Historische Erfahrung

Historische Erfahrung

Veranstalter
Geschichtsdidaktik theoretisch-Arbeitskreis der Konferenz für Geschichtsdidaktik e.V.
Veranstaltungsort
Freie Universität Berlin, Friedrich-Meinecke-Institut, Koserstr. 20, Raum A 336, 14195 Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.03.2020 - 03.03.2020
Deadline
21.02.2020
Von
Jörg van Norden

Der Arbeitskreis „Geschichtsdidaktik theoretisch“ der Konferenz für Geschichtsdidaktik lädt herzlich ein nach Berlin zu seinem jährlichen Workshop. Dort soll es am 2. und 3. März 2020 um „Historische Erfahrung“ gehen. Die Bandbreite dessen, was unter diesem Begriff verstanden wird, ist groß. Während die einen Erfahrung als etwas Standort- und Gegenwartsgebundenes auffassen, sind andere von der Möglichkeit „reiner“ Erfahrung überzeugt, die einen objektiven Zugang zur Welt und ihrer Vergangenheit gewährleistet. Die Rolle der Wissenschaft in diesem Prozess ist umstritten. Hat sie die Aufgabe, subjektive Erfahrungen auf den Prüfstand zu stellen und gegebenenfalls zu korrigieren? Was zählt mehr, wissenschaftliche Erkenntnis oder Erfahrung im eigenen persönlichen historischen Raum? Lassen sich Erfahrung und Wissen sinnvoll voneinander abgrenzen, ergänzen sie einander oder schließen sie sich aus? Diese epistemologischen Fragen stellen sich gerade dann, wenn wir uns aktuell mit sogenannten „fake news“ und Wissenschaftsfeindlichkeit konfrontiert sehen. Verschärft sich das Problem im Digitalen Zeitalter und muss Erfahrung jetzt grundsätzlich neu für virtuelle Räume gedacht werden?
Aus domänenspezifischer Sicht müssen wir uns fragen lassen, was an einer Erfahrung das besonders „Historische“ ist. In narrativistischen Ansätzen spielen die drei Zeitdimensionen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft für historisches Denken eine wichtige Rolle. Das könnte auch für historische Erfahrung gelten, andererseits scheint sie sich vor allem auf die Vergangenheit zu beziehen. Bleibt Vergangenheit aber erfahrbar, obwohl sie vergangen ist? Vielleicht ist historische Erfahrung unmöglich und wir müssen uns von ihr verabschieden.
New Materialismus und Actor-Network-Theory schlagen einen Ausweg aus diesem Dilemma vor. Wo die Narrationen versagen, soll es die Materialität richten. Was an Gegenständlichem die Zeit überdauert hat, schlage eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es sei heute in etwa genauso erfahrbar wie damals, weil die Eigenschaften der Dinge die gleichen geblieben sind und konstant eine bestimmte Handhabung vorgeben. In diesem Zusammenhang sind historische Orte von besonderer Bedeutung, deren Gebäude und Wegeführung in die Gegenwart hineinragen. Sie lenken unsere Schritte und unsere Blickrichtung. Lassen sich auf diese Art und Weise verlässliche historische Erfahrungen machen?
Wenn historische Erfahrung auf materieller und textlicher Grundlage möglich ist, scheint sie zu wiederholen, was früher geschehen ist. Sie holt uns die Vergangenheit zurück, bringt aber nichts Neues. Wenn historische Erfahrung konservativen Charakter hat, würde sie Emanzipation ausschließen. Die Vergangenheit bestimmt dann die Gegenwart und wird in die Zukunft fortgeschrieben. Hier gilt es zu diskutieren, ob historische Erfahrung jenseits des „weiter so“ verortet werden kann. Dann würde sie mit Althergebrachtem brechen und zukunftsorientiert neue Wege ermöglichen.
Wie historische Erfahrung modelliert wird, die Möglichkeiten sind wie gesagt vielfältig und kontrovers, hat erhebliche Auswirkungen auf Geschichtsvermittlung und empirische Forschung. Empirie heißt ja nichts Anderes als Erfahrung. Vor dem Schritt ins Feld sollte geklärt sein, von welchem Erfahrungsbegriff ausgegangen wird.
Die vier Panels des workshops versuchen, die Vielfalt „Historischer Erfahrung“ theorieorientiert in den Blick zu nehmen. Ob das gelingen wird, hängt von den Diskussionen ab, die an die Beiträge der verschiedenen Referent*innen anknüpfen. Die entsprechenden paper werden vorab allen Interessierten zugänglich gemacht. Das soll die Diskussion bereichern. Von ihr versprechen wir uns, dass nicht nur zusammengetragen und wiederholt wird, was zu „Historischer Erfahrung“ schon einmal gesagt worden ist, sondern etwas Neues entsteht.

