Alternative Krisen? Das 17. Jahrhundert als kontrafaktische Versuchskammer

Alternative Krisen? Das 17. Jahrhundert als kontrafaktische Versuchskammer

Veranstalter
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit Düsseldorf; Dr. Tobias Winnerling, Tim Nyenhuis, M.A.
Veranstaltungsort
Haus der Universität (HdU), Schadowplatz 14, D-40212 Düsseldorf
Ort
Düssedlorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.02.2021 - 06.02.2021
Deadline
03.05.2020
Website
Von
Tim Nyenhuis, M.A.

Aufgrund der Turbulenzen der letzten Wochen und Tage wird die Einreichungsfrist bis zum 03.05.2020 verlängert. Die eigentliche Tagung findet erst 2021 statt und ist deshalb nicht in Gefahr, abgesagt zu werden.

Alternative Krisen? Das 17. Jahrhundert als kontrafaktische Versuchskammer

Europa steckt – zumindest in der Wahrnehmung mancher – in der Krise. Und es lässt sich in der historischen Rückschau durchaus fragen, wann das jemals anders gewesen sein sollte. Irgendwo lassen sich immer Krisenphänomene entdecken und beschreiben. Möglicherweise gibt es aber auch Zeiten, die sich durch eine gehäufte Krisensymptomatik auszeichnen. Das 17. Jahrhundert gilt schon länger als Kandidat für eine Zeit genereller Krisenhaftigkeit und nicht zuletzt seit Geoffrey Parker sogar in globaler Perspektive. Natürlich hat diese Zuordnung nicht nur Zustimmung gefunden, und wenn von der Krise des 17. Jahrhunderts die Rede ist, ist die Frage nicht weit: Ja, war es denn wirklich eine? Eine naheliegende Kritik am Krisenbegriff ist dabei dessen mangelnde Trennschärfe - denn ob Zeitgenoss/innen und Historiker/innen, Betroffene und Unbeteiligte das gleiche Phänomen als Krise bezeichnen oder nicht, kann stark differieren. Rudolf Schlögl stellte dennoch unlängst die These auf, dass der moderne Krisenbegriff erstmals im 17. Jahrhundert als eine europäische Begriffssetzung greifbar werde. Damit würde das Zuschreibungsproblem – was ist wann und für wen eine Krise? – zwar regional fokussiert, aber nicht gelöst.

Die Tagung verschreibt sich daher der Aufgabe, Krisenphänomene im Europa des 17. Jahrhunderts methodisch anders anzugehen: Als bewusstes Experiment mit und zur Weiterentwicklung der Methode wollen wir kontrafaktischen Gedankenexperimenten als Zugängen zu Krisen ein Forum bieten. Das Ziel ist dabei keineswegs, freies Fabulieren wissenschaftlich hoffähig zu machen oder alternativen Fakten eine Stimme zu geben. Die Stärken einer methodisch kontrollierten kontrafaktische Geschichte liegen vielmehr in der Identifikation neuralgischer Ereignisse und ihrer Prüfung auf Relevanz. Gerade das macht sie als Werkzeug zur Schärfung der Arbeit an historischen Krisen (oder Krisen der Historie) nützlich. Mit ihrer Hilfe sollen sich wichtige Punkte identifizieren und die Relevanz der aus ihnen abgeleiteten Entwicklungen im Vergleich mit denkbaren Alternativen zeigen lassen. Zugleich soll die aus dem Vergleich der verschiedenen Ansätze entstehende Diskussion die kontrafaktische Methode selbst schärfer konturieren helfen.

