(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität

(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität

Veranstalter
Arbeitsgemeinschaft Theorien in der Archäologie e.V., Forum Archäologie in Gesellschaft
Veranstaltungsort
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Steintor-Campus
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.03.2018 - 21.03.2018
Von
Karin Reichenbach

Angesichts der Diskussionen um „alternative Fakten“, „fake news“ und der Einläutung eines „Postfaktischen Zeitalters“ sieht sich die Wissenschaft herausgefordert, ihren Geltungsanspruch als Produktionsstätte sicheren Faktenwissens zu untermauern. Doch anstatt nur für die wissenschaftliche Wahrheit zu marschieren, scheint es vielmehr angebracht, sich wieder einmal intensiver mit den Grundlagen dieser Wahrheit auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen, wer oder was darüber entscheidet, was „wahr“ oder „falsch“ ist. Denn die Herausforderung, die das sog. postfaktische Zeitalter stellt, zielt doch eigentlich auf den zentralen Ausgangspunkt erkenntnistheoretischer Überlegungen, dass es eine solche absolute Instanz, die unabhängig von menschlich vermittelter Erkenntnis den Wahrheitsgehalt von Wissen prüfen kann, nicht gibt. Und als Wissenschaftler*innen sollten wir in der Lage sein, uns dazu begründet zu positionieren.
Für vergangenheitsbezogene Wissenschaften stellen sich gleich mehrere Stolpersteine auf dem gesteckten Ziel der Erforschung, Erklärung oder gar Rekonstruktion vergangener Wirklichkeiten und lassen vermeintliche historiographische Gewissheiten als „unsichere Geschichte“ (H.-J. Goertz) erscheinen. Abgesehen vom generellen Problem der Beobachterabhängigkeit gegenüber jeglichen Erkenntnisgegenständen, stehen wir vor der Herausforderung, dass sich vergangene Wirklichkeiten der Beobachtung entziehen, weil sie eben vergangen sind und damit nicht mehr erfahrbar, vergleichbar, wiederholbar gemacht werden können.
Wie Altertumswissenschaften dennoch Vergangenheitsentwürfe konstruieren, wie sie dies mit Bezug auf Zeugnisse, Quellen und Überreste tun und welche Plausibilisierungsmöglichkeiten und -verfahren sie als wissenschaftliche Herangehensweisen haben, möchten wir in einer Sektion auf der Altertumsverbandstagung diskutieren. Es gilt also, sich mit den zentralen Grundsatzfragen unseres Faches auseinanderzusetzen, ob und auf welche Weise Archäologie sinnvolle und gesellschaftlich anerkannte Deutungen des Historischen erstellen kann. Wie können wir uns begründet von problematischen Vergangenheitsentwürfen, wie etwa politisch verengten Geschichtsbildern und undifferenzierten Meistererzählungen, abgrenzen?
Neben der grundsätzlichen Diskussion erkenntnis- und geschichtstheoretischer Positionen (z. B. Positivismus, Konstruktivismus, Neuer Materialismus) und der zentralen Frage nach Sinn und Nutzen der Archäologie als gesellschaftliche Praxis des Umgangs mit Vergangenheit werden etablierte Denkfiguren (z. B. die des Vetorechts der Quellen) ebenso zum Thema gemacht wie Dichotomien von richtigen/guten vs. falschen/bösen Geschichten bzw. der Umgang mit Pluralität.
Ferner wird an konkreten Fallbeispielen erörtert, wie in der Archäologie Vergangenheit (re)konstruiert und vermittelt wurde und wird. Welche Praktiken der Wissensgenerierung und Referentialität gab und gibt es, und wie und warum haben sie sich im Laufe der Zeit verändert? Welche Unterschiede, aber auch welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen altertumswissenschaftlichen Erzählungen, Lebensbildern, Experimenten, Modellen und baulichen Rekonstruktionen von Historienromanen, Computerspielen, Reenactment und historisierenden Neubauten?
Die Sektion wird von der Ag Theorien in der Archäologie e.V. (www.agtida.de) in Kooperation mit dem Forum Archäologie in Gesellschaft organisiert und ist Teil der der Tagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung (MOVA) und des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung (WSVA), 19. – 22. März 2018 in Halle/Saale. Weitere Informationen unter: https://mova-online.de/veranstaltungen/

