Spätestens seit Sigmund Freuds Traumdeutung (1900) zählt die Erforschung latenter Bedeutungen, Strukturen oder Kräfte zu den human-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Schlüsselpraktiken. Wichtige Latenztheorien entstammen der Psychoanalyse, der Soziologie, der Rhetorik, der Philosophie, der Medien- und Kulturtheorie, wobei Latenz – sehr verallgemeinert – als eine (angenommene) Macht verstanden werden kann, die gerade aus ihrem Verborgensein heraus Wirksamkeit entfaltet. Hans Ulrich Gumbrecht legte 2012 mit der Publikation Nach 1945. Latenz als Ursprung der Gegenwart ein Buch vor, das in der für die zeitgenössischen Kulturwissenschaften grundlegenden Latenzdebatte neue Perspektiven eröffnete: Es interveniert mit dem Vorschlag, die Jahre zwischen 1945 und 1960 als einen vom „Chronotop der Latenz“ geprägten Zeitraum zu betrachten. Gemeint ist hiermit eine neue, zugleich posthistorische und postutopische Zeit- und Raumerfahrung: die Erfahrung, die Vergangenheit nicht zurücklassen und auf eine offene, gestaltbare Zukunft zugehen zu können. Genau diese Erfahrung gelte es angemessen zu erinnern, so Gumbrecht. Den hiermit aufgeworfenen gesellschaftlichen, kulturwissenschaftlichen und erinnerungspolitischen Fragen widmet sich der Workshop in Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion, denen Gumbrechts Studie als Grundlage dient.