Die Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen, aber auch die Entstehung homosexueller urbaner „Szenen“ und emanzipatorischer „Bewegungen“ scheint für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts inzwischen relativ gut erforscht. Gänzlich anders ist dies, wenn man die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet. Hier wird häufig vorschnell angenommen, dass es in Demokratien nur begrenzte Diskriminierungen geben könne. Dabei demonstriert allein schon die ungebrochene Kontinuität des NS-Homosexuellenstrafrechts und seiner Praktizierung in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland, dass auch demokratisch legitimierte Verfolgungen möglich waren. Zugleich scheinen der Bewusstwerdungsprozess von homosexuellen Frauen und Männern, aber auch die Entstehung von Schwulen- und Lesben-Bewegungen, die mit ihren Forderungen im politischen Prozess besonders seit den 1970er Jahren immer mehr Gehör fanden, Belege dafür zu sein, dass – ungeachtet der „Überreste“ alter Vorurteile – letztlich doch von einer relativen Erfolgsgeschichte homosexueller Emanzipation ausgegangen werden müsse.
Die geplante Tagung zur Geschichte der Homosexualität in Europa möchte derartig „eindeutige“ Grundannahmen hinterfragen und dabei zugleich einige der mannigfaltigen Forschungslücken schließen helfen, die in der Zeit nach 1945 weiterhin bestehen. Zugleich soll die Geschichte der Homosexualitäten in einen größeren Interpretationsrahmen eingeordnet werden. Dabei stehen u.a. folgende Fragen im Mittelpunkt:
- In welchem Zusammenhang standen politisches System und der Umgang mit Homosexuellen?
- Welche grundlegenden Phasen der Geschichte der Homosexualität(en) lassen sich für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts im transnationalen Kontext ausmachen?
- In welchem Konnex zu Homosexualität standen Demokratisierung und Liberalisierung, aber auch Entwicklungen wie der Kalte Krieg?
- In welcher Weise unterschieden sich die politische und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität?
- Inwieweit wirkten und wirken Diskriminierungen trotz des Erlasses von Gleichstellungsgesetzen weiter fort?
- Welche Schlüsse lassen sich in dieser Hinsicht auf den Unterschied zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit ziehen?
- Welcher transnationale Interaktionszusammenhang zeigte sich zwischen den Homosexuellenbewegungen der verschiedenen Staaten?
- Welche kulturellen Entwicklungen kennzeichnete die Homosexuellenbewegung?
- Welche Wirkung hatten bestimmte prägende Ereignisse, so etwa die AIDS-Epidemie?
Schwerpunkt der Tagung ist die Geschichte der Homosexualität(en) in der Bundesrepublik in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, jedoch sollen exemplarisch auch insbesondere die DDR, Frankreich, Großbritannien, Österreich und Polen in die Analyse einbezogen werden. Insgesamt soll damit eine integrierte Geschichte der Homosexualität entstehen, die neueste Erkenntnisse in Hinblick auf Politik, Gesellschaft und Kultur vereint und diskutiert. Eine Publikation der Tagungsergebnisse ist angedacht.
Bewerbungen für diese Veranstaltung mit einem Abstrakt (max. 200 Wörter) für ein Vortragsthema und kurzem Lebenslauf richten Sie bitte bis zum 15. Januar 2017 an: Tagungsassistenz2@apb-tutzing.de.