Theorize this! 2. Jahrestagung Arbeitskreis Sexualitäten in der Geschichte

Theorize this! 2. Jahrestagung Arbeitskreis Sexualitäten in der Geschichte

Veranstalter
Sebastian Bischoff (Universität Paderborn), Maria Bormuth (Berlin), Julia König (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Dagmar Lieske (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main), Anna Schiff (Ruhr-Universität Bochum), Jelena Tomović (Universität Potsdam) In Kooperation mit: TOYTOYTOY, HERA-JRP-Projekt: Disentangling European HIV/AIDS Policies: Activism, Citizenship and Health
Veranstaltungsort
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.04.2020 - 25.04.2020
Deadline
10.02.2020
Website
Von
Anna Schiff

Sexualität lasse sich beschreiben, nicht aber definieren, so Martin Dannecker. Denn Vorstellungen von Sexualität bildeten sich entlang eben jener Erfahrungen heraus, die Menschen mit dem gemacht haben, was sie jeweils als sexuell empfinden oder dafür halten. Definitionen hingegen schneiden die Sexualität notwendig ab „von der sie konstituierenden Erfahrung, der Geschichte und den Kontexten, in die sie gestellt ist“. Hierbei dränge sich die Unmöglichkeit der Definition ganz „besonders bei historischen Vergleichen über Kontinuitäten und Wandel der Sexualität“ auf (Martin Dannecker, Sexualität im Wandel, in: AIDS Infothek, Das Magazin Der AIDS Info Docu Schweiz (Hg), Sexualität und sozialer Wandel, 1, Bern 2003, 10–29.).

Das Interesse an einer vertieften, interdisziplinären und systematischen Auseinandersetzung mit Kontinuitäten und Wandel der Sexualität gab den Anlass zur Gründung des Arbeitskreises Sexualitäten in der Geschichte im Mai 2019. Auf der Gründungstagung, die an der FU Berlin stattfand, wurde wiederholt gerade die Notwendigkeit einer intensiveren Auseinandersetzung mit theoretischen und methodologischen Fragen in Forschungen zu (historischen) Sexualtäten betont. Daran möchten wir auf der zweiten Tagung des Arbeitskreises anknüpfen. Allgemein im Zentrum stehen sollen dabei Fragen danach, welche Praktiken, Beziehungen, Symbolisierungen, Institutionen oder sozialen Verhältnisse aus welcher Perspektive und in welchen soziohistorischen Kontexten als »sexuell« verstanden oder unter dem Begriff der »Sexualität« subsumiert wurden und werden? Welche Interessen, welche Herrschaftsverhältnisse oder Machtkonstellationen haben sich niedergeschlagen in diesem auf eine spezifische Weise gefassten »Sexuellen«, und inwiefern können diese in den Quellen kondensierten Konstellationen etwas zum Verständnis von Sexualität beitragen? Weiter, wie lässt sich »Sexualität« vor diesem Hintergrund als geistes-, kultur- oder sozialwissenschaftlicher Forschungsgegenstand begreifen?

Wir freuen uns auf Beiträge zu den folgenden Aspekten, unter denen eigene Forschungsarbeiten auf der Tagung vorgestellt, reflektiert und diskutiert werden können:

Was ist Sexualität und was heißt es, Sexualitäten historisch zu untersuchen?

Wie lässt sich die Frage danach, was Sexualität sei, auf der Grundlage von Forschungen zu historischen Quellen über sexuelle Praktiken, Beziehungen, Institutionen oder Verhältnisse beantworten? Führt die Frage danach, was Sexualität »ist«, hier nicht aufs Glatteis eines Jargons der Eigentlichkeit, oder lässt sie sich eingedenk der soziohistorischen Konstellationen beantworten, in denen wir es mit Sexuellem zu tun haben? Auf welche Erschwernisse stoßen historische Forschungen zu Sexualitäten in der Geschichte durch ihren historischen Zugang, und umgekehrt, welche Perspektiven ermöglicht gerade erst der historische Fokus?

Method(ologi)en des Forschens zu Sexualitäten in der Geschichte:

Die Frage nach dem Gegenstand lässt sich nicht ohne die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Zugang stellen. Welche impliziten oder expliziten Theorien werden dazu herangezogen, die Quellen zu kontextualisieren, zu interpretieren und einzuordnen? Und inwiefern ist es notwendig, dies auszuweisen?

Auch inhaltlich stellt die historische Forschung zur Sexualität Forscher/innen vor besondere Herausforderungen, sowohl was die Quellenlage, den (mangelnden) Forschungsstand als auch das Forschungssubjekt selbst betrifft. Sind etwa bei der Quellenstudie besondere Reflexionsprozesse erforderlich, oder ist diese Notwendigkeit kaum größer als in anderen Bereichen der (historischen) Forschung? Wie können Forscher/innen hier mit eigenen Grenzen umgehen?

Subjektivität im Forschungsprozess:

Im Unterschied zu anderen Forschungsbereichen wird die eigene (sexuelle oder geschlechtliche) Identität der Forscher/innen bei der Erforschung von Sexualität(en) erstaunlich häufig thematisiert. So entstanden und entstehen viele historische Studien im Kontext eigener queerer Verortung und sexueller Emanzipationsbewegungen. Wie relevant ist die Subjektivität der Forscher/innen hier für den Gegenstand? Welchen Einfluss nimmt sie auf die eigene Forschung, welche Prozesse werden durch diese Kongruenz befördert oder behindert? Last but not least, handelt es sich hierbei um ein Problem eines bestimmten Forschungsbereichs, oder handelt es sich um ein generelles Problem (nicht allein historischer) Forschung, die ihren subjektiven Zugang zum Material gerne unsichtbar macht? Oder könnte sich die Thematisierung des jeweils eigenen Zugangs zum Material für die Erkenntnis des Forschungsgegenstands vielleicht auch gerade als produktiv erweisen?

