Medien spielen eine zentrale Rolle in Prozessen gesellschaftlicher, kultureller und ökonomischer Vermittlung zwischen Migranten und Einheimischen. Ausgehend von den Schlagworten vom ›Jahrhundert der Vertreibungen‹ und dem ›langen Jahrhundert der Massenmedien‹ soll die Rolle der traditionellen Massenmedien bzw. der neuen digitalen Medien bei der Verhandlung von Flucht und Vertreibung untersucht werden. Wie tragen Medien dazu bei, Raumvorstellungen und das Konzept der Heimat zu modulieren, Vergemeinschaftungen zu verändern und neue Identitäten zu konstruieren? Wie wirkt sich die transnationale Verbreitung des Rundfunks und der Online-Medien auf diese Prozesse aus? Welche Rolle spielen der Auslandsrundfunk, Gastarbeitersendungen, Ethnomedien und Community-Medien? Und wie wirken ein Glaubwürdigkeitsverlust der ›Mainstream-Medien‹ sowie rechtspopulistische Medien integrativen Prozessen entgegen?
Der Studienkreis Rundfunk und Geschichte erörtert die verschiedenen Facetten dieses Themas aus historischer und aktueller Perspektive auf seiner Jahrestagung in Kooperation mit der Deutschen Welle am 8. & 9. Juni 2017 in Bonn und lädt ein, Beiträge einzusenden.
Einreichungen können folgende Bereiche umfassen:
In seinen ersten Jahren war die völkerverständigende Kraft des Radios ein viel beschworener Topos. Im Melting Pot des Immigrationslandes USA setzte man massiv auf das Radio als Mittel, einerseits integrativ die nationale Einheit und kulturelle Harmonie zu fördern und andererseits inklusiv der Diversität der Kulturen eine Plattform zu geben. In Europa diente das Radio stärker der Verbreitung, Herstellung und Sicherung nationaler Identitätsmerkmale und damit der Abgrenzung von fremden Kulturen, und verstreute Gegenbeispiele belegen eher die Problematik dieser Tendenz. Welche Rolle spielte das Radio für Migrationsprozesse? Welche infrastrukturellen und programmlichen Bedingungen formten diese Prozesse? Welche Ausnahmen zeigen alternative Optionen jener Zeit an? Wie änderten sich diese Prozesse mit der Einführung des noch stärker national orientierten Fernsehens? Wie wurden Einwanderer repräsentiert und Einblicke in andere Länder gegeben?
Auslandsrundfunkdienste, viele schon vor dem 2. Weltkrieg etabliert, sind lange mit Migration und Diaspora verflochten: als ›Stimme der Heimat‹ für Auswanderer, koloniale Migranten, Seefahrer und andere Arbeitsmigranten; als Stimme des Exils in besetzte Gebiete und Länder unter autoritären Herrschaft, aber auch als Arbeitgeber und Treffpunkt für Migranten verschiedener Art, die ihr Herkunftsland im Namen des Zuwanderungslandes ansprechen. Welche Dynamiken entstanden sowohl vor als auch hinter dem Mikrofon oder der Kamera? Wie werden Stimmen und Sprecher räumlich, emotional und kulturell verortet zwischen Herkunfts- und Zuwanderungsland? Welche Rolle spielen diasporische Erfahrungen und Kulturen in den Produktionskulturen des Auslandsrundfunks?
In den sechziger Jahren wurden Sendungen für Gastarbeiter in sämtlichen europäischen Ländern, sowohl im Osten als auch im Westen, eingeführt. Beiträge sind erwünscht, die solche Sendungen in der transnationalen Medienlandschaft verorten: wie standen sie im Verhältnis zu Medienangeboten aus dem Herkunftsland, zu einheimischen Medien oder zu Sendungen aus dem konkurrierenden Block im Kalten Krieg? Welche Orientierungs- und Identifikationsmöglichkeiten im neuen und im Herkunftsland wurden angeboten? Wie und durch wen wurde solche Sendungen genutzt, und welche Rolle spielten sie im Alltagsleben von Migranten?
Muttersprachliche, auch sogenannte Ethnomedien sind für viele Migranten eine wichtige Brücke zu ihrer Herkunftskultur und haben einen starken Einfluss auf Identitätsprozesse. Muttersprachliche Auslandsmedien und solche, die in den Gastländern z.B. von Migranten produziert werden, wirken unterschiedlich stark in diese Prozesse hinein. Welchen Beitrag leisten heimatsprachliche Medienangebote für Integrationsprozesse? Welche aktuellen und historischen Beispiele sind formatbildend? Welche Schlüsse lassen sich aus diesen Medienkulturen für integrationspolitische Prozesse ziehen? Wie können integrative Effekte gestärkt werden?
Nichtkommerzieller Lokalrundfunk und Community-Medien haben eine lange Tradition der Programminhalte von und für Randgruppen, darunter Migranten als Spiegel vor allem urbaner ethnokultureller Durchmischung. Angesichts der fortwährenden Flüchtlingskrise in Europa wird die Frage gestellt, welche Rolle alle Formen von lokalen Medien spielen können in der Aufnahme, Sorge und Willkommenspraxis von Flüchtlingen und Migranten. Erwünscht sind Beiträge aus Forschung und Praxis.