und Dietmar Molthagen, Bonn 2015; mit Anna Klein: Fragile Mitte – feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014.

Dr. Bernd Sommer, Leiter des Bereichs „Klima, Kultur und Nachhaltigkeit“ am Norbert Elias Center for Transformationsdesign & Research (NEC) der Europa-Universität Flensburg, wurde mit der Arbeit promoviert: Prekarisierung und Ressentiments, soziale Unsicherheit und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Wiesbaden 2010.
Eine Anmeldung ist erforderlich. Anmeldung bei:

Friedrich-Ebert-Stiftung
Archiv der sozialen Demokratie
Eva Váry
Godesberger Allee 149
53170 Bonn
Tel. 0228/883-8014
Fax 0228/883-9204
E-Mail: Eva.Vary@fes.de

Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören oder der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, sind von der Veranstaltung ausgeschlossen. Die Veranstaltenden werden ihnen den Zutritt zur Veranstaltung verwehren oder sie während der Veranstaltung von dieser ausschließen.

Bei Fragen zur barrierefreien Durchführung der Veranstaltung wenden Sie sich bitte an die Veranstalter

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Dr. Johannes Platz
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Godesberger Allee 149
53170 Bonn
Tel. 0228/883-8025
Fax 0228/883-9204
E-Mail: Johannes.Platz@fes.de

http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/
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