Fährten. Mensch-Tier-Verhältnisse in Reflexionen des Exils

Fährten. Mensch-Tier-Verhältnisse in Reflexionen des Exils

Veranstalter
Gesellschaft für Exilforschung e.V. 2020; Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien; Gesellschaft der Freunde der Österreichischen Exilbibliothek
Veranstaltungsort
Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
22.10.2020 - 24.10.2020
Deadline
15.12.2019
Von
Veronika Zwerger, Österreichische Exilbibliothek / Austrian Archive for Exile Studies, Literaturhaus Wien

Seit einigen Jahren befragen interdisziplinäre Studien das überlieferte dichotome Mensch-Tier-Verhältnis. Dabei wird zum Beispiel versucht, durch eine sogenannte Anthrozoologie die Lehre vom Menschen und die der Tiere aus dem bekannten Dualismus zu lösen und in einem relationalen Modell neu zu denken. Wichtige Anregungen kommen aus der Richtung der Human-Animal-Studies, etwa dem an der Universität Kassel angesiedelten Schwerpunkt „Tier-Mensch-Gesellschaft“ oder dem an der Goethe-Universität Frankfurt situierten Netzwerk der Cultural and Literary Animal Studies. All diese Forschungsschwerpunkte versuchen unterschiedliche Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses in Gesellschaft und Kulturgeschichte interdisziplinär produktiv zu machen.

Die Fragestellungen und Ergebnisse dieser aktuellen Debatten könnte und sollte die Exilforschung aufnehmen. Auch die Geschichte von ExilantInnen steht konkret oder metaphorisch in Verbindung mit „dem Tier“ bzw. den Tieren und macht sich auf vielen Ebenen der Lebenswirklichkeit oder der künstlerischen Verarbeitung der Exilsituation bemerkbar.

Diese Einschätzung wird nicht nur durch die Menge der unterschiedlichen historischen, künstlerischen und autobiografischen Quellen gestützt, sondern auch durch die Bedeutung, die die Dokumente der Thematik vielfach beimessen. Die Perspektive auf das Verhältnis von Vertriebenen bzw. Flüchtenden und realen / imaginären Tieren unter dem Vorzeichen des Exils hat eine existentielle, psychologische und ethische, eine politische, rechtliche, sozial- und mentalitätsgeschichtliche, eine ideologiekritische, kulturelle und künstlerisch-ästhetische Relevanz.

Die folgenden exemplarischen Themen machen deutlich, dass die Betrachtung des Mensch-Tier-Verhältnisses zentrale und tradierte Fragestellungen der Exilforschung schärfen bzw. ihnen eine neue Stoßrichtung geben kann: Zu recherchieren wären etwa ethische und juristische Aspekte des Gewaltverhältnisses Mensch-Tier im Kontext von Nationalsozialismus und Exil; zu fragen wäre nach der Geschichtsmächtigkeit des Mensch-Tier-Verhältnisses in der Lebenswirklichkeit des Exils; zu diskutieren wäre, ob und in welcher Weise in diesem Zusammenhang von Tieren als „Akteuren“ gesprochen werden kann; aus psychologischer und philosophischer Perspektive wäre zu erörtern, ob und inwiefern „das Tier“ in exilspezifischen Identitätskonstruktionen (noch) als „das Andere“ konzeptualisiert wird. Nicht zuletzt liegt es nahe, nach der ikonografisch überlieferten Praxis der Mensch-Tier-Gestaltung in Literatur und Kunst des Exils zu fragen.

