Ein Vierteljahrhundert nach Christopher Brownings „Ordinary Men“ – Perspektiven der neuen Polizei-Täterforschung und der Holocaust-Vermittlung

Ein Vierteljahrhundert nach Christopher Brownings „Ordinary Men“ – Perspektiven der neuen Polizei-Täterforschung und der Holocaust-Vermittlung

Veranstalter
Geschichtsort Villa ten Hompel; Bundeszentrale für politische Bildung; Landeszentrale für politische Bildung NRW
Veranstaltungsort
Geschichtsort Villa ten Hompel, Rathaus der Stadt Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2019 - 31.10.2019
Deadline
01.07.2019
Von
Römer, Peter

(Holocaust-)-Geschichte im Gespräch: Diversifizierende Täterforschung, didaktische Vermittlungsstrategien und ethische Konsequenzen heute

Vor einem Vierteljahrhundert erschien Christoper R. Brownings wegweisendes Buch „Ordinary Men“ („Ganz normale Männer“) zum Reserve-Polizeibataillon 101, das in Deutschland auch weit über die Wissenschaft hinaus große Aufmerksamkeit erfuhr. Eine Gruppe von Männern rückte schlaglichtartig in den Fokus der Holocaustforschung und Öffentlichkeit: die uniformierte Polizei. Aus „normalen“ Männern wurden nun „Mörder in grüner Uniform“, aus „Freunden und Helfern“ „Henker“ und das „Fußvolk der Endlösung“. Mit Daniel Goldhagens 1996 erschienenem Buch „Hitler´s Willing Executioners“ - („Hitlers willige Vollstrecker“) wurde die Frage, in welchem Ausmaß und vor allem aus welchen rassistisch-ideologischen, aber auch und situativen und organisationssoziologischen Motiven heraus die Polizei zu einer Schlüsselorganisation in der Umsetzung des Holocaust wurde, weltweit virulent.
Nicht nur in Deutschland brachten in der Folge Publikationen, Museumsgründungen und Ausstellungen die neue, sich diversifizierende Täterforschung voran, sie hat sich zu einer eigenen internationalen Wissenschaftsdisziplin entwickelt. Der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster, gegründet 1999, war 2001 die erste Gedenkstätte, die sich in ihrer Dauerausstellung mit der Ordnungspolizei als verbrecherischer Organisation befasste und parallel zu intensiver Forschung auch die Vermittlung für verschiendene Besuchergruppen didaktisch weiterentwickelte. Es folgten zahlreiche regionale Projekte bis hin zur zentralen Ausstellung „Ordnung und Vernichtung“ im Deutschen Historischen Museum Berlin im Jahr 2011. Die zuvor gängige Fokussierung auf eine Verfolgtenperspektive in Forschung und Gedenkstätten wurde so um eine intensive Beschäftigung mit Tätern in der Polizei sowie im Machtbereich der Konzentrations- und Vernichtungslager erweitert; und dies nicht nur in Deutschland, sondern auch in polnischen, amerikanischen und israelischen Holocaustgedenkstätten.
Die sich diversifizierende Täterforschung rund um den Himmlerschen Machtapparat von Polizei und SS-Verbänden kreist um einen diskursorientierten Forschungs- und Vermittlungsimpuls, der der Kernfrage Brownings nachgeht: Wie konnten aus diesen ganz normalen Männern und Polizisten Massenmörder werden, und wie arbeitsteilig reichte demnach der Holocaust bis in die Mitte der Gesellschaft hinein?
Eine zweite Dimension, dieser Browningschen Kernfrage schlägt die Brücke von der Geschichte in die Gegenwart. Wenn wir davon ausgehen, dass das (ausschließlich männliche) Personal der „normalen“ uniformierten Polizei en gros ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft war, dann sind die Gründe auf dem Weg hin zum Massenmörder zwar in ihrer Zeit determiniert, aber trotzdem stellt sich implizit die grundlegende Frage: Wie (ver)führbar sind Mehrheitsgesellschaften heute? Jenseits platter Analogien zur Gegenwart und der Möglichkeit, heute ganze Berufsgruppen zu Massenmördern zu machen soll es – nicht zuletzt angesichts des global grassierenden Rechtspopulismus – um die Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen, von stereotypen Sichtweisen und darauf aufbauenden Handlungen in Bezug auf gesellschaftliche Minderheiten und Andersdenkende gehen.
Die internationale Konferenz anlässlich 25 Jahren „Ordinary Men“ und 20 Jahren Geschichtsorts Villa ten Hompel will nicht nur eine Zwischenbilanz ziehen, sondern auch Perspektiven der künftigen Forschungs- wie Vermittlungsstrategien ausloten und entwickeln. In einem integrierenden Ansatz wollen wir vor dem Hintergrund von Brownings Werk aktuelle Interpretationen der Holocaust-Historiographie und der Täterforschung diskutieren, über innovative methodische Ansätze und Quellenzugänge nachdenken und die Frage der Relevanz pädagogischer Vermittlungskonzepte im Sinne einer menschenrechtsbasierten „Holocaust- Education“ für das 21. Jahrhundert aufwerfen.
Im Rahmen der Konferenz wird mit einer öffentlichen Festveranstaltung im Historischen Rathausfestsaal Christopher R. Brownings Wissenschaftsleistung geehrt und sein 75. Geburtstag gefeiert werden, er selbst wird eine Bestandsaufnahme „nach einem Vierteljahrhundert“ vornehmen.
Die internationale Konferenz ist fachlich interdisziplinär ausrichtet mit geschichts- und kultur-wissenschaftlichen sowie geschichtsdidaktischen Ansätzen. Sie soll Protagonisten in Forschung und Vermittlung und ein interessiertes Publikum aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und auch Polizei zusammenführen, um über Bilanz und Perspektiven der Täterforschung sowie ethischen Konsequenzen für die Gegenwart ins Gespräch zu kommen.
Tagungssprachen sind deutsch und englisch. Eine Simultanübersetzung findet statt.

