Formgebung im Nationalsozialismus

Formgebung im Nationalsozialismus

Veranstalter
GrassiMuseum für Angewandte Kunst, Leipzig; Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig
Veranstaltungsort
GrassiMuseum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig ----------------------------------------------- Institut für Kunstgeschichte, Universität Leipzig, Dittrichring 18-20, 04109 Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.06.2017 - 26.06.2017
Deadline
20.02.2017
Website
Von
Dr. Michael Lingohr

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Am 25./26. Juni 2017 findet im Grassimuseum für Angewandte Kunst und im Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig als gemeinsame Veranstaltung beider Leipziger Einrichtungen eine interdisziplinäre Tagung zum Thema „Formgebung im Nationalsozialismus“ statt.

Formgebung im Nationalsozialismus

Die Vielfalt an Forschungsansätzen, an Fragestellungen und vor allem an neuen Erkenntnissen zur NS-Zeit ist kaum noch zu überblicken. Dennoch gibt es nach wie vor Forschungslücken, so im Bereich der Kunst- und Kulturpolitik, im besonderen auf dem Gebiet der bildenden und der angewandten Künste. Die Grundlagenforschung muß einerseits auf eine breitere Basis gestellt werden, andererseits besteht dringender Bedarf an einer verstärkten Kontextualisierung der Kunst- und Kulturpolitik im Gefüge der zentralen Herrschaftsinstrumente des Systems. Besonderer Stellenwert kommt zudem einer aus der ständig wachsenden Fülle an Fakten und Erkenntnissen resultierenden Notwendigkeit zur permanenten Überprüfung der methodischen Ansätze zu.
Die Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst hat sich vor allem auf die Themen "Entartete Kunst", Kunstraub, Enteignung und Restitution, Große Deutsche Kunstausstellung sowie auf das Medium der Großplastik und auf Künstler- und Werkbiographien konzentriert. Die Forschung zur angewandten Kunst hat außer in Fallstudien nur selten Beachtung gefunden (Amt 'Schönheit der Arbeit', Deutsche Warenkunde etc.), Kunsthandwerk ist weitgehend unter der Aufmerksamkeitsschwelle geblieben. Analysen, die beide künstlerischen Gestaltungsaufgaben verknüpfen, sind in der Forschung die Ausnahme, obgleich oftmals behauptet wurde, daß die staatlicherseits propagierte Kunst allenfalls in die Kategorie Handwerk falle. Das verwundert umso mehr, als bekanntlich beide Bereiche in der "Reichskulturkammer" zusammengefaßt, damit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt waren, folglich per definitionem gleichermaßen im Propagandadienst für das System standen. Das wiederum verbindet sie, über personelle Zusammenhänge hinaus, mit der vorrangigen Propagandaaufgabe der Dekoration und Ausgestaltung von Staats- und Parteifeiern, Großkundgebungen und Großveranstaltungen, die bisher allenfalls im Zusammenhang mit Architektur thematisiert worden sind. Daß diese drei Gestaltungsaufgaben mit künstlerischem Anspruch im "Dritten Reich" tatsächlich zusammengehören, verdeutlicht der auf sie gleichermaßen angewendete Begriff der "Formgebung". Hatte Oscar Mothes [Illustriertes Bau-Lexikon, II, 41882] ihn noch im Sinne einer Gestaltung von Architekturdekor definiert, so schien er fünfzig Jahre später geeignet, die aktive Rolle des NS-Staates hinsichtlich einer umfassenden künstlerischen Gestaltung von Propaganda und Kultur zum Ausdruck zu bringen.
Symptomatisch für den Umgang mit NS-Kunst und -Kunstgewerbe ist der schon seit Jahren diskutierte Umstand, daß bildende und angewandte Kunst dieser Zeit nur höchst selten Eingang in die Präsentationen von Kunst- und Kunstgewerbemuseen gefunden haben. Daher sind die methodischen Grundlagen für Aufarbeitung und Präsentation der entsprechenden Werke noch weitgehend ungeklärt und ihre kritische Einordnung und Bewertung erreicht nicht die Öffentlichkeit. Der Umgang mit der künstlerischen und kunsthandwerklichen Hinterlassenschaft der NS-Zeit darf nach wie vor als befangen gelten. Die von historischer Seite schon vor Jahrzehnten eingeforderte und schrittweise erfolgte Historisierung [Broszat] steht in diesen Bereichen noch weitgehend aus. In das kunsthistorische Entwicklungsmodell der Stilgeschichte lassen sich die künstlerischen Produkte, die in diesen Jahren propagiert und