Wie weiter? Jüdische Migrationserfahrungen nach 1945

Wie weiter? Jüdische Migrationserfahrungen nach 1945

Veranstalter
Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ)
Veranstaltungsort
Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2019 - 30.01.2020
Website
Von
Miriam Rürup, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien

Jüdische Migrationen gewinnen in der deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte zunehmend an Bedeutung. Richtete sich der Blick nach den Ereignissen des Zwanzigsten Jahrhunderts zuerst einmal auf Vertreibung, Flucht und Exil, so finden sich bis in die Gegenwart auch jüdische Wanderungsbewegungen, die von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft geprägt und beispielsweise durch besondere wirtschaftliche Rahmenbedingungen bestimmt waren. Die verschiedenen Beweggründe für eine Migration sowie das Aufeinandertreffen divergierender jüdischer Herkünfte und Narrative haben Eingang in das hiesige jüdische Leben nach 1945 bis heute gefunden und kennzeichnen mitunter auch die kontrovers geführten Debatten um das Selbstverständnis einer jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.
Die Vortragsreihe nimmt diese Beobachtungen zum Anlass, um an fünf Abenden auf der Grundlage neuer Forschungen exemplarisch jüdische Migrationen und deren Folgewirkungen im lokalen Raum vorzustellen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Disziplinen fragen nach den jeweiligen Formen der Wanderungen sowie den Motiven und Handlungsspielräumen der migrierenden Jüdinnen und Juden und danach, in welcher Weise diese vielfältigen Erfahrungsgeschichten jüdisches Leben in Deutschland von den Nachkriegsjahren bis in die Gegenwart prägen.

Programm

12. November 2019, 18:30 Uhr
Dr. Karen Körber, Hamburg
Persische Juden in Hamburg: Handelsmigration im deutschen Wirtschaftswunder.

Wenige Jahre nach dem Holocaust und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wanderten Juden aus Iran nach Deutschland ein. Ihr Ziel war der Hamburger Freihafen, der seit den 1950er Jahren zum internationalen Umschlagplatz für Teppiche aus Iran und den umgebenden Nachbarstaaten wurde. In der Folge wuchs auch die persisch-jüdische Gemeinschaft in der Hansestadt auf über 300 Personen an, die den Wiederaufbau des sozialen wie religiösen jüdischen Lebens bis in die 1990er Jahre entscheidend prägten, um dann erneut zu emigrieren, dieses Mal in die USA und nach Israel. Der Vortrag widmet sich dieser besonderen Handels- und Familienmigration von Jüdinnen und Juden, die aufgrund ihrer Herkunft aus Iran vom Holocaust nicht betroffen waren und erst nach ihrer Ankunft in Deutschland der jüngsten Geschichte der europäischen Juden gewahr wurden.

Dr. Karen Körber ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören modernes Judentum, Migrations- und Diasporaforschung, religiöser Wandel und religiöse Pluralisierung, Erinnerungskulturen und Zugehörigkeitskonstruktionen in der Einwanderungsgesellschaft.

26. November 2019, 18:30 Uhr
Dr. Markus Nesselrodt, Frankfurt/Oder
Jüdische Migrationswege zwischen Polen, der Sowjetunion und Deutschland (1939-1948)

Die Mehrheit der polnisch-jüdischen Überlebenden verbrachte die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht unter deutscher Besatzung, sondern in den unbesetzten Territorien der Sowjetunion. Viele waren vor den vorrückenden Deutschen in Richtung Osten geflohen, andere wurden gegen ihren Willen als sogenannte feindliche Elemente durch die sowjetische Geheimpolizei aus dem eroberten Polen in das Landesinnere Russlands deportiert. Nach dem Krieg kehrten die meisten von ihnen zurück nach Polen, von wo aus sie sich weiter auf den Weg nach Palästina oder Nordamerika machten. Dieser tausende von Kilometern lange Migrationspfad führte sie für einige Zeit ausgerechnet in die Lager für Displaced Persons im besetzten Deutschland. Der Vortrag möchte anhand biografischer Beispiele die Geschichte dieser Überlebenden erzählen.

Dr. Markus Nesselrodt ist Osteuropahistoriker an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seine 2019 erschienene Dissertation unter dem Titel „Dem Holocaust entkommen: Polnische Juden in der Sowjetunion, 1939–1946“ wurde mit dem österreichischen Irma-Rosenberg-Förderpreis und einem Preis des Botschafters der Republik Polen in der Bundesrepublik Deutschland für herausragende Dissertationen ausgezeichnet.

07. Januar 2020, 18:30 Uhr
Dr. Tobias Freimüller, Frankfurt am Main
Fremdheitserfahrungen im Nachkriegsdeutschland. Jüdisches Leben in Frankfurt am Main.