Tagungsanmeldung ab 24.6. an anmeldung@facingpoliceandholocaust.org

Programm

Di., 29.10.19 (Villa ten Hompel)

10-12 Uhr: Ankunft und Einsichten in die Dauerausstellung „Geschichte-Gewalt-Gewissen“ der Villa ten Hompel

12.00 – 13.30 Uhr: Auftakt
- Begrüßung durch die Veranstalter:
- Forschen und Lernen über ordinary policemen, ordinary Germans und die Opfer des NS-Vernichtungskriegs am historischen Ort VtH (Thomas Köhler, Münster)
- Warum und wofür sollten wir etwas über den Holocaust und die Täter lernen? (Thomas Krüger, Bonn)
- Demokratie leben als Herausforderung für das 21. Jahrhundert (Maria Springenberg-Eich, Düsseldorf)

- Impulsvortrag: Bureaucratic “Gehorsamkeit”, Peer Pressure, Bottom-up Iinitiatives: Ordinary People and the Successful Implementation of anti-Jewish Policies (Dan Michman, Jerusalem)

- Bis 14 Uhr: Kaffee + Snacks

14 - 16.30 Uhr: Panel 1: Sichtweisen auf Täter und Opfer im NS-Vernichtungskrieg
Chair: Alfons Kenkmann (Münster / Leipzig)

- „Täter“ in der Wahrnehmung von Forschung und Gesellschaft nach dem Holocaust (Dieter Pohl, Klagenfurt)
- „Opfer“ – zur Geschichte einer suspekten Figur im 20. Jahrhundert (Svenja Goltermann, Zürich)
- Holocaust konsumieren: Die „Bystander“ als leise Medienhelden (Wulf Kansteiner, Aarhus)

17-19.30 Uhr: Panel 2: Polizei und Täterschaft in europäischer Perspektive
Chair: Patrick Wagner (Halle-Wittenberg)