Programm

(Un)Sichere Geschichte(n): Archäologie und (Post)Faktizität

Dienstag, 20.03.2018 – Hörsaal II

8:45 Uhr Stefan Schreiber (Berlin) / Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a. M.), Begrüßung

Moderation: Karin Reichenbach
9:00 Uhr Artur Ribeiro (Kiel), Archaeology and the real: considerations on reality and the sciences
9:30 Uhr Vesa Arponen (Kiel), Der „Reflective Turn“ in der Archäologie

10:00 Uhr Kaffeepause

Moderation: Kerstin P. Hofmann
10:30 Uhr Sophie-Marie Rotermund (Hamburg) / Geesche Wilts (Hamburg) / Stefan Schreiber (Berlin), Angst vor der Postfaktizität? Vergangenheiten als Bricolage
11:00 Thomas Meier (Heidelberg), Vergesst Fakten
11:30 Uhr Gabriele Rasbach (Frankfurt a. M.), „Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit.“ Postfaktizität an Beispielen aus der (Provinzial-Römischen) Archäologie
12:00 Uhr Alexander Hilpert (Saarbrücken), „Die Villa der Secundinier“? Die römische Villa von Nennig und ihre „unsichere Geschichte“ im Spiegel der Forschung nach 1866

12:30 Mittagpause & Ende Tag 1 der Sektion (Un)Sichere Geschichte(n)

Mittwoch, 21.03.2018

Moderation: Doreen Mölders
09:00 Uhr Karin Reichenbach (Leipzig), Wem gehört die Vergangenheit? Archäologisches Reenactment als populäre Form der Geschichtsaneignung zwischen Postmoderne und Postfaktizität
09:30 Uhr Ralf Hoppadietz (Bibracte), Versicherte Geschichte. Reenactment als Geschichtsvermittlung zwischen Post- und Kontrafaktizität

10:00 Uhr Kaffeepause

Moderation: Thomas Meier
10:30 Uhr Rüdiger Krause (Frankfurt a. M.) / Rupert Gebhard (München), Das Narrativ von Bernstorf. Wissenschaftliches und Postfaktisches zu den Gold- und Bernsteinfunden
11:30 Uhr Lukas Bohnenkämper (Basel), Schwarz-Weiß-Malereien: Ägypten und Kusch zwischen Afro- und Eurozentrismus
12:00 Uhr Kerstin P. Hofmann (Frankfurt a. M.), Erzähl mir doch (k)eine Geschichte(n)!

12:30 Uhr Mittagspause

Moderation: Martin Renger
14:00 Uhr Stefan Solleder (Berlin), Wann ist die Rekonstruktion der Vergangenheit wissenschaftlich? Theoretische Überlegungen anhand des Falls „Nordirlandkonflikt“
14:30 Uhr Bärbel Auffermann (Mettmann), Von der Schatzkammer zum sozialen Raum
15:00 Uhr Laura Löser (München), Mut zur Lücke. Ein Plädoyer für Bedeutsamkeit und Chance von Unsicherheit in archäologischer und historischer Museumsvermittlung

15:30 Uhr Kaffeepause

Moderation: Stefan Schreiber
16:00 Uhr Doris Gutsmiedl-Schümann (Berlin), Archäologiestudiengänge zwischen (re)konstruierter Vergangenheit und historischer Wahrheit
16:30 Uhr Jana Anvari (Berlin) / Eva Rosenstock (Berlin), Neolithic Doom: negative Darstellungen der Neolithisierung in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen

17:00 Uhr Abschlussdiskussion

Programm einschließlich Vortragsabstracts auf:
http://www.agtida.de/programm-der-sektion-unsichere-geschichten-archaeologie-und-postfaktizitaet/

Kontakt

Karin Reichenbach
Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO)
Specks Hof (Eingang A), Reichsstraße 4-6, D-04109 Leipzig
karin.reichenbach@leibniz-gwzo.de

http://www.agtida.de/programm-der-sektion-unsichere-geschichten-archaeologie-und-postfaktizitaet/