Von Transzendenz zum Transhumanismus – Deutungskulturen von (Un)Heilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Von Transzendenz zum Transhumanismus – Deutungskulturen von (Un)Heilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Veranstalter
Arbeitsbereich Neueste Geschichte, Historisches Institut, Universität Paderborn; Arbeitsbereich Didaktik der evangelischen Religionslehre mit Kirchengeschichte, Institut für evangelische Theologie; Universität Paderborn, Professur für jüdische Studien des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften, Universität Paderborn
Veranstaltungsort
Heinz-Nixdorf-MuseumsForum Paderborn
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.03.2019 - 15.03.2019
Deadline
22.05.2018
Website
Von
Sabrina Lausen

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von einer Suche nach Heil und Erlösung. Wurde beides noch bis in die Moderne vornehmlich in den Armen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und ihrer Kirchen gesucht, vertrauten im Zuge der Aufklärung immer mehr Menschen ihr immanentes und auch ihr transzendentes Schicksal anderen Deutungsmächten an.

So gilt das ubiquitäre Ideal des „Pursuit of Happiness“, das als Grundrecht erstmals schriftlich in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert wurde, als typisches Phänomen der Moderne und ist inhaltlich angefüllt mit weltlichen Heilsversprechen wie Individualglück, materiellem Wohlstand sowie einem Höchstmaß an Selbstverwirklichung.1 Diese Vorstellung irdischen Heils bildet zudem die Grundlage unserer heutigen neoliberalen Marktwirtschaft und Wettbewerbsgesellschaft, deren Protagonisten im ständigen Effizienzgewinn bestimmter Branchen den Dreh- und Angelpunkt allgemeiner Wohlfahrt erblicken.2

Darüber hinaus ist im Laufe des letzten Jahrhunderts durch die konstitutiven Faktoren Bildung, materielle Grundversorgung, soziale Grundsicherung sowie Kranken- und Rentenversicherungen ein komplexes System entstanden, das ein Mindestmaß an Heil und Erlösung vor dem Tod garantieren soll. Aus der ursprünglichen Jenseitsvorsorge ist somit eine „Diesseitsvorsorge“3 geworden. Zerfall der Gesellschaft, massive Armut, die Globalisierung und die mit ihr verknüpften Folgen wie Krieg, Terror, Umweltzerstörung und Klimawandel sind nur ein paar der Kehrseiten, die manche irdischen Heilsbringer nach sich ziehen. So ist Heil stets mit Unheil, Erlösung stets mit Untergang verbunden. Dies bedeutet, dass die Chancen, Sinnstiftung ausschließlich im Diesseits zu finden, in extremem Maße ungleich verteilt sind.

Zugleich wird deutlich, dass die Sehnsucht nach Heil und Erlösung und die Furcht vor Unheil und Untergang nach wie vor bestehen, ihre Inhalte und Träger sich vor dem Hintergrund einer stark säkularisierten Welt jedoch transformiert haben. Schon Max Weber wies innerhalb seiner Wirtschaftsethik explizit auf die religiösen Wurzeln des Marktkapitalismus hin;4 deutlich jüngere Studien hingegen konstatierten bereits eine „Religion des Marktes“5 bzw. eine „Markt-Religion“6 mit allen oben genannten positiven wie negativen Folgen.