- A European Geography of (Sexual) Violence? Alcohol, Police-Masculinity, Mass Murder (Edward B. Westermann, San Antonio)
- Die deutsche Polizei und der polnische Widerstand im Generalgouvernement: Ghettos, Deportationen, Aktion Rheinhardt (Włodzimierz Borodziej, Warschau)
- „"Massenmord und Meuterei“": Polizeibataillone und ihre europäischen Helfer im Osteinsatz (Stefan Klemp, Dortmund/Münster)

- Abends: Get-together und Buffet in der Villa ten Hompel
Mi., 30.10.19 (Historisches Rathaus am Prinzipalmarkt: Rüstkammer u. Festsaal)

10-10.45 Uhr: Empfang durch Münsters Oberbürgermeister und Präsident des Deutschen Städtetags Markus Lewe im Friedenssaal des Historischen Rathauses
- 10.45 - 11 Uhr: Kaffee

11 – 13.30 Uhr Panel 3: Graubereiche der (Mit-)Täterschaft
Chair: Martin Cüppers (Ludwigsburg/Stuttgart)
- Der „jüdische Ordnungsdienst“ in den Ghettos Litzmannstadt, Warschau und Wilna (Svenja Bethke, Leicester)
- Die niederländische Polizei unter deutscher Besatzung zwischen Resistenz und Kollaboration (Guus Meershoek, Twente)
- Die Gestapo in Spanien: Kollaboration der deutschen Polizei mit Franco´s Regime und die Verfolgung von Juden (Patrick Bernhard, Oslo)

15 – 17.30 Uhr Panel 4: Spurensuche: Multiperspektivische Quellenzugänge

Chair: Mechthild Black-Veldtrup (Münster)

- „Aktion 1005” – Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942-45. „Fateful months“, „ganz normale Männer“ und das „Verschwinden“ der Massengräber in Serbien (Andrej Angrick, Hamburg)
- Gender and Perpetrator Testimonies (Wendy Lower, Washington D.C.)
- Den letzten Tätern auf der Spur. Annäherungen und Erfahrungen aus der Perspektive des Kriminal-Ermittlers und Staatsanwalts (Stefan Willms (Düsseldorf) und Andreas Brendel, Dortmund)

17.30-18.30: Fingerfood

19 Uhr: Christopher Browning zum 75. Geburtstag (im Historischen Rathausfestsaal)
- Grußwort: Stadträtin Cornelia Wilkens (Münster)
- Grußwort: Staatssekretär Klaus Kaiser (Düsseldorf)
- Laudatio auf Christopher R. Browning: Norbert Frei (Jena)
- Christopher Browning (Chapel Hill): A Generation after Ordinary men: Probing Perpetration and Holocaust in the 21st Century

- Musik: Chor des Gymnasiums Paulinum Münster mit Liedern von Verfolgten des Nationalsozialismus
Abends: Ausklang in der Altstadt in Eigenregie (z.B. Ratskeller)
Do., 31.10.19 (Rüstkammer Rathaus)

09 - 11.30 Uhr: Panel 5: Holocaust Education und Menschenrechte

Chair: Mirjam Zadoff (München)

- The Universalization of the Holocaust as a Moral Standard? (Thomas Pegelow Kaplan, Chapel Hill)
- Aushängeschild oder Auslaufmodell? Auseinandersetzung mit polizeilicher Täterschaft im Nationalsozialismus in Gedenkstätten und der Polizeibildung in Deutschland heute (Peter Römer, Münster)
- The next Chapter: Family Members of Holocaust Survivors to Speak about Their Family’s History (Alexis Herr, San Francisco)
- Righteous among the Nations with Police Background (Joel Zisenwine, Jerusalem)

- 11.30 - 12 Uhr: Kaffee

12 – 13.30 Uhr: Round Table Diskussion: Diversifizierende Täterforschung, didaktische Vermittlungsstrategien und ethische Konsequenzen heute
Chair: Sabine Mecking (Marburg)
- Christopher Browning (Chapel Hill)
- Yariv Lapid (Washington D.C.)
- Christoph Spieker (Münster)
- Sybille Steinbacher (Frankfurt a.M.)
- Dervis Hizarci (Berlin)
- Elke Gryglewski (Berlin)

Kontakt


http://www.facingpoliceandholocaust.org
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