Das „Zeitalter der Extreme“ stellte den wissenschaftlichen Internationalismus vor besondere Herausforderungen. Einerseits erreichte er mit dem Ausbau eines weltumspannenden Kongresswesens, ersten multinationalen Forschungskooperationen, international agierenden Stiftungen und der Gründung transnationaler Wissenschaftsorganisationen eine neue Dimension. Andererseits entwickelte sich im Zuge des sich zuspitzenden Nationalismus eine besonders spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen internationaler Vernetzung und nationaler Konkurrenz. Die beiden Weltkriege und die Systemkonkurrenz im Zuge des Ost-West-Konfliktes setzten für die Wissenschaft politische Rahmenbedingungen, die über Inklusion oder Exklusion auf der internationalen Ebene mitentschieden.
Die ereignisgeschichtlichen Zäsuren prägten dabei Deutschland und Österreich in besonderer Weise. Wissenschaftlerinnen beider Länder waren nach dem Ersten Weltkrieg innerhalb der internationalen scientific community zunächst isoliert und sahen sich mehrheitlich als Opfer einer Blockadepolitik. Nicht nur der Ausschluss aus den internationalen Wissenschaftsvereinigungen, sondern auch die Kritik an der Dominanz der deutschsprachigen Wissenschaftskultur hatten Konsequenzen für die Forschungspolitik, das Publikationswesen und die auswärtige Kulturpolitik beider Länder. Während sich die wissenschaftlichen Außenbeziehungen Anfang der 1930er Jahre langsam wieder intensivierten, folgte im Zuge des Nationalsozialismus erneut eine Phase der Isolation, in der die Inszenierung der internationalen Vernetzung der deutschen Wissenschaft politisch umso wichtiger wurde. Nach 1945 dann mussten österreichische wie deutsche Wissenschaftlerinnen viele der während des Zweiten Weltkrieges abgebrochenen internationalen Kontakte wieder mühsam aufbauen. Insbesondere das Verhältnis zu den vertriebenen und ins Ausland emigrierten Wissenschaftlerinnen erwies sich als entscheidend und zugleich herausfordernd für die wissenschaftlichen Außenbeziehungen. Darüber hinaus steckte der heraufziehende Ost-West-Konflikt den politischen Handlungsrahmen für den wissenschaftlichen Internationalismus neu ab.
Die Kommission „Die Göttinger Akademie und die NS-Zeit“ veranstaltet am 15. und 16. November 2018 einen Workshop, der die Geschichte dieses Spannungsverhältnisses von internationaler Wissenschaftskooperation und nationalem Wettbewerb vom Ersten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre zum Gegenstand hat. Im Zentrum des Workshops steht die Frage, wie sich für Deutschland und Österreich die wissenschaftlichen Außenbeziehungen im Zuge der großen internationalen politischen Konflikte gestalteten. Welche Bedeutung hatten nationale Identitäten, übergeordnete politische Ideologien und staatliche Ziele für die wissenschaftlichen Kontakte ins Ausland? Welche nationalen Strategien der Internationalisierung und der Abgrenzung wurden verfolgt und wie wirkten sich diese auf die Forschung und Wissenschaftskultur beider Länder aus? Inwiefern spiegelten sich die politischen Allianzen und Feindschaften in den wissenschaftlichen Beziehungen wider? Und wo konfligierten politische Vorgaben mit dem wissenschaftlichen Streben nach Vernetzung und internationaler Anerkennung?
Diese Fragen lassen sich sowohl anhand von Institutionen, Netzwerken oder einzelnen Akteuren als auch auf der Ebene von Forschungsfeldern und Wissenschaftsdisziplinen verfolgen. Wie gestaltete sich das Verhältnis zu den internationalen Organisationen wie beispielsweise dem International Research Council, der International Union of Academies, der Kommission für internationale geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes, der World Federation of Scientific Workers oder der in Reaktion auf die atomare Bedrohung aufkommenden Pugwash-Bewegung? Welche Rolle spielten Stiftungen wie die Rockefeller Foundation oder die Alexander von Humboldt-Stiftung, Akademien mit ihren grenzübergreifenden Netzwerken, Auslandsinstitute sowie universitäre und andere Austauschprogramme für die internationalen Beziehungen in der Wissenschaft?
Auf der Ebene der Fachkulturen lässt sich nach disziplinären Spezifika der internationalen Beziehungen fragen. Dabei sind nicht nur zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften einerseits und den Natur- und Technikwissenschaften andererseits Unterschiede zu erwarten. Die internationalen Kontakte konnten außerdem je nach Reputation der einzelnen Fachvertreter, disziplinären Schulen oder regionalen Forschungsstandorten variieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwiesen sich die emigrierten Wissenschaftlerinnen als eine erste und wichtige Anlaufstelle für Wissenschaft in Österreich und den beiden deutschen Staaten. Ob und wie sich die Wiederaufnahme der Kontakte zu den früheren Kolleginnen gestaltete, hing erstens von der vergangenheitspolitischen Kommunikation ab, mit der man den Vertriebenen begegnete, und zweitens davon, wie gut sich die emigrierten Forscherinnen in ihr neues Forschungsumfeld integriert hatten.
Der für den Workshop gewählte lange Untersuchungszeitraum ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Internationalismus und einzelstaatlichen Wissenschaftskulturen nicht nur in synchroner, sondern auch in diachroner Perspektive nachzugehen. Wie prägten die verschiedenen politischen Systemwechsel und sich ändernden außenpolitischen Großwetterlagen die Internationalisierungs- und Abgrenzungsstrategien? Neben den Konflikten im Zuge der beiden Weltkriege stellen für die Zeit nach 1945 die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen sowie die österreichischen Wissenschaftsbeziehungen zu ihren osteuropäischen Nachbarstaaten vor dem Hintergrund der Blockbildung eine besondere Situation dar.
Wir suchen Beiträge aus aktuellen Forschungsprojekten, die sich vor dem Hintergrund neuerer Literatur zur Internationalisierung sowie zur Ambivalenz von Kooperation und Wettbewerb in der Forschung mit dem wissenschaftlichen Internationalismus als Ideal und Praxis beschäftigen und einen Bezug zu Deutschland bzw. Österreich aufweisen. Vorschläge für Vorträge (20-25 Minuten) werden in Form eines Abstracts von 350-400 Wörtern sowie einem Kurzlebenslauf bis zum 6. April 2018 erbeten.