Gewalt gehört zu den wichtigsten Themen der Geschichtswissenschaft. Sie lässt sich in allen Epochen finden, bildet häufig einen wichtigen Motor historischer Entwicklungen und motiviert zum Zweck des Erinnerns und Gedenkens vielfach die Auseinandersetzung mit vergangenen Ereignissen. Gleichwohl ist Gewalt keine Konstante im historischen Wandel: Allein im 20. Jahrhundert änderten sich die Vorstellungen davon, was Gewalt sei und welche Phänomene ihr zugerechnet werden können, immer wieder grundlegend. Dabei waren es ganz unterschiedliche Prozesse, die diese Verschiebung vorantrieben: Die Veränderungen der Medienlandschaft und die sich mir ihr wandelnden Formen der Gewaltdarstellung, neue wissenschaftliche Konzepte zur Wirkung von Gewalt auf den menschlichen Körper und die menschliche Seele, juristische Innovationen im Umgang mit Gewalttätern und ihren Opfern, sich wandelnde Sexualitätsvorstellungen und Erziehungsformen, politische Bewegungen zum Schutz vor Gewalt und der Entschädigung ihrer Opfer. Insgesamt haben diese Entwicklungen zu einer deutlichen Ausweitung des Gewaltbegriffs geführt: Anders als noch vor einigen Jahrzehnten umfasst er inzwischen nicht mehr nur physische, sondern auch psychische Verletzungen. Unterschiedliche Formen der körperlichen Zurichtungen werden heute ebenso als Gewalt bezeichnet, wie diskriminierende Strukturen oder bestimmte sprachliche Äußerungen. Gleichwohl besitzt die Wahrnehmung von Gewalt noch immer ihre Blindstellen, wird manche Gewaltsamkeit weitgehend ausgeblendet, während andere im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.
Wie soll die Geschichtswissenschaft mit der Einsicht umgehen, dass das Konzept der Gewalt selbst eine Geschichte hat? Ist dies eine Chance, weil sich damit in der Vergangenheit auch dort nach Gewalt und ihren Folgen fragen lässt, wo Zeitgenossen solche nicht sahen? Oder lässt sich eine historische Perspektive auf Gewalt erst dann entwickeln, wenn die Geschichte ihrer Wahrnehmung rekonstruiert und bei der Untersuchung konkreter
Gewaltphänomene deren zeitgenössische Wahrnehmung in Rechnung gestellt wird? Was also verstehen Historikerinnen und Historiker als Gewalt? Mit welchen methodischen Herausforderungen sind sie bei der Untersuchung von Gewalt konfrontiert? Worin besteht das spezifische Profil einer historischen Gewaltforschung und was könnte ihr Beitrag zum Verständnis gegenwärtiger Gewaltprozesse sein?
Der Workshop diskutiert die spezifischen Herausforderungen einer konsequenten historischen Perspektive auf Gewalt und der Historisierung von Konzepten des Verletzens und Leidens in der Geschichte des langen 20. Jahrhunderts. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind herzlich willkommen. Bitte melden Sie sich mit einer kurzen Angabe zu Ihren Forschungsschwerpunkten und Ihrem Interesse an dem Workshopthema bis zum 15. September 2018 bei Silvia Rodríguez Castellano (s.rodriguez@fsw.uzh.ch) an. Reisekosten - insbesondere von DoktorandInnen - können bezuschusst werden.