Sexualität und Emotion:

Daran anschließend: Was würde sich verändern, wenn Emotionen und Affekte in der Forschung zu Sexualitäten explizit gemacht und thematisiert würden? Droht dann der viel beschworene Verlust von Objektivität? Wenn ja, von welcher Objektivität wird hier gesprochen, und wie lässt sich das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität fassen?

Weiter ist auch das Verhältnis von Sexualität und Emotion theoretisch genauer zu bestimmen. So stehen Untersuchungen zur Emotionsgeschichte vor vergleichbaren Herausforderungen wie Untersuchungen von Sexualitäten in der Geschichte, wie etwa der, ihren jeweiligen Forschungsgegenstand zu erfassen und geeignetes Quellenmaterial zu finden. Sind aber die in den unterschiedlichen Gebieten entwickelten Ansätze auf den jeweils anderen Bereich theoretisch oder methodisch übertragbar? Darüber hinaus stellt sich die Frage nach systematischen Verbindungslinien und thematischen Amalgamierungen von Emotionen und Sexualitäten in der Vergangenheit.

Sexualität und Geschlecht:

Der systematische Zusammenhang von Sexualität und Geschlecht wird in der Sozial- und Kulturforschung der letzten Jahrzehnte fortwährend diskutiert. Dabei ist einerseits vonseiten der Geschlechterforschung, der Sexualforschung und der Queer Theory – wenn auch auf unterschiedliche Weise – betont worden, dass Sexualität und Geschlecht analytisch voneinander getrennt gedacht werden müssen. Gleichzeitig ist die Verflechtung beider Phänomene in sozialen Praktiken, im sexuellen Erleben, im Geschlechterverhältnis wie in gesellschaftlichen Institutionen fortwährend Objekt hitziger populärer Debatten ebenso, wie sie interdisziplinär kontinuierlich Gegenstand von Studien sozialer, geschlechtlicher und sexueller Verhältnisse ist. Welche Verhältnisbestimmungen lassen sich auf der Grundlage historischer Forschungen zu Sexualitäten und zu geschlechtlichen Entwürfen konstatieren?

Sexualität und Weiße Blicke:

Die Sexualisierung der Differenz, die seit je her auf dem Feld von Sexualität und Geschlecht Furore macht, wurde und wird auch im (post)kolonialen Kontext dramatisch in Szene gesetzt. Was bewirkte der Weiße Blick in historischen Beschreibungen des Sexuellen, und inwiefern haben wir es bis heute mit Nachwirkungen, Überformungen und Reproduktionen des universell gesetzten Weißen Blicks zu tun in Beschreibungen, aber auch in Theorien über das Sexuelle? Und inwiefern lassen sich aus anderen Quellen Verhältnisbestimmungen des Sexuellen und sexuelle Lebensentwürfe jenseits der Strukturierung und den Zurichtungen Weißer Blicke rekonstruieren?

Sexualität und Gewalt:

Was ist das Sexuelle an der sexuellen Gewalt? Wie hängen Sexualität und Gewalt – systematisch, aber auch empirisch – zusammen? Lange wurden beide Phänomene getrennt voneinander erforscht und diskutiert. Ein Ergebnis der Trennung von Sexualität und Gewalt ist die Verwendung der Bezeichnung sexualisierte Gewalt. Welche Setzungen liegen aber dieser – nicht unumstrittenen – Begriffskonstruktion wiederum zugrunde, welche Möglichkeitsräume eröffnen sich dadurch, und welche Engführungen gehen damit einher? Auf dieser begrifflichen Basis oder einer anderen ist schließlich zu fragen, wie sich das Verhältnis zwischen Sexualität und Gewalt beschreiben lässt? Nicht zuletzt wäre zu fragen, welche Rolle Sexualität in der (sozialwissenschaftlichen) Gewaltforschung einnimmt, und welche Rolle umgekehrt der Gewalt in den Forschungen zu Sexualitäten in der Geschichte spielt?

Für einen Keynote-Vortrag konnten wir bereits Prof. Dr. Christine Kirchhoff (IPU Berlin) gewinnen.

Die Tagungssprache ist Deutsch; Vorträge können aber auch in englischer Sprache gehalten werden. Wir laden ein, Abstracts (2.500 Zeichen) mit einer kurzen Autorinnenangabe bis zum 10. Februar 2020* an Anna Schiff zu senden; E-Mail: anna.schiff@rub.de

Neben der Möglichkeit, eigene Projekte und Fragen vorzustellen, wird es diesmal auch die Möglichkeit für Zeitschriften geben, sich im Rahmen einer »Meet the Editor« Session zu präsentieren und mit potentiellen Autor/innen ins Gespräch zu kommen. Wir freuen uns daher auch über Anmeldungen von Zeitschriften-Projekten.

Die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten für die Referent/innen wird angestrebt, kann zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht zugesagt werden.

Über die Möglichkeiten einer Veröffentlichung aller oder einiger Beiträge wird am Ende des Workshops beraten und entschieden.

Programm

Kontakt

Anna Schiff

Ruhr-Universität Bochum Fakultät für Geschichtswissenschaften

anna.schiff@rub.de