Den inhaltlichen Gegenständen der Szenarien sind dabei – außer denen des methodischen Vorgehens – kaum Grenzen gesetzt. Krisen traten im 17. Jahrhundert in mannigfaltiger Weise und in den verschiedensten Bereichen auf oder können begründet in diese retrospektiv hinein oder heraus gedacht werden. Konfessionelle oder ideologische bzw. wissenschaftliche Weltbilder in Krisen zählen hier genauso zum Betrachtungsraum wie aus Verfassungskrisen hervorgegangene Revolutionen und Umstürze oder eben deren kontrafaktisch angenommene Nichtexistenz. Auch wirtschaftliche Gedankenexperimente von Staatspleiten bis hin zu geglückten Spekulationsblasen oder Finanzkrisen sind Teil einer möglichen Themenwelt. Zyklen durchbrechende Hungersnöte oder kleine, aber entscheidende Seuchenzüge sind ebenso modifizier-, austausch- oder eliminierbar, wenn es dafür wie bei allen anderen Beispielen begründete Anhaltspunkte geben sollte. Zuletzt dürfen natürlich auch die unzähligen denkbaren militärischen Stellschrauben und Settings nicht fehlen, die Krisen herbeigeführt, verändert oder gar aufgebrochen hätten. In diesen und vielen anderen denkbaren Themenfeldern kann nicht nur mit zeithistorisch existenten, sondern auch mit bloß möglichen Krisen experimentiert werden.

Methodisch sollten sich die eingereichten Vortragsideen in einen von drei Schwerpunkten einordnen lassen. So sind Vorschläge für Vorträge folgender Art erwünscht (andere thematisch einschlägige Vorschläge sind aber ebenfalls gern gesehen):

1. Kontrafaktische Überlegungen, die unfertige Szenarien auf die Waagschale legen wollen oder in gemeinsamer Diskussion zu Ende denken möchten. Hier sollen mögliche Szenarien ausprobiert, konkrete Abweichungspunkte sowie kontrafaktische Stellschrauben vorgestellt und gegebenenfalls gemeinsam diskutiert und überprüft werden.
Hätte zum Beispiel eine Ablehnung des Triennial Acts 1694 im englischen Parlament dazu führen können, dass die noch im selben Jahr gegründete Bank of England in einem genauso desaströsen Fiasko geendet hätte wie die Spekulationsgeschäfte von John Law? Und wenn man ein solches Szenario untersuchen wollte: Lässt sich ein Punkt finden, an dem eine möglichst kleine und möglichst wahrscheinliche Abweichung vom überlieferten Geschichtsverlauf dazu hätte führen können, dass das Gesetz nicht zustande kam, oder nicht in der Form, die wir kennen? Wäre es beispielsweise möglich gewesen, dass durch das Fehlen einiger Abgeordneter – durch Krankheit oder andere Widrigkeiten – andere Abstimmungsergebnisse oder Entwurfsvarianten produziert worden wären? Und wie ließe sich das wiederum möglichst nah an der historischen Überlieferung plausibel machen? Wie das schlussendliche Ergebnis einer kontrafaktischen Untersuchung aussähe, die von einem solchen Abweichungspunkt ausginge, ist dabei nicht zentral. Wichtig ist die möglichst genaue Planung der Konstruktion und wissenschaftliche Überprüfung eines Abweichungspunktes.

2. Kontrafaktische Geschichten, die bereits durchgearbeitete Szenarien mit konkreten Ergebnissen vorstellen, also nicht nur mögliche Abweichungspunkte skizzieren, sondern auch die von ihnen ausgehenden kontrafaktischen Entwicklungen durchgedacht und gegeneinander abgewogen haben, zählen zur zweiten methodischen Gruppe. Gewünscht sind hier in sich abgeschlossene Szenarien, die bereits eine Relevanzabwägung des behandelten Ereignisses beinhalten. Eine hieraus hervorgegangene Einschätzung der Krisenhaftigkeit der betrachteten Phänomene oder die Relevanz der jeweiligen Krise an sich kann dann anschließend zur Diskussion gestellt werden. Lässt sich beispielsweise ein Punkt finden, an dem eine der wesentlichen Kriegsparteien des Dreißigjährigen Krieges ‘vorzeitig’ aus dem Konflikt ausscheiden muss - wie etwa für Schweden mit einer kontrafaktisch verlorenen Schlacht bei Wittstock 1636 -, und lässt sich daraus ableiten, dass die wahrscheinliche Folge der so resultierenden alternativen Ereignisverläufe ein Kriegsende um das Jahr 1638 herum gewesen wäre, so kann auf dieser Basis die gern sehr stark betonte Krisenhaftigkeit des ‘Großen Teutschen Kriegs’ ein Stück weit in Frage gestellt werden. Es lässt sich folglich argumentieren, er habe gar nicht so lange dauern müssen, wäre als Krise also rascher überwindbar gewesen als in der realweltlichen Ereignisgeschichte realisiert.