Auch Politik und Technik wurden im Laufe der Jahrhunderte zu solchen Heils- und Unheilsbringern. So war eine Vielzahl von Nationalbewegungen im westlichen und östlichen Europa geprägt von einem bellizistisch-religiösen Wertekanon, in dem der Nationalstaat als heilsbringende Macht überhöht wurde. An die Stelle der Nationalreligiosität traten ab dem 20. Jahrhundert hingegen vor allem in den hochtechnisierten Industriestaaten Strömungen, deren vornehmlich weltlich orientierte Anhänger ihr Heil in den jüngsten Errungenschaften der Wissenschaft suchten. Aus der Hoffnung auf Seelenheil und Transzendenz nach dem Tod wurde die Erwartung auf die Optimierung der Evolution durch genetisches, pharmakologisches und technisches Human Enhancement im Sinne des Transhumanismus. Die Gentechnik, die Medizin und die Traumfabrik im kalifornischen Silicon Valley traten so als potenziell ‚heilsbringende‘ Institutionen in unmittelbare Konkurrenz zu den Kirchen. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch lange nicht absehbar. Doch wohin führt sie? Und ist sie – wie vor allem von Repräsentanten unterschiedlicher Glaubensrichtungen kritisiert wird – pure Blasphemie? Ist der Transhumanismus, wie Francis Fukuyama befand, „the World’s Most Dangerous Idea“?7 Oder markiert er womöglich das Ende einer langen Suche? Diesen und weiteren Fragen wird sich der Keynote-Vortrag von Prof. Dr. Peter Dabrock (Erlangen-Nürnberg), Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, widmen.

Die geplante Tagung „Von Transzendenz zum Transhumanismus – Deutungskulturen von (Un)Heilsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert“ will auf drei Ebenen heilsgeschichtliche Deutungskulturen thematisieren: Zum einen erfolgt eine Betrachtung heilsgeschichtlicher Erzählungen in politischen-zivilgesellschaftlichen und wirtschaftsmoralischen Kulturen, zum anderen in technisch-wissenschaftlichen Kulturen. Durch den Vergleich von heilsgeschichtlichen Narrativen der politisch-zivilgesellschaftlichen, wirtschaftsmoralischen wie technisch-wissenschaftlichen Ebene will die Tagung zu einer Kategorisierung heilsgeschichtlicher Erzählungen beitragen. Zur Profilierung des Vergleichs sollen Heils- und Unheilsgeschichten in religiös-weltanschaulichen Kulturen als Folie dienen. Erbeten werden daher Vorschläge für einen Vortrag für die folgenden Themenfelder:

(Un)Heilsgeschichte in politisch-zivilgesellschaftlichen und wirtschaftsmoralischen Deutungskulturen

Vielen politischen Strömungen und sozialen Bewegungen liegt ein heilsgeschichtliches Denken zu Grunde. Utopische Vorstellungen einer besseren Zukunft sowie das Versprechen einer innerweltlichen Erlösung, aber auch transzendentale Bezüge auf jenseitige Verheißungen tauchen in der politischen Ideengeschichte des 19.und 20. Jahrhunderts immer wieder auf. Säkulare Religionen, zivile Religionen, politische Religionen sowie auch Wirtschaftsutopien erzählen häufig Heilsgeschichten: So existiert etwa in der deutschen nationalreligiösen liberalen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts das Narrativ einer nationalen Heilsgeschichte. Heilsgeschichtliches Denken in der Politik verspricht oftmals zukünftiges politisches und soziales Heil für die Gemeinschaft und prägt auf diese Weise das Handeln. Politische Führer und Heilsgestalten können daher auch mit der Kategorie des säkularen Messianismus erfasst werden. Ein Gegenpol dazu stellen Gruppierungen dar, die sich hingegen von politischen Tagesfragen abwenden und, durch politische und wirtschaftliche Ideologien bestärkt, kommendes Unheil verkünden, um mit Unheils-Drohungen Anhänger an sich zu binden. Dabei werden nicht selten apokalyptische Weltuntergangsszenarien beschworen, die an bestehende Ängste der Massen anknüpfen. Mitunter treten diese Szenarien in auch scheinbar pragmatisch daherkommenden ordnungspolitischen Versionen in Erscheinung, zum Beispiel in marktgläubigen Fortschrittshoffnungen.

