Ziel des Arbeitskreises AIM GENDER ist die fächerübergreifende gegenseitige Wahrnehmung und Kooperation von Forscherinnen und Forschern aus Geschichts-, Literatur-, Kultur- und Politikwissenschaften sowie der Soziologie, die zum Thema Männlichkeiten und deren Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart arbeiten. Vertreterinnen und Vertreter anderer Fachrichtungen sind willkommen. Informationen über den Arbeitskreis und die ersten elf Tagungen sowie die dort diskutierten Papiere stehen unter http://www.fk12.tu-dortmund.de/cms/ISO/de/Lehr-und- Forschungsbereiche/soziologie_der_geschlechterverhaeltnisse/AIM_Gender/index.html. Bei dieser Tagung soll die bisher wenig beachtete Rolle von Männern in der Care-Arbeit (z. B. Kinderbetreuung, Arbeit im Haushalt, Partnerpflege) sowie deren Auswirkungen auf geltende Konzepte von Männlichkeit diskutiert werden. Dabei soll auch die historische Entwicklung einer „männlichen Sphäre“ von Berufsarbeit und einer „weiblichen“ der Sorgearbeit rekonstruiert werden.
Noch im 18. Jh. spielten Väter eine beachtliche Rolle in der Kleinkinderziehung, der Sorgebegriff war zentral zur Charakterisierung des „Hausvaters“ und männliche Krankenpflegeorden waren bedeutsam. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird die Sorgearbeit aber der weiblichen Sphäre zugerechnet, während „Berufsarbeit“ im formellen Sektor männlich konnotiert war. Die Sorge um Partnerschaft, Kinder, Familie und Alte galt als selbstverständlich gegebene Voraussetzung für das Funktionieren der Arbeitswelt. In der gängigen Nationalökonomie war all das nicht weiter diskussionswürdig. Männliche Identität beruhte und beruht weiterhin vorrangig auf einer Berufsarbeit, bei der die unbegrenzte Verfügbarkeit des Mannes für den Arbeitgeber gesichert war. Dazu passte das Familienmodell des männlichen (Haupt-)Ernährers.
Diese gesellschaftliche und geschlechterspezifische Arbeitsteilung gerät immer mehr unter
Druck durch
- die stärkere Präsenz von Frauen, insbesondere Müttern, im (Ganztags-)Arbeitsmarkt,
- das Ende der gewohnten Vollzeit- und Lebensarbeitsverhältnisse von Männern,
- die Informalisierung und Prekarisierung der Arbeit, auch von Männern,
- die langjährige Kritik der zweiten Frauenbewegung an der ungleichen Verteilung von
Haus- und Familienarbeit,
- die Veränderung traditioneller männlicher Rollenbilder und Selbstkonzepte, erkennbar
z. B. am Wunsch von Männern, stärker Familienaufgaben wahrzunehmen.
Eine einfache Lösung – weniger Berufsarbeit, mehr Einsatz in der Familie – ist für Männer oft nicht in Sicht: Die Anforderungen in einer Arbeitswelt, die immer mehr durch Digitalisierung und internationale Konkurrenz geprägt ist, fordert Männer eher zu mehr als zu weniger Einsatz auf. Außerdem gilt Leistung im Beruf vielen Männern immer noch eher als „männliche“ Bestätigung. Sorgearbeiten im privaten Bereich gelten manchen Männern geradezu als verweiblichend. Das gilt erst recht bei der Kinderpflege oder (nasser) Hausarbeit. Schließlich richtet sich das Verhältnis zwischen den (Ehe-)Partnern auf allen Ebenen der Partnerschaft neu aus. Offensichtlich stehen bei diesen Veränderungen Fragen nach der Persistenz sowie der Transformation männlicher Selbst- und Lebenskonzepte zur Debatte. In jedem Fall aber machen die veränderten Anforderungen an Männer, sowohl dem Beruf wie auch der Familie gerecht zu werden, auch für sie die Vereinbarkeit dieser beiden Felder zu einer Herausforderung.
Hinzu kommen weitere Felder, in denen Sorgearbeit von Männern gefordert ist: Durch die gestiegene Anzahl von Scheidungen sind auch immer mehr Männer mit der tagtäglichen Versorgung der Kinder befasst – ob nun als „Alleinerziehende“ oder im Rahmen von Versorgungsmodellen, bei denen die Kinder abwechselnd im Haushalt eines der beiden Elternteile leben. Gesellschaftlich werden durch die oft teilweise berufsbedingt geringeren Möglichkeiten, Pflegeaufgaben „innerhalb der Familie“ – also traditionell zumeist durch Frauen – wahrzunehmen, neue Versorgungslücken sichtbar, in denen auch Männer gefordert sind. So ist derzeit bereits jeder Dritte, der einen Angehörigen pflegt, ein Mann.
Weitere Felder von Sorgearbeit entwickelten sich seit den 1970er Jahren. So galt der Zivildienst als Möglichkeit für junge Männer, Berufe der Sorgearbeit aus der Nähe kennenzulernen. „Männer in Kitas“ ist ein aktuelles Förderprojekt der Bundesregierung. Die Vätermonate der Elternzeit sollen Männer an familiäre Sorgeaufgaben heranführen. Derartige Angebote werden sozial unterschiedlich angenommen. Ob sich Erfahrungen in diesen Experimentierfeldern individuell und gesellschaftlich weitergehend auswirken, ist offen.