Frankfurt am Main galt nach 1945 Vielen als „jüdischste Stadt“ der Bundesrepublik. Im Umfeld des Hauptstützpunktes der amerikanischen Besatzungsmacht entstand ein dichtes Netz jüdischer Organisationen und eine der größten jüdischen Gemeinden Westdeutschlands.
Mit der Kontroverse um Rainer Werner Fassbinders Theaterstück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ und dem „Börneplatzkonflikt“ war Frankfurt aber auch Schauplatz von Auseinandersetzungen, die die wechselseitigen Fremdheitserfahrungen von Juden und Nichtjuden im Nachkriegsdeutschland sichtbar machten. Der Vortrag macht den Versuch, diese besondere lokale jüdische Geschichte von ihren Anfängen bis 1990 nachzuzeichnen.

Dr. Tobias Freimüller ist Historiker und stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts. Im Frühjahr 2020 erscheint im Wallstein-Verlag seine Studie „Frankfurt und die Juden, 1945-1990“.

14. Januar 2020, 18:30 Uhr
PD Dr. Katrin Steffen, Lüneburg
Ausreisen, zurückkehren, bleiben? Jüdische Migrationswege nach Polen und aus Polen, 1944-1968

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Hunderttausende polnische Jüdinnen und Juden, die vor allem in der Sowjetunion überlebt hatten, nach Polen zurück. Der polnische Staat lenkte sie vor allem in die Gebiete, die die deutsche Bevölkerung im Zuge der Westverschiebung Polens hatte verlassen müssen: Niederschlesien und Hinterpommern. In einigen Ortschaften entstanden so Zentren jüdischer Ansiedlung mit religiösem und sozialem Leben. Angesichts des Antisemitismus in Polen, der in innerparteilichen Auseinandersetzungen immer wieder aktiviert wurde und den große Teile der Gesellschaft sanktionierten, emigrierte bis 1968 wiederum die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung aus Polen bzw. wurde vertrieben. Der Vortrag zeichnet diese Migrationswege und ihre politischen Rahmenbedingungen nach und fragt nach den jeweiligen Motivationen der jüdischen Überlebenden, in Polen zu bleiben oder es zu verlassen.

PD Dr. Katrin Steffen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nordost-Institut Lüneburg an der Universität Hamburg. Zur ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Geschichte der Jüdinnen und Juden im östlichen Europa, deren vielfältige Verflechtungen mit den Judenheiten in der westlichen Welt, europäische Gedächtnisgeschichte und transnationale Wissenschafts- und Migrationsgeschichte.

Letzte Veranstaltung: Achtung - verändertes Datum und Veranstaltungsort:
Tschaikowskysaal, Tschaikowskyplatz 2, 20355 Hamburg

30. Januar 2020, 18:30 Uhr
Dr. Karen Körber, Hamburg und Dr. Dani Kranz, Be`er Scheva, Israel
Moderation: Birgit Langhammer (NDR)
Ein Gesprächsabend im Tschaikowskysaal über Migration, Exil und Diaspora: Russische Juden in Deutschland - Israelis in Berlin.

Die Einwanderung von russischsprachigen Juden nach Deutschland nach 1989 ist in der jüngeren deutsch-jüdischen Geschichte wiederholt als Zäsur verstanden worden. Eine jüdische Migration, die vordringlich in der Hoffnung auf ein besseres Leben und ausgerechnet nach Deutschland erfolgte, schien mit der jüdischen Erfahrung des Zwanzigsten Jahrhunderts von Verfolgung, Flucht und Exil zu brechen. Auf eine ähnliche Weise hat seit Beginn der 2000er Jahre die Migration von Israelis nach Berlin viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und die Frage aufgeworfen, was es bedeutet, wenn junge israelische Juden ihr Land verlassen, um in die deutsche Hauptstadt zu gehen. Die NDR-Moderatorin Birgit Langhammer spricht mit zwei Expertinnen über mögliche Gemeinsamkeiten dieser beiden Migrationen, deren Folgen für das hiesige jüdische Leben und darüber, wie sich das Verständnis der jüdischen Diaspora in der Gegenwart gewandelt hat.

Dr. Karen Körber ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ). 2020 erscheint bei Vandenhoeck & Ruprecht ihre Studie „Lebenswirklichkeiten. Russischsprachige Juden in der deutschen Einwanderungsgesellschaft“ (gemeinsam mit Andreas Gotzmann).

Dr. Dani Kranz forscht und lehrt als Anthropologin an der Ben Gurion Universität, Israel. Sie ist Mitglied des Beratungskreises des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus. 2015 erschien bei der Bertelsmann-Stiftung ihre Studie „Israelis in Berlin“.

Kontakt

Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ)
Dr. Karen Körber, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Telefon: 040-42838-2935
Email: karen.koerber@igdj-hh.de


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