Das Spektrum der Themen, die das Mensch-Tier-Verhältnis und die Rolle „des Tieres“ bzw. der Tiere im Exilzusammenhang beleuchten, soll möglichst viele Facetten umfassen und dabei klassische Fragestellungen der Exilforschung mitdenken, darunter z. B. Ausgrenzung, Enteignung, Fluchtbedingungen, Widerstand, Existenzgrundlagen und Assimilation. Der folgende Hinweis auf mögliche Themenfelder ist keineswegs vollständig, sondern versteht sich als Anregung:

Ausprägung des Mensch-Tier-Verhältnisses in der nationalsozialistischen Propaganda; Entmenschlichung, Entwürdigung als Legitimation der Vernichtung; metonymische Verschiebungen, z. B. Juden als „Volksschädlinge“

Legistik und Praxis der Tierhaltung in jüdischen Haushalten nach 1933 und unter Bedingungen der Emigration; z. B. juristische Diskriminierung, „Arisierung“ und Restitution von Tieren; Entzug domestizierter Tiere als Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz und als Instrument der Exklusion

Bioethische Konzepte und ihre Umsetzung in Debatten und der Praxis des Exils, z. B. Tierschutz, Ökologie, Vegetarismus

Flucht und Migration: Tiere als reale Gefährten der Flucht, als Akteure der Migration: Fluchtbegleiter, Flüchtlinge, Flucht- und Überlebenshilfe; Wirkungs- bzw. Geschichtsmächtigkeit von Tieren, z. B. Überleben jüdischer Verfolgter im Zoo von Amsterdam

Mensch-Tier-Grenzen in der (Selbst-)Reflexion Exilierter; Infragestellung und Auflösung der Grenze; Depotenzierung des Menschlichen; die Funktion des Tier-Konstrukts für politische und philosophische Konzeptionen von Humanismus, Menschenrechten etc.

Lebenswelt des Exils 1: Tiere und ihre Haltung als Existenzgrundlage im Exil; Berufe und Berufsfelder, z. B. Biologie, Zoologie, Landwirtschaft, Veterinärmedizin, Tierzucht und Tierhandel, Zirkus

Lebenswelt des Exils 2: Wahrnehmung des Fluchtlandes über dessen Tierwelt, z. B. Tiere als ‚trigger’ der Erinnerung an die Heimat

Lebenswelt des Exils 3: Tiere als imaginäre Gefährten: Chiffren der Identitätsverhandlungen in autobiografischen Reflexionen, Spiegelungen, Tier- als Menschenbild; Exilexistenz und Tiermetaphorik, z. B. „Bernhardiner-Syndrom“, Bild von Europa als Schlachthof, als Zoo

Ästhetische und mediale Repräsentationen 1: historische Tiersymbolik; Adaptionen heraldischer, emblematischer, ikonografischer Tier-Gestalten im Kontext von Exil und Widerstand, z. B. Logo des Exilkabaretts „Arche“

Ästhetische und mediale Repräsentationen 2: Topoi von Flucht und Rettung und ihre Adaption im Kontext des Exils, Erzähltypus „Tiere auf Wanderschaft“; Fabeln, Märchen, biblische und antike Motive (Arche Noah, Diana)

Ästhetische und mediale Repräsentationen 3: Tiere in der Literatur und den Künsten des Exils 1933–1945 und des Nachexils, ihre Darstellung bzw. ihre Funktion in Musik, (Animations-)Filmen, Cartoons, Fotografien, Kleinkunst, Satire; Tiere als poetologische Reflexionsfiguren; Tiere als imaginierte Gefährten, „Kameraden“, z. B. tierische Helden im Kinder- und Jugendbuch des Exils, wie Judith Kerrs „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“

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Willkommen sind Beiträge aus allen Disziplinen. Die Abstracts für Beiträge von ca. 30 Minuten (max. 1.000 Zeichen + Kurzbiografie) bitten wir bis 15. Dezember 2019 einzusenden an:

Veronika Zwerger
Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien
Seidengasse 13, 1070 Wien
Mail: exilbibliothek@literaturhaus.at

Wir sind bemüht, Kosten für Fahrt und Unterkunft zu übernehmen, bitten aber um Eigeninitiative bei der Finanzierung Ihrer Teilnahme.
Im Kontext der Jahrestagung findet wieder ein Workshop für Dissertanten und Dissertantinnen statt, der eigens ausgeschrieben wird.

Programm

Kontakt

MMag. Veronika Zwerger

Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien
Seidengasse 13, 1070 Wien, Österreich

exilbibliothek@literaturhaus.at

http://www.literaturhaus.at/index.php?id=6539