3. Überlegungen zur kontrafaktischen Methodik, die auf einer theoretischen Ebene Sinn und Funktion des kontrafaktischen Vorgehens an sich thematisieren. Die Entfaltung kontrafaktischer Szenarien kann ja nur dann mit dem Anspruch auf Nachprüfbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Wahrscheinlichkeit gelingen, wenn dabei eine bestimmte Methodik angewandt wird. Dafür müssen Vorannahmen getroffen werden: Wie sollen historische Ereignisse miteinander verknüpft sein? Was soll überhaupt als historisches Ereignis gelten? Sollen historische Kausalitäten angenommen werden? Falls ja, welche, und warum gerade diese? Gerade der Einbezug allgegenwärtiger, aber in ihrer Wirkung schwer abschätzbarer Faktoren in kontrafaktische Analysen bereitet derzeit noch Schwierigkeiten. Was ist etwa mit dem Wetter? Ist es beliebig manipulierbar, eine kontrafaktische carte blanche? Das erscheint problematisch. Denn ob es stürmt oder friert, ob dichter Nebel herrscht oder Gewitter, ob Dürren oder Überschwemmungen auftreten, ist keineswegs nebensächlich für den Verlauf historischer Ereignisse. Was wäre aber eine mögliche methodische Lösung des Problems? Ließe sich beispielsweise die Kleine Eiszeit als bestimmendes und deutlich krisenhaftes Phänomen des 17. Jahrhunderts kontrafaktisch manipulieren, und wenn ja, wie könnte man das erfolgversprechend in Angriff nehmen? Die Überlegungen dieses Panels müssen aber nicht unbedingt einen Bezug zum 17. Jahrhundert aufweisen, sondern können auch rein methodisch-theoretischer Natur sein.

Die Tagung soll wesentlich der wissenschaftlichen Vernetzung ihrer Teilnehmer/innen und der öffentlichen Kommunikation der erzielten Ergebnisse dienen. Der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gehört daher zum Programm: Student/innen, aber auch interessiertes Publikum werden nicht nur zum Mitdiskutieren eingeladen, sondern auch selbst auf das Podium treten können, um Ihre Ideen vorzustellen. Um diesen Prozess zu unterstützen, folgt die Tagung einem Ablauf, der genügend Foren für Diskussionen und Austausch zulässt. Die zwanzigminütigen Vorträge werden deshalb in Blöcken gehalten, an deren Anschluss eine ausgedehnte Diskussion in Kleingruppen mit den Referent/innen stattfindet.

Vortragsideen können in Abstracts von max. 400 Worten sowie kurzen biografischen Angaben und gegebenenfalls ausgewählten Veröffentlichungen (max. eine Seite) bis zum 15. April 2020 per Mail an die unten aufgeführten Adressen eingesendet werden. Bei der Auswahl ist eine besondere Berücksichtigung von Nachwuchswissenschaftler/innen vorgesehen.

Da die Teilnehmerzahl aufgrund der Räumlichkeiten begrenzt ist, werden interessierte Hörer/innen, die keinen eigenen Vortrag halten wollen, bis zum 30. September 2021 um Voranmeldung per Mail an tobias.winnerling[at]uni-duesseldorf.de oder dimitrios.nyenhuis[at]uni-duesseldorf.de gebeten.

Tagungsort

Haus der Universität (HdU)
Schadowplatz 14
D-40212 Düsseldorf

Wir streben an, nach Möglichkeit die jeweiligen Reise- und Übernachtungskosten der Referent/innen zu übernehmen.

Programm

Kontakt

Dr. Tobias Winnerling
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitätsstraße 1
D-40225 Düsseldorf
Mail: tobias.winnerling[at]uni-duesseldorf.de
Tel.: 0211-81-14520

Tim Nyenhuis, M.A.
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Universitätsstraße 1
D-40225 Düsseldorf
Mail: dimitrios.nyenhuis[at]uni-duesseldorf.de
Tel.: 0211-81-14520


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