(Un)Heilsgeschichte in technisch-wissenschaftlichen Kulturen

Erzählungen über den technischen Fortschritt erfahren oftmals heilsgeschichtliche Überhöhungen, die vor allem von einem wissenschaftlich-technischen Fortschrittsglauben gespeist werden. Auf dieser Ebene liegt dem Heilsdenken ein naiver Glaube an die Perfektion der Maschine und die Fehleranfälligkeit des Menschen zu Grunde. Die Maschine wird als vollkommen, der Mensch als defizitär wahrgenommen. Die Optimierung der menschlichen Leistungsfähigkeit durch Technik z.B. durch Prothetik, Im- oder Transplantation, durch alltägliche technische Hilfsmittel wie dem Computer, dem Smartphone oder dem Autopiloten in Flugzeugen und neuerdings in Automobilen oder aber durch Doping oder bestimmte Ernährungsstile, wird als ein ‚heilsbringendes‘, da lebensverbesserndes oder lebensverlängerndes Ziel angesehen. Unheil im Sinne von Unfällen oder potenziell tödlich verlaufenden Erkrankungen, so die begründete Hoffnung, lässt sich auf diese Weise vermeiden. Die ständige und inzwischen absolut nötige Präsenz technischer Errungenschaften im Alltag führt jedoch auch zu der Befürchtung, die Maschine könne den Menschen in bestimmten Bereichen des Lebens letztlich gänzlich obsolet werden lassen oder – da zu komplex – zu einer unkontrollierbaren Gefahr mutieren. Für ihre Kritiker droht sich die unübertroffene Erfolgsgeschichte des technischen Fortschritts damit über kurz oder lang in ihr Gegenteil zu verkehren.

(Un)Heilsgeschichte in religiös-weltanschaulichen Kulturen

Um die zuvor genannten Deutungskulturen zu profilieren, sollen zudem religiös-weltanschauliche bzw. theologische Deutungen von Unheils- und Heilsgeschichte diskutiert werden. Vorträge in diesem Themenfeld sollen deshalb unter anderem der Frage nachgehen, ob Geschichte nach der Aufklärung weiterhin als Heilsgeschichte erzählt wird und wie stark theologische Aspekte nach wie vor verankert sind. Damit ist zudem die Frage verknüpft, ob Heilsgeschichte zwangsläufig religiös aufgeladen ist und ob sich Differenzierungen und spezifische Muster im heilsgeschichtlichen Denken identifizieren lassen. Woran orientieren sich heilsgeschichtliche Erzählungen? Auf welche Vorbilder wird rekurriert? Neben Weltreligionen wie dem Christentum, dem Judentum und dem Islam wird in diesem Themenfeld auch nach den heilsgeschichtlichen Narrationen anderer Religionsgemeinschaften, neureligiöser Bewegungen und Kulten gefragt.

Vorschläge für Vorträge im Umfang von 20 Minuten zu den genannten Themen erbitten wir mit einem Abstract (max. 500 Wörter) und einem kurzen Lebenslauf (max. eine Seite) jeweils in einer pdf-Datei bis zum 22. Mai 2018 per Mail an: Sabrina Lausen (sabrina.lausen [at] uni-paderborn.de) und Martin Dröge (martin.droege [at] uni-paderborn.de).

Die Benachrichtigung der ausgewählten Referentinnen und Referenten erfolgt bis Ende Mai 2018. Die Übernahme von Reise- und Übernachtungskosten wird angestrebt, kann jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt nicht garantiert werden. Es ist beabsichtigt, die Ergebnisse der Tagung zu publizieren.

Anmerkungen:

1 S. Stürner, Rolf: Markt und Wettbewerb über alles? Gesellschaft und Recht im Fokus neoliberaler Marktideologie, München 2007, S. 33.

2 Ebd., S. 36.

3 Ebd., S. 38.

4 S. Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Tübingen 1934.

5 S. Loy, David R.: The Religion of the Market, in: Journal of the American Academy of Religion 65,2 (1997), S. 275 – 290, hier S. 276.

6 S. Solty, Ingar: Markt-Religion. Die Genealogie neoliberaler Religiösität in den USA, in: PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 46,1 (2016), S. 35 – 56.

7 S. Fukuyama, Francis: Transhumanism: The World’s Most Dangerous Idea, in: Foreign Policy 144 (2004), S. 42 – 43.

Programm

Kontakt

Sabrina Lausen
Universität Paderborn
Fakultät für Kulturwissenschaften
Historisches Institut

Warburger Straße 100
D-33098 Paderborn