Die Doktorand/innenschule erarbeitet und diskutiert interdisziplinäre und transepochale Perspektiven auf die Ausformung, Entwicklung und Konsequenzen der Geschlechterverhältnisse in den Arbeits-, Bildungs- und Normierungsprozessen von Haushalten von der Antike bis in die Gegenwart.
In den gegenwärtigen politischen Debatten um Kinderbetreuung, gender pay gap, Altersarmut (gerade bei Frauen) und die Finanzierung von Renten- und Pflegeversicherung stehen immer wieder Geschlechterverhältnisse und die geschlechtsbezogene Aufteilung von Aufgaben wie Erträgen in Haushalten mit ihren Konsequenzen im Fokus. In ihnen schwingt immer auch die Auseinandersetzung um das „traditionelle“ Modell einer bis zum Tode bestehenden kernfamilialen Lebensgemeinschaft auf der Basis von Ehe, in der Erwerbs-, Haus und Erziehungsarbeit wie auch Ehrenamt und Freizeitgestaltung vielfach geschlechtsbezogen verteilt sind. Dass diese „traditionelle“ Form des Haushaltens selbst Ergebnis vielfältiger historischer Prozesse und Veränderungen ist, wird dabei meist ausgeblendet. Dabei eröffnet gerade der tiefere historische Blick den Blick auf die Gestaltbarkeit und Veränderbarkeit in der institutionellen wie mikrosozialen Organisation und Gestaltung von Haushalt und Familie.
Während der drei Tage setzen sich Doktorand/innen und erfahrene Fachvertreter/innen mit den Methoden, Diskussionen und Ergebnissen aktueller geschichtswissenschaftlicher Forschungsfelder und der Ökonomie, Soziologie, Politologie und Rechtswissenschaften auseinander; so werden neue Fragen und Perspektiven für die jeweiligen Disziplinen, aber auch für interdisziplinäre Projekte eröffnet und Problemstellungen geschärft.
Die Veranstalterinnen gehen davon aus, dass Haushalte in allen Epochen und Kulturen eine Versicherungsgemeinschaft darstellen, in der das Risiko der individuellen Daseinsvorsorge verteilt und minimiert werden kann und die Vorteile bringt, die nur durch gemeinsames Wirtschaften zu erreichen sind. Gleichzeitig liefern Haushalte als Orte der Produktion und des Konsums maßgebliche Stabilisierungs- und Ordnungsleistungen für die Gesellschaft und unterliegen daher verschiedenen Normierungen.
Die Doktorand/innenschule befasst sich – auch in Vorbereitung der unmittelbar anschließenden Tagung „Ökonomien des Haushaltens“ vom 26.-28.09.2019 – mit drei Aspekten des Haushaltens:
1. Arbeitsprozesse:
Im Kontext von Haushalten werden verschiedene Formen von Arbeit geleistet, die geschlechterbezogen verteilt sein können: Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Erziehungsarbeit, Pflegearbeit. In verschiedenen Epochen und Kulturen ist die Erwirtschaftung der notwendigen Ressourcen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts in unterschiedlichen Anteilen durch Selbstversorgung und Einbindung in Märkte bestimmt. Der damit verbundene unterschiedliche Bedarf an interner Organisation und Vertretung nach Außen hat Einfluss auf die Rollen der Haushaltsmitglieder, ihre soziale und ökonomische Positionierung innerhalb des Haushaltsgefüges – häufig differenziert nach Geschlechtern.
2. Bildungsprozesse:
Haushalte haben eine zentrale Funktion in der Primärsozialisation ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder, die in diesen Haushalten aufwachsen. Aber auch die Vermittlung von allgemeinen und berufsbezogenen Fertigkeiten und Fähigkeiten sind elementar mit Haushalten verknüpft: sei es die Bereitstellung von Lerninhalten für Frauen und Männer, wenn nicht allen Mitgliedern der Zugang zu formalen Bildungsinstitutionen möglich ist; sei es in Form von formalen Ausbildungskontexten im Rahmen von Handwerkstätten oder Gesindedienst; sei es durch eine Festlegung von Chancen zum sozialen Aufstieg. Dies gilt in historischer Perspektive ebenso wie in der aktuellen Situation, wie etwa die Debatte um Bildungschancen in Abhängigkeit von der Bildungsnähe oder -ferne der Haushalte zeigt.
3. Normierungsprozesse:
Die Zugehörigkeit zu einem Haushalt bedeutet Teilhabe an dessen Sicherungs-leistungen. Die gemeinschaftliche Organisation erfordert Regeln über die Verteilung der notwendigen Arbeit sowie Zugang zu, Verfügbarkeit von und Anspruch auf materielle und immaterielle Ressourcen. Diese sind eingebunden in übergeordnete gesellschaftliche Normierungsprozesse und korrespondieren mit einer Vielzahl impliziter und expliziter Normen. Ehe-, Ehegüter- und Erbrecht regulieren den Besitztransfer auf horizontaler Ebene zwischen Familien(verbänden) bei Heirat bzw. im generationellen Übergang. Obrigkeitliche/staatliche Normierungsprozesse zielen darauf, aufgrund der elementaren Bedeutung von funktionalen Haushalten für eine stabile Gesellschaft Dysfunktionalität zu verhindern und ein – im Sinne des Staates – optimales Funktionieren sicherzustellen. Gegenwärtig lässt sich hier ein Spannungs-verhältnis zwischen durch Ehe formalisierten Haushalten und nichtformalisierten Lebensgemeinschaften erkennen, etwa wenn es um Fragen des Adoptionsrechts oder um Organisation und Finanzierung von Pflegeleistungen geht.
Leitfragen der Tagung werden sein, wie sich das Verhältnis der Geschlechter in der sozialen Praxis und in normierenden Zuschreibungsprozessen in den verschiedenen Epochen darstellten, wie sie sich verändern und welchen Einfluss die sich verändernden sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kontexte besitzen.
Um einen intensiven interdisziplinären Austausch zu ermöglichen, sind drei größere Arbeitseinheiten geplant: durch eine erfahrene, interdisziplinär zusammengesetzte Expertengruppe angeleitete Textlektüren, Posterpräsentationen der jeweiligen Promotionsprojekte der Teilnehmer/innen und das gemeinsame Erarbeiten interdisziplinärer Lösungsansätze für Forschungsfragen. Eingeladen sind theoretische, empirische und experimentelle Einreichungen aus den Geschichts-, Wirtschafts , Sozial-, Politik- und Rechts-wissenschaften.
Für die Doktorand/innenschule bitten wir um Kurzdarstellungen des eigenen Promotionsprojekts von höchstens 500 Worten sowie ein kurzes Schreiben zu Eignung und Erwartungshaltung an die Veranstaltung. Im Falle der Teilnahme wäre dann zwei Wochen vor Veranstaltungsbeginn eine Posterpräsentation des eigenen Projekts einzureichen, Details folgen.
Frist zur Einreichung: 31. März 2019 an ng1@uni-marburg.de