Die Sommerschule „Rekonstruktion eines Chronotops. Das ehemalige Straflager Stvor als Raum des sowjetischen Strafvollzugs“ bietet deutschen und russischen Studierenden die Möglichkeit sich gemeinsam mit dem Potenzial lokaler Geschichte zur Erinnerung von größeren Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Im Vordergrund steht die Reflektion von sich im Raum überlagernden Phasen des Sowjetischen Strafvollzugs am Beispiel des Lagers Stvor im Uralvorland. Durch die Einordnung der Geschichte Stvors in den Kontext sowjetischer Geschichte wird den Studierenden gleichermaßen ein Einblick in die Vielschichtigkeit des Bestrafungssystems der Sowjetunion, als auch ein Eindruck in die vielfältigen, sich teils widersprechenden individuellen Erfahrungen der historischen Subjekte gegeben. In Anlehnung an die Raum-Geschichte soll in Zusammenarbeit von deutschen und russischen Studierenden der historische Ort historiografisch lesbar gemacht werden. Um mit einer Geschichtsschreibung, die im Schlögelschen Sinne „Ort und Zeit zusammenbringt“, vorzugehen, bedarf es jedoch erst der dezidierten zeitlichen Bestimmung der Überreste in Stvor. Durch das fotodokumentarische Erfassen des ehemaligen Lagers setzen sich die Studierenden dezidiert mit dem Raum als historischem Dokument auseinander und erlernen Zeitschichten zu bestimmen und zu analysieren.
Darüber hinaus verweist der Ort Stvor auf gegenwärtige erinnerungspolitische Debatten in Russland, bei denen Erinnerungen und „Gegen-Erinnerungen“ miteinander kumulieren. Ziel ist es, den Teilnehmenden die Fähigkeiten zu vermitteln, voneinander abweichende Narrationen im historischen wie erinnerungspolitischen Zusammenhang betrachten zu können. Durch den Austausch mit russischen Dozierenden und Studierenden werden eigene Vorannahmen kritisch hinterfragt und neue Perspektiven aufgeworfen. Eine enge Begleitung der Sommerschule durch Memorial Perm vermittelt den Teilnehmenden zudem einen Eindruck von der Vielseitigkeit des erinnerungspolitischen Spektrums und den aktuellen Möglichkeiten von zivilgesellschaftlichem Engagement in Russland.
Das sehr praxisorientierte Sommerschulprogramm ermöglicht es den deutschen und russischen Teilnehmenden einen individuellen Zugang zum Ort und seiner Geschichte zu finden. Zwar ist das Ziel der Sommerschule, ein virtuelles Museum zu schaffen, klar bestimmt, doch bietet diese Vorgabe ausreichend Möglichkeiten für eigenständige Ideen.