Programm

2. März 2020 14:00 Uhr Begrüßung

14:15 Uhr PANEL 1 – Kritik des Begriffs „historische Erfahrung“
LARS DEILE: Historical Experience. Warum Ankersmit auf halbem Wege stehengeblieben ist und wie man diesen weitergehen könnte.
RUTH FIONA POLLMANN: Die Theory of Mind als Erklärungsansatz für die Unmöglichkeit historischer Erfahrung
BÄRBEL VÖLKEL: Historische Erfahrung – ein Oxymoron im historischen Wissenschaftsbetrieb
Kommentar: WOLFGANG HASBERG
Moderation: LALE YILDIRIM

15:45 Uhr PAUSE

16:00 Uhr PANEL 2 – Historische Erfahrung in analogen und digitalen Medien
CHRISTIAN BUNNENBERG: Virtuelle historische Erfahrungsräume? Geschichte in immersiven digitalen Medien (AR, VR und 360°-Film)
SABRINA SCHMITZ-ZERRES: Zeiterfahrung und Brucherfahrung in Ego-Dokumenten
MICHAEL ZECH: Rezeptionsästhetische Überlegungen zum Besuch historischer Stätten – das Problem der Atmosphäre
Kommentar: BÄRBEL VÖLKEL
Moderation: JÖRG VAN NORDEN

17:30 Uhr PAUSE

18:00 Uhr ABENDVORTRAG
PETER SCHULTZ-HAGELEIT: Erfahrungen“ – Objektivation und Kommunikation.

20:00 Uhr GEMEINSAMES ABENDESSEN

3. März 2020
09:00 Uhr PANEL 3 – Historische Erfahrung und Emanzipation
URTE KOCKA: Historische Erfahrung und Geschichtsbewusstsein
PHILIP MCLEAN: Der aufklärerische Fortschrittsbegriff als mögliche Struktur für emanzipative, historische Erfahrung?
OLIVER PLESSOW: Erfahrung als soziales, kulturelles und symbolisches Kapital – Reflexionen über die Bedeutung von „Erfahrung“ für das historische Vermitteln
Kommentar: NIN REUSCH
Moderation: LALE YILDIRIM

10:30 Uhr PAUSE

11:00 Uhr PANEL 4 – Historische Erfahrung in Zeit und Raum
TOMAS M. BUCK: Memoria, Contuitus, Exspectatio Zur zeitlichen Erstreckung des menschlichen Geistes
WOLFGANG HASBERG: Fugitiv-fungierende oder historische Erfahrung Umschau im Erfahrungsraum der Gegenwart
ANDREAS HÜBNER: Das Anthropozän erfahren.
MIKE RICHARTZ/MELANIE NOESEN: Konstruktion des persönlichen historischen Raumes“ und des „Wir-Hier-Jetzt“-Raumes in Bezug auf die historische Erfahrung ergründen und Kernfragen nachgehen
Kommentar: OLIVER PLESSOW
Moderation: JÖRG VAN NORDEN

13:00 Uhr MITTAGS-SNACK

14: 00 Uhr Themen-Workshop/Diskussion
Moderation: JÖRG VAN NORDEN/LALE YILDIRIM
16:00 Uhr Ende des Workshops

Kontakt

Jörg van Norden

Universität Bielefeld
Postfach 100131, 33501 Bielefeld
0521/1063207

joerg.van.norden@uni-bielefeld.de

https://ekvv.uni-bielefeld.de/pers_publ/publ/PersonDetail.jsp?personId=178406
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