Die relative Ferne von Männern zur Sorgearbeit hatte auch Konsequenzen für sie selbst: Das Gesundheits- und Ernährungsverhalten von Männern wird als defizitär beschrieben. Das könnte damit zusammenhängen, dass derartige Sorgebereiche als eher „weiblich“ markiert gelten.
Historisch wäre genauer zu untersuchen, wie das eingangs beschriebene traditionelle Modell geschlechterspezifischer Aufgabenzuschreibung und -aufteilung – Ausgliederung der Sorgearbeit als „ausschließlich“ weibliche Domäne – entstanden ist und durchgesetzt wurde. Dazu gehörten allgemeinere Auseinandersetzungen über die gesellschaftliche Rolle von Männern und Frauen wie z. B. die Behauptung einer besseren, „natürlichen“ Eignung von Frauen für Sorgearbeiten – bis hin zu den Berufsfeldern der Kinderpflege und Grundschulerziehung. Analog wurden Männer aus einigen Berufsfeldern wie z. B. der Krankenpflege verdrängt.
Für alle hier skizzierten Frage- und Problemstellungen bilden literarische Texte und andere ästhetische Medien, auch ihre interkulturellen Perspektiven und Formen, einen reichen Fundus für genaue Analysen kulturell und historisch erzeugter Narrationen, Praktiken und Bilder von Männlichkeit. Erweitert man den Blick auf Männlichkeiten und Care in transdisziplinärer Perspektive, so erweist sich die traditionelle Konnotierung von Sorge als ‚weiblich‘ auch als verengend und einseitig. Denn sowohl in den ästhetischen Disziplinen als auch in der philosophischen und theologischen Tradition der Moderne wird Sorge oft und exklusiv mit Männlichkeitskonzepten zusammengedacht. Von daher ist es von Bedeutung, den Blick auf die Resistenz oder Wandelbarkeit des Verhältnisses von Männlichkeiten und Care/Sorge mit historischen und transdisziplinären Analysen zu schärfen.
Willkommen sind Zugänge zum Thema sowohl aus der Perspektive empirischer als auch aus dem Bereich hermeneutisch-kulturwissenschaftlicher Forschung. Vorschläge für Tagungsbeiträge aus möglichst unterschiedlichen Disziplinen sind angesichts des hohen Vernetzungspotenzials des Themas ausdrücklich erwünscht. Es können bei der Tagung sowohl Dissertations-, Habilitations- und Forschungsvorhaben als auch bereits weit fortgeschrittene oder abgeschlossene Studien vorgestellt werden.
Tagungssprache ist Deutsch. Papiere und Vorträge können aber auch in englischer Sprache vorgelegt bzw. gehalten werden.
Eine Finanzierung kann nicht übernommen werden.
Wir laden ein, Abstracts (höchstens eine Seite, max. 1800 Zeichen) für ein Papier bis zum 13. September 2018 an die E-Mail-Adresse martin.dinges@igm-bosch.de zu schicken. Das Abstract muss Name, Fachrichtung, Position und E-Mail-Adresse des oder der Vorschlagenden und einen Vortragstitel enthalten. Die Problemstellung und die benutzten Materialien sollten klar herausgearbeitet werden. Aus diesen Abstracts wird das Programm zusammengestellt. Spätestens am 25. September werden Sie informiert, ob Ihr Vorschlag für das Programm angenommen worden ist.
Die Anmeldung bei der Akademie ist nach Fertigstellung des Programms für interessierte Teilnehmende und Referierende möglich:
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Fachbereich Geschichte
Assistenz: Kerstin Hopfensitz M.A.
Im Schellenkönig 61, 70184 Stuttgart
Tel: +49 711 1640 752; Fax: +49 711 1640 852
E-Mail: geschichte@akademie-rs.de
oder online unter: https://www.akademie-rs.de
Die Einladenden
Prof. Dr. Martin Dinges (Historiker) Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch
Stiftung, Stuttgart
Dr. Petra Steymans-Kurz, Fachbereich Geschichte der Akademie der Diözese Rottenburg-
Stuttgart
Prof. Dr. Diana Lengersdorf (Soziologin) Universität Bielefeld
Prof. Dr. Toni Tholen (Literaturwissenschaftler) Universität Hildesheim
Rückfragen zum Programm bitte an martin.dinges@igm-bosch.de.
Tagungskosten:
- inkl. Verpflegung und Übernachtung im EZ 130,00 €
- inkl. Verpflegung und Übernachtung im DZ 118,00 €
- ohne Übernachtung und Frühstück 60,00 €
Ermäßigt
- inkl. Verpflegung und Übernachtung im DZ 60,00 €
- ohne Übernachtung und Frühstück 12,00 €
Eine Ermäßigung erhalten Schüler, Studierende (auch Promotionsstudierende) und Erwerbslose.
Deadlines
13. September 2018: Einreichen der Abstracts an martin.dinges@igm-bosch.de
25. September (spätestens): Mitteilung über Annahme oder Ablehnung des Vorschlages