von offizieller Seite präsentiert wurden, bekanntlich nicht einfach einordnen, da die zugrundeliegenden Kategorien unhistorisch sind. Zudem werden diverse auf verschiedenen Ebenen angesiedelte Argumente vorgebacht, um Kunst der NS-Zeit nicht auszustellen und Kunstgewerbe/Kunsthandwerk der NS-Zeit nicht als Politikum zu thematisieren: das den Werken vermeintlich innewohnende Gefährdungspotential, ihr vorgeblich mangelnder künstlerischer Wert, ihre problematische Einordnung in das gängige Stil- und Entwicklungsmodell, die Unschärfe der Kategorie NS bezüglich Kunst und Kunstgewerbe, die Kürze der NS-Periode etc. Überspitzt formuliert reduziert sich diese problemscheuende Argumentation für die bildende Kunst auf die immer wieder aufgeworfenen Fragen: Kann Kunst im alleinigen Dienst eines totalitären Systems überhaupt als Kunst bezeichnet werden? Lassen sich die zwei grundlegenden Anforderungen des NS-Systems an Kunst, die nach technischem Können und die nach einer überpersönlichen Umsetzung deutscher Bildthemen mit unserem Kunstbegriff vereinbaren oder bezeichnen sie nicht eher ein Handwerk? [Hinz] Für die angewandten Künste steht andererseits die unausgesprochene Frage im Raum: Können Kunstgewerbe und Kunsthandwerk überhaupt politisch sein? [Mittig]
Diese Fragen führen allerdings auf dem Weg zur Historisierung nicht weiter. Vielmehr sind neue Ansatzpunkte, neue Verknüpfungen und eine breitere Forschungsbasis notwendig. Dazu möchte die Leipziger Tagung "Formgebung im Nationalsozialismus" einen Beitrag leisten. Dabei sollten unter dem Blickwinkel der künstlerischen Formgebung auch Wirtschaftsunternehmen, Organisationen, Verbände und Ministerien und die unterschiedlichen Wirkungsebenen von Reich über Gau bis zu Kreis in den Fokus rücken. Zu analysieren wären zudem die diversen Grade der Verflechtung künstlerischer Gestaltung mit den systemsichernden Herrschaftsinstrumenten, die weit über die Kontrollfunktion der "Reichskulturkammer" hinaus wirksam waren und ein nahezu lückenloses System hervorbrachten, durch das Künstler, Kunsthandwerker und die Phänotypen ihrer Produkte gefördert oder "ausgemerzt", vor allem aber Rahmenbedingungen der Steuerung geschaffen und Definitoren in Form von Anreiz, Belohnung und Inklusion oder Drohung, Bestrafung und Exklusion gesetzt wurden. Das Verständnis der Zusammenhänge setzt einerseits die Kenntnis der Weimarer Republik und die Berücksichtigung des Umschwungs der NS-Kulturpropaganda von umfassendem Defätismus vor 1933 zu der mit der Machtübernahme notwendig gewordenen positiven Gestaltung von Kultur voraus. Andererseits sind auch die systemimmanenten Widersprüche (z. B. Gegensatz zwischen Typisierungsbestrebungen und volkstümlicher Erneuerung), die Sachzwänge, teils systemunabhängig, weil älter, teils systembedingt (z. B. Rohstoffmangel, Export- versus Autarkiepolitik) und schließlich der alle heterogenen Erscheinungen verknüpfende und alle Widersprüche weitgehend aufhebende Überbau ideologischen und rassenbiologischen Gedankengutes im allumfassenden Erziehungsdienst zu berücksichtigen.

Wir bitten um Vorschläge für 25-minütige Referate zu diesem Themakomplex. Erwünscht sind Beiträge aus verschiedenen Disziplinen, wie unter anderem Designwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Medienwissenschaft oder Museologie, die geeignet sind, das Thema im Systemzusammenhang zu beleuchten. Ebenso willkommen sind Reflexionen über theoretische und methodische Ansätze oder Beiträge zur Frage einer angemessenen musealen Präsentation und didaktischen Aufbereitung des Themenfeldes in den und durch die Museumssammlungen.
Die Resümees sollten die avisierten Referate und ihre Relevanz für das Generalthema „Formgebung“ präzise auf einer Textseite (bis 2200 Zeichen) skizzieren.

Einsendung der Vorschläge bitte bis zum 20. Februar 2017
an den Ansprechpartner für Koordination und Organisation der Tagung:
PD Dr. Michael Lingohr
Institut für Kunstgeschichte
Universität Leipzig
Dittrichring 18-20, 04109 Leipzig
michael.lingohr@uni-leipzig.de

Programm

Kontakt

PD Dr. Michael Lingohr
Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig, Dittrichring 18-20, 04109 Leipzig
michael.lingohr@uni-